- Vater Daniil, in Deutschland wurde nun der Orthodoxie-Unterrichte eingeführt.
- Ja. Jetzt ist es, zum Beispiel, in Nordrhein-Westfalen möglich, „Grundlagen der Orthodoxen Kultur" in Schulen als Wahlfach zu unterrichten. Dies ist ein Sieg für alle Orthodoxen in Deutschland. Allerdings ist das erst ein halber Sieg; vollständig wird er erst dann sein, wenn dieser Kurs im ganzen Lande eingeführt wird.
- Das heißt also, Sie haben etwas geschafft, was in Russland noch nicht gelungen ist...
- Russland ist ein orthodoxes Land, das wir lieben und schätzen. Aber warum ist es so, wie Sie sagen? Die Deutschen geben uns hier ein Vorbild. Das Land scheint ja eher evangelisch geprägt zu sein, mit dem katholischen Bayern. Aber sie geben uns die Erlaubnis - voilà.
Jeder, der will, kann Orthodoxie lernen. Natürlich wäre es unrealistisch, dieses Fach in jeder Schule einzuführen; aber wenn es wenigstens eine oder zwei Schulen pro Stadt wären, wäre das schon gut. Viele unserer Gemeindemitglieder wünschen sich, dass ihre Kinder Religion und orthodoxe Kultur studieren. Zunächst werden die „Grundlagen der Orthodoxen Kultur" (GOK) auf Deutsch unterrichtet. Es ist aber möglich, dass mit der Zeit auch auf Russisch bzw. Griechisch unterrichtet wird. Bis auf weiteres sind die Lehrer Deutsche, die an der Universität Münster Orthodoxie studieren.
- Werden auch Deutsche, die sich nicht zur Orthodoxie bekennen, dieses Fach unterrichten können?
- Ich denke, dass es Deutschen, die sich nicht zur Orthodoxie bekennen, schwer fallen wird, die Grundlagen unserer Religion zu unterrichten. Denn um das ABC unseres Glaubens zu vermitteln, ist es notwendig, darin zu leben, auch unsere Kultur zu lieben und zu kennen. Bei uns gibt es aber viele einheimische Deutsche, die sich zur Orthodoxie bekennen, und sie sind manchmal orthodoxer als wir. Schauen Sie, wie genau sie alle Vorschriften ausüben. Wenn man fasten soll, dann heißt es bei Ihnen: „Ich werde fasten von A bis Z!" Sie sagen gelegentlich: „So gehört es sich nicht, Vater, das ist nicht nach der Kirchenordnung". Sie erinnern mich an die Letten, die sich zur Orthodoxie bekehrt haben - sie sind so strenggläubig. Manchmal scheu ich mich sogar. Man verspürt direkt die eigene Sündigkeit, wenn man sich mit ihnen austauscht. (lächelt).
- Gibt es ein Lehrbuch?
- Noch nicht. Faktisch gibt es nur das Gesetz Gottes und den Katechismus; ein GOK-Lehrbuch gibt es auf Deutsch noch nicht. Das wichtigste war für uns die offizielle Genehmigung der Regierung. Nun müssen wir nur noch Lehrer finden und uns über Lernmaterialen Gedanken machen.
Mönchsweihe mit 15
- Vater Daniil, erzählen Sie ein bisschen über sich.
- Als ich in die Kirche kam, war ich zehn Jahre alt. Ich wurde Ministrant in der Hl.-Dreiheits-Kirche zu Riga. Mit 15 empfing ich, mit dem Segen von Archimandrit Ioann Krestjankin[2], die Weihe als Jung-Mönch[3]. Die Mönchsweihe erhielt ich dann in Deutschland, als ich 20 war. Im Jahre 1995 sind meine Eltern und ich als deutschstämmige Spätaussiedler nach Deutschland gekommen. Meine Mutter ist Deutsche, mein Vater Lette. Nachdem wir in Berlin angekommen waren, ging ich direkt in die Christi-Auferstehungskathedrale, um von Seiner Eminenz Feofan[4] den Segen zu erhalten...
- Hat es Sie nicht verunsichert, dass Sie die Mönchsweihe bereits mit 15 empfangen haben?
- Nein. Ich wollte es so; dieses Leben war das, womit ich aufgewachsen bin. Ich bin häufig ins Höhlenkloster von Petschory gefahren, wo Vater Ioann[5] damals als geistlicher Vater wirkte. Und in Riga wurde ich von Vater Kyrill (Borodin)[6] geistlich betreut. Mit dem Segen von Vater Ioann weihte mich Vater Kyrill - ohne Wissen meiner Eltern - zum Jung-Mönch.
Später hat meine Mutter über die Mönchsweihe erfahren und mir ihren mütterlichen Segen für diesen Lebensweg gegeben. So musste ich in die Abendschule gehen und die mittlere Reife ablegen. Dabei war ich offiziell als Putzkraft in der Kirche angestellt, da man nicht in die Abendschule aufgenommen wurde, wenn man arbeitslos war. Danach zogen wir als deutschstämmige Spätaussiedler hierher nach Berlin. Ich kam zu Seiner Eminenz Feofan, und nachdem ich seinen Segen erhalten hatte, war ich als Altardiener in der Kathedrale tätig. Bereits 1997 wurde ich zum Diakon geweiht, und 1998 zum Priester.
Das Kloster wird dank der Bundeskanzlerin aufgebaut
- In der Berliner Diözese ist, durch Beschluss des Synods der ROK, im letzten Jahr ein eigenes Kloster in Deutschland entstanden...
- Ja. Wir haben im Ort Götschendorf, 90 km nördlich von Berlin, einen Landsitz für den symbolischen Betrag von einem Euro erworben. Übrigens geschah das durch Vermittlung unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel, deren Vater 2 km von diesem Landgut entfernt ein Haus besitzt. Eigentlich ist das eine ihr vertraute Gegend, ihre Heimat. Das Landgut ist vier Hektar groß. Daran schließt sich ein Haus für Brüder an, das praktisch bereits restauriert ist. Aber sicherlich steht uns noch viel Arbeit bevor.
Allerdings haben wir zurzeit vorwiegend bürokratische Herausforderungen zu lösen. Zum Beispiel wurde uns eine hohe Rechnung für die Genehmigung der Restaurierung des Hauptgebäudes gestellt, da es sich um ein Baudenkmal handele. Wir sind dagegen gemeinsam mit Rechtsanwälten vorgegangen, und Gott sei Dank wurde der Zahlungsbetrag durch das Landesgericht um einige Zehntausend Euro verringert.
Wie Sie daraus ersehen können, wird zurzeit mehr auf Papier als auf der Baustelle gearbeitet. Sie wissen ja: bevor man anfangen kann, in Deutschland etwas zu bauen, muss man praktisch für „jedes Ziegelsteinchen" eine Genehmigung bekommen und eine Menge von Bauversicherungen abschließen, ohne die es einfach nicht erlaubt ist, etwas zu bauen oder umzubauen. In dieser Hinsicht ist es in Deutschland etwas schwieriger als in Russland. So muss man zwischen den verschiedenen Instanzen hin- und hergehen, um die nötigen Genehmigungen zu erhalten. Bis jetzt haben wir bereits Kanalisation, Wasserleitung, Beleuchtung, Telefonnetz und Heizung installiert. In den Gebäuden des Landsitzes gibt es sicherlich noch sehr viel zu tun; aber das Wichtigste ist nun, das Bruderhaus fertig zu stellen, um die Brüder dort ansiedeln zu können. Und die nächste Etappe ist der Bau eines Gotteshauses auf dem Territorium des Klosters.
Wir haben zwei Priestermönche: Vater Martin und Vater Gawriil. Sie leben und dienen zurzeit bei der Gemeinde in Rostock. Dort haben wir eine Art Klostermetochion, ein Privathaus, das wir und unsere Gemeindemitglieder durch unsere gemeinsame Bemühungen mieten. Und jetzt können Gemeindemitglieder und Novizen dort hinreisen, um dort zu leben und zu beten. Unser Plan ist aber, dass unsere Brüder so bald wie möglich im Kloster leben können.
- Werden Sie auf dem Territorium dieses Landsitzes wohnen können?
- Sicherlich - warum nicht?! Es ist einfach so, dass man da momentan nirgendwo wohnen kann. Die Gebäude sind nicht fertig gestellt und zum Wohnen noch nicht geeignet. Das ist aber nur eine Frage der Zeit. Dieser Landsitz hat generell eine sehr interessante Geschichte. Ursprünglich war es ein Adelssitz. Danach eine Datscha bzw. ein Ferienhaus von Göring, wo er lebte und jagte. Zu DDR-Zeiten war es eine Kuranstalt für Militäroffiziere, und nach dem Fall der Berliner Mauer blieb das Haus zehn Jahre lang unbewirtschaftet - und nun entsteht da unser orthodoxes Kloster.
- Von wem stammte die Idee, das Kloster in diesem Ort zu errichten?
- Diese Idee stammte von Norbert Kuchinke.
- Wer ist das?
- Norbert Kuchinke ist ein bekannter Journalist. Ältere kennen ihn auch noch als Schauspieler: er spielte die Rolle des dänischen Professors in dem sowjetischen Film „Marathon im Herbst"[7]. Er selbst ist Deutscher und Katholik, aber in die Orthodoxie und in alles Russische verliebt. Und er war es, der 2005 mit dieser Idee zu Erzbischof Feofan kam.
Die Idee ist sicherlich gut, aber in Deutschland aus finanziellen Gründen schwer umsetzbar. Solche Möglichkeiten wie in Russland gibt es hier noch nicht: wir haben keine Sponsoren, die hätten helfen können, dieses Projekt zu stemmen. Herr Kuchinke hat aber versprochen, Sponsoren zu finden, und er war es, der das Landgut gefunden und alle Verhandlungen geführt hat.
- Wenn ich das recht verstehe, besteht das Problem darin, dass das Kloster noch kein Gotteshaus hat...
- Die Grundsteinlegung hat bereits stattgefunden. Im letzten Jahr hat Seine Eminenz Metropolit Kyrill, der jetzt unser Heiligster Patriarch ist, sie durchgeführt.
- Sind die Arbeiten wegen der Krise jetzt eingestellt?
- Ja. Die finanzielle Krise hat die Bauarbeiten im Kloster etwa gebremst. Bei einem Treffen mit unserem Hauptsponsoren, der bereits viel Geld für den Klosterbau zur Verfügung gestellt hat, wurde uns gesagt: „Es gibt zwei Auswege: entweder den Arbeitern keinen Lohn zu bezahlen und Ihnen zu helfen, oder den Arbeitern ihren Lohn auszahlen und den Bau für eine Weile einzufrieren". Natürlich müssen die Arbeiter ihren Lohn erhalten. Deswegen warten wir nun ab, bis die Krise überwunden ist.
- Ist der Entwurf des Gotteshauses denn schon fertig?
- Alles ist soweit fertig, und die Bauarbeiter sind auch bereit. Es bleibt nur noch, das Geld aufzutreiben und mit dem Bau zu beginnen.
Der Dienst hier ist eine Aufopferung
- Hier in Deutschland leben die Mönche nicht in Klöstern. Haben Sie manchmal den Wunsch, im Kloster zu leben?
- Ich habe ja im Kloster gelebt. Allerdings war es kurz, nur drei Monate. Als ich 14 war, leistete ich im Höhlenkloster von Petschory Gehorsam auf dem Viehhof. Wir standen um vier Uhr morgens auf und melkten die Kühe. Danach sind wir beten gegangen: das morgendliche Stundengebet, danach die Liturgie. Dann die Mahlzeit und wieder Gehorsam.
Leider haben die Mönche in Deutschland noch keine Möglichkeit, in einem Kloster zu leben. Wenn diese aber einmal bestehen sollte, dann werden viele unserer Priestermönche, die in den Gemeinden im Dienst sind, mit dem Segen Seiner Eminenz ins Kloster ziehen. Da gibt es allerdings einige Schwierigkeiten. Zum Beispiel, wenn wir alle unsere Priester nehmen, die Mönche sind, und sie von den Gemeinden abrufen, werden wir praktisch niemanden als Ersatz haben, und die Gemeinden würden dann leerstehen. In Deutschland haben wir ja sowieso einen Mangel an Geistlichen. Umso mehr, da zurzeit die Möglichkeit zur Eröffnung neuer Gotteshäuser und Gemeinden besteht.
Im Westen bedient je ein Priester zwei bis drei Gemeinden. Es ist schwer, jemanden zum Dienst aus Russland abzurufen, da die Selbstfinanzierung der Gemeinden minimal ist und es schwer würde für einen Priester, der Familie hat. Von den Einheimischen wird kaum jemand zum orthodoxen Priester, da der Dienst hier eine Art Aufopferung darstellt. Aber wir hoffen darauf und glauben daran, dass die Situation in Zukunft besser wird.
- Dennoch wird auch unter Deutschen gepredigt, oder?
- Sicher. Wir haben deutschsprachige Gemeinden. Zum Beispiel gibt es in Berlin eine große deutsche Gemeinde, die von Vater Michael Rar betreut wird. Solche Gemeinden gibt es auch im Westen Deutschlands.
- Die Deutschen kommen also?
- Natürlich, und sehr viele.
- Wie kommt das?
- Vielen gefällt die Orthodoxie, unsere Gottesdienste. Manchmal ist es so, dass ein Mensch aus Neugier ins Gotteshaus kommt, dann aber festes Gemeindemitglied wird. Es gibt viele gemischte Familien, in denen einer der Ehepartner aus Deutschland stammt, und da kommt diese ganze Familie zu uns.
- Im Vergleich zu den Russen ist der Anteil der Deutschen aber nicht sehr hoch?
- Noch nicht. Dieser Anteil wächst aber von Jahr zu Jahr.
Die deutsche Regierung hilft
- Macht Ihnen die deutsche Regierung keine Schwierigkeiten?
- Ganz im Gegenteil, sie ist uns behilflich. Ich hatte selbst Gelegenheit, in der Arbeitsgruppe Integration beim Bundeskanzleramt tätig zu sein. Unsere Aufgabe war, der russischsprachigen Bevölkerung Deutschlands zu helfen, sich in die deutsche Gesellschaft zu integrieren. Wir sollten uns aber wiederum nicht assimilieren; wir sollten unsere russische Sprache, unsere mehrhundertjährige Kultur und klassische Literatur nicht vergessen. Daher haben wir mit dem Segen Seiner Eminenz Feofan begonnen, da, wo es möglich ist, Kurse für Russische Sprache und Literatur einzurichten, damit unsere Kinder an unserer reichen und alten Kultur teilhaben können. Damit sie nicht nur richtig Russisch sprechen lernen, sondern auch die Grammatik der russischen Sprache kennenlernen und lesen können. Denn viele Teenager beichten bereits auf Deutsch; für sie ist es einfacher, Deutsch zu sprechen und zu denken. Bedauerlicherweise sind solche Kurse nicht in allen Gemeinden möglich, da hierfür wiederum qualifizierte Lehrer fehlen, und nicht jeder Priester kann Russische Literatur und Sprache unterrichten. Natürlich bitten wir auch die Mütter um Hilfe.
In Berlin ist es da einfacher, denn es gibt sowohl Schulen als auch Kurse, wo man Russisch studieren kann. Ich kenne viele Familien, in denen Kinder mittwochs und donnerstags zu Lehrern gebracht werden, die den Kindern Privatunterricht in Russischer Sprache und Literatur gegeben.
Das ist für uns sehr wichtig. Unsere Jugend muss nicht mehr in die deutsche Gesellschaft integriert werden; sie sind durch die Kontakte mit Gleichaltrigen in den Kindergärten und Schulen bereits integriert. Die Hauptsache ist jetzt, dass sie sich nicht assimilieren. Die ältere Generation hat es natürlich etwas schwerer, z.B. Deutsch zu lernen. Es gibt aber wiederum kostenlose Deutschkurse, sowohl vom Staat als auch bei einigen unserer Gemeinden. In der Berliner Gemeinde zu Ehren des Ehrw. Sergius von Radonesh zum Beispiel gibt es eine diplomierte Übersetzerin, die einmal pro Woche Deutschkurse anbietet.
- Erzählen Sie: wie kam es dazu, dass Sie Mitglied der Arbeitsgruppe Integration beim Bundeskanzleramt wurden?
- In diese Arbeitsgruppe wurde ich 2006 eingeladen, direkt nachdem Angela Merkel Bundeskanzlerin wurde. Davor war ich bereits Verantwortlicher für die Beziehungen der Berliner Diözese zur Deutschen Regierung und für Öffentlichkeitsarbeit. Wir hatten uns häufig mit Abgeordneten getroffen, deswegen kannte ich Angela Merkel schon, bevor sie Bundskanzlerin wurde, - so wie auch den jetzigen Außenminister Guido Westerwelle. Er und ich trafen immer wieder auf verschiedenen staatlichen Empfängen aufeinander.
Die Freie Demokratische Partei Deutschlands (FDP), vertreten durch Cornelia Pieper (heute Staatsministerin beim Bundesminister des Auswärtigen), hat uns bei der Lösung verschiedenartiger Fragen schon immer geholfen. Damals war Frau Pieper Generalsekretärin der FDP (die FDP mit von Guido Westerwelle als Parteivorsitzendem hat nach der letzten Bundestagwahl mit dem CDU/CSU-Block unter Angela Merkel einen Koalitionsvertrag abgeschlossen und die Regierung gebildet - Anm. von W.R.). Dank der produktiven gemeinsamen Arbeit mit den Politikern in Deutschland wurde unsere Kirche Mitglied dieser Arbeitsgruppe, an der ich im Namen von Seiner Eminenz Feofan teilnahm.
- War es für die Zusammenarbeit mit der FDP kein Hindernis, dass Herr Westerwelle, der Vorsitzende dieser Partei, seine nicht-traditionelle Vorliebe nicht geheim hält?
- Die Partei hilft uns vor allem in der Person vor Cornelia Pieper. Mich hat die Vorliebe des Parteiführers nie besonders interessiert. Ehrlich gesagt, ist sie mir lange Zeit nicht einmal bekannt gewesen. Wir haben uns schon immer gemeinsam um das Wohl unserer Kirche in Deutschland und unsere in diesem Lande lebenden Landsleute bemüht und werden hoffentlich auch weiter in dieser Richtung arbeiten.
Die Partei hat entschieden, dass es notwendig ist, der Russischen Kirche zu helfen
- Sie hatten viele Kontakte mit der Bundeskanzlerin. Was für einen Eindruck haben Sie von Angela Merkel?
- Einen ausgezeichneter Eindruck. Sie ist eine absolut offene Frau; man kann gut mit ihr kommunizieren, sie ist eine gläubige Christin, und sie hält ihren Glauben nicht geheim. Ihr Vater, Herr Kasner, ist evangelischer Pfarrer in dem Ort, wo unser Kloster errichtet wird, und er hat auch sein Einverständnis dazu gegeben.
- Haben Sie mit der Regierung Schröder auch zusammenagiert?
- Nein, damals gab es keine solchen Möglichkeiten wie heute. Sie sind erst unter Frau Merkel zustande gekommen.
- Wie kommt das? Dank der persönlichen Haltung von Frau Merkel? Oder gab es andere Gründe?
- (Pause) Sicherlich eher dank ihrer Haltung, glaube ich. Und die freundschaftlichen Beziehungen sind hier auch wichtig. Es ist angenehm, wenn ein deutscher Abgeordnete anruft und fragt: „Vater Daniil, ist bei Ihnen alles in Ordnung? Brauchen Sie Hilfe?" Ich sage dann natürlich, dass alles in Ordnung ist. Es ist verständlich, dass man nicht unbescheiden werden darf, man darf nicht sich dem anderen an den Hals hängen und bitten: „Geben Sie uns dies und das und jenes und welches". Nein, man muss sein Maß kennen. Die Hauptsache ist, ich sage es noch einmal, dass wir sowohl für die Kirche als auch für unsere Landsleute von Nutzen sind. Das ist unsere Hauptaufgabe.
- Es entsteht der Eindruck, dass unsere Kirche noch nie so konstruktiv mit der deutschen Regierung zusammengearbeitet hat, mit Ausnahme der zaristischen Zeiten...
- Das kann gut sein. Es begann im Jahre 2006. Allerdings wurden schon vorher Beziehungen und freundschaftliche Kontakte geknüpft. Wir haben uns regelmäßig mit Cornelia Pieper getroffen und die drängenden Aufgaben zur Stärkung der Orthodoxie in Deutschland gelöst. Gerade dank ihr haben sich also weitere Arbeitskontakte mit anderen Abgeordneten und verschiedenen Parteien entwickelt, und die Arbeit konnte beginnen.
- Erzählen Sie bitte, wie Sie Frau Pieper kennen gelernt haben.
- Über einen Bekannten von mir. Er arbeitet jetzt in der Vertretung des Landes Sachsen-Anhalt beim Europaparlament in Brüssel, und vorher hat er im Regierungsamt gearbeitet. Wir haben uns auf dem Empfang beim päpstlichen Nuntius in Berlin kennen gelernt. An diesen Tag kann ich mich sehr gut erinnern, denn er markiert den Beginn einer besonderen Stufe unseres Verhältnisses zur Regierung. Später hat er mich auch mit Frau Pieper bekannt gemacht.
Von Beruf ist sie Übersetzerin und beherrscht Russisch und Polnisch fließend. Wir kommunizieren mit ihr aber ausschließlich auf Deutsch. Mit der Zeit haben wir dank ihr auch Guido Westerwelle kennen gelernt.
- Wurde Frau Pieper nicht davon abgeschreckt, dass Sie orthodoxer Priester sind?
- Im Gegenteil. Sie hat großen Respekt gegenüber unserer Kirche. Sie bemüht sich immer, mich oder einen Vertreter unserer Diözese zu diversen Präsentationen, Empfängen und Tagungen einzuladen. Und das ist wichtig für uns, den wenn wir gute Verhältnisse mit der Regierung haben, können wir unseren Landsleuten hier und unserer Kirche insgesamt effektiver helfen.
Wir eröffnen Gotteshäuser
- Meinen Sie, dass die Unterzeichnung des Aktes über die kanonische Einheit mit der Russischen Orthodoxen Kirche im Ausland die geistliche Einheit unserer Kirchen in Deutschland vorangebracht hat?
- Die geistliche, brüderliche Gemeinschaft hatten wir schon früher. Jetzt können wir nicht nur Kontakte pflegen, sondern auch gemeinsam zelebrieren und die Heiligen Gaben Christi empfangen. In Deutschland wurden bereits viele Gottesdienste abgehalten, auf denen Ihre Eminenzen Mark[8] und Feofan konzelebrierten. Wir beten und zelebrieren zusammen, pflegen Kontakte, treffen uns...
- Pflegen Sie auch Kontakte mit anderen orthodoxen Kirchen in Deutschland?
- Ja. In Deutschland finden panorthodoxe Kongresse und Konferenzen statt, an denen Vertreter aller orthodoxen Kirchen in Deutschland teilnehmen.
- Es entsteht der Eindruck, dass die Orthodoxie in Deutschland stärker wird...
- Sie wird stärker, Gott sei Dank. Es werden neue Gotteshäuser eröffnet, zum Beispiel im Zentrum von Hamburg, in einem alten evangelischen Kirchengebäude, das unter Denkmalschutz steht. Die Evangelische Kirche Deutschlands hat uns dieses Gotteshaus verkauft, weil die Gemeinde sich nicht mehr finanzieren konnte, da es keine Gemeindemitglieder mehr gibt. Es handelt sich um ein altes Gotteshaus in der Mitte von Hamburg - nun ragt dort das orthodoxe Kreuz empor. Ähnliche Fälle gibt es in Kiel und Bremen. Als Seine Eminenz Feofan die Diözesenleitung übernahm, hatten wir zwölf Gemeinden - heute sind es bereits 70 und circa 800.000 Gemeindemitglieder in ganz Deutschland.
Russische Ghettos
- Obwohl ein Teil der russischsprachigen Menschen sich erfolgreich in die deutschen Gesellschaft integriert hat, gibt es auch noch viele, die während ihres Aufenthalts in Deutschland ihre Verbindungen mit Russland verloren haben und aber auch von der örtlichen Kultur abgeschnitten sind. Das sehen wir auch in Berlin.
- Ja, in Berlin gibt es Stadtteile, die echte Ghettos sind. Zum Beispiel in Ostberlin - so wie in den Stadtteilen Marzahn und Hohenschönhausen. Dort gibt es viele russischsprachige Menschen, die kein Deutsch lernen wollen. Sie glauben, sie bräuchten die deutsche Sprache nicht. Denn es gibt russisches Kabelfernsehen, russische Zeitungen, russische Geschäfte, russischsprachige Ärzte. Es war möglicherweise ein Fehler, alle Spätaussiedler (die Deutschen aus dem Wolga-Gebiet) im selben Stadtteil anzusiedeln. Jetzt kämpft man darum, sie irgendwie zu integrieren. Das ist aber ziemlich unrealistisch.
- Es ist nicht möglich, die Lage zu verbessern?
- Es ist sehr schwer. Wir möchten in einem solchen Stadtteil ein orthodoxes Gotteshaus eröffnen, und die Regierung Berlins begrüßt das.
In Berlin, so wie überall in Deutschland, leben viele russischsprachige Familien. Hier gibt es die Möglichkeit, zu dienen und zu arbeiten, insbesondere mit der Unterstützung der Bundes- und der Stadtregierung.
- Gibt es Priester mit deutschen Wurzeln?
- Ja, zum Beispiel Vater Peter Plank[9], Professor und früher ein bekannter katholischer Priester. Er ist aber schon etwa 20 Jahre lang orthodoxer Vater. Und durch seinen Glauben, seine pastorale Fürsorge und Liebe hat er sehr viele Deutsche zur Orthodoxie gebracht.
Über Hitler, die Nazis und die Kathedrale
- Das erste, was ich über unsere Berliner Kathedrale erfahren habe, war, dass sie in der Hitler-Zeit erbaut wurde...
- Mit dem Geld der deutschen Regierung.
- Ja. Im Internet wurde sogar darüber diskutiert, ob in diesem Gotteshaus jetzt für Hitler als den Errichter dieses Gotteshauses[10] gebetet wird...
- Er war nicht derjenige, der baute: das Geld gab die deutsche Regierung, und nicht Hitler persönlich. Er hatte mit diesem Bau nichts zu tun. Das Einzige, was ihn interessierte, war, so vermute ich, russische Emigranten, die damals in Deutschland und in Berlin lebten, auf seine Seite zu ziehen.
- Also war Hitler am Bau doch beteiligt, er befürwortete ihn doch...
- Sie wollten einfach das Gebäude haben, in dem unsere Hauskirche sich befand (auf dem Hohenzollerndamm, dort steht jetzt ein Hotel). Aber um die russischsprachige Bevölkerung Berlins nicht zu stören, haben sie uns zum Ausgleich ein Grundstück in Berlin gegeben, auf dem später die Kathedrale gebaut wurde.
- Wie war die Haltung zur Orthodoxie unter dem Nazi-Regime insgesamt?
- Unter dem Nazi-Regime habe ich nicht gelebt (lacht), deshalb kann ich das nicht wissen. Es ist schwer zu sagen. Der Nazismus war eine einzigartige Religion, die keine anderen Religionen dulden konnte. Wie der Kommunismus übrigens auch. Da gab es eigene Ikonen (Porträts von den Führern), eigene Wallfahrten und so weiter. Deswegen war unter den Nazis die Haltung zu jeder Religion negativ.
- Nachdem der Nazismus zerschlagen wurde, ergab es sich, dass die Kathedrale sich in Westberlin befand, oder?
- Ja, in der amerikanischen Okkupationszone. Unsere Priester sind hier hingefahren, sie hatten einen Spezialausweis. Seit 1938 werden in der Kathedrale Gottesdienste abgehalten, und es gab nie eine Unterbrechung.
Ich verrate Ihnen ein kleines Geheimnis. Seit zwei Jahren verhandeln wir mit der deutschen Regierung über die Privatisierung der Kathedrale. Der Berliner Bürgermeister hat bereits sein Einverständnis gegeben. Aber Sie wissen ja, es gibt ein altes Sprichwort: „Der Kaiser ist lieb, seine Jagdreiter aber sind es nicht". Das heißt, die Obersten sind einverstanden, aber die untergeordneten Behörden liefern uns nur nichts sagende Antwortschreiben, und das schon seit zwei Jahren. Ich denke, wir werden uns wieder an Herrn Wowereit (Klaus Wowereit ist der Bürgermeister von Berlin - Anm.v.W.R.) wenden müssen, um diese Frage irgendwie zu regeln. Leider dauern bürokratische Prozesse in Deutschland manchmal sehr lange.
- Finden in der Kathedrale irgendwelche Treffen, Versammlungen, gemeinsame Teestunden statt?
- In der Kathedrale mangelt es an Platz. Wir haben schon lange vor, neben der Kathedrale ein kleines Häuschen zu bauen, wo eine Halle für Gemeindentreffen eingerichtet werden kann. Dieser Bau bedarf wiederum des Einverständnisses der Stadtregierung. Und das bedeutet wiederum: Bürokratie, Tonnen von Papierkram und jahrelanges Warten.
- Was ist mit katechetischen Kursen? Werden da welche organisiert?
- Noch nicht. Es gibt ein Ausbildungszentrum bei der Diözese, nicht weit von der Kathedrale entfernt. Da gibt es bis jetzt nur Sprachkurse: für Englisch, Deutsch, Russisch, auch Literatur. Katechetische Kurse existieren nur als Vorhaben. In Hamburg wird jetzt, mit dem Segen Seiner Heiligkeit, des Patriarchen Kyrill von Moskau und ganz Russland, eine Katechistenschule eröffnet, an der alle Interessenten studieren können werden.
- Übrigens, in München wird Orthodoxe Theologie von griechischen Professoren unterrichtet...
- Nicht ausschließlich von Griechen - auch unser Vater Vladimir Ivanov[11] hat dort unterrichtet. Allerdings nur bis letztes Jahr; jetzt ist er schon im Ruhestand. Aber in München gibt es nur sehr wenige von unseren Studenten. Sie studieren lieber in Russland. Wir haben Studenten, die in den geistlichen Schulen von Moskau, am Kiewer Geistlichen Seminar und am Missionarischen Geistlichen Seminar in Poltawa studieren.
„Warum wird immer ‚Christus ist erstanden von den Toten' gesungen?"
- Wie sind ihre Verhältnisse zu Katholiken und Protestanten?
- Wir sind gute Freunde. In Deutschland müssen wir zusammenhalten. Es heißt immer: „Die Welt wird islamisiert". Seine Eminenz Hilarion (Alfeyev) hat richtig gesagt, dass wir nicht starke Muslime, sondern eine schwache Orthodoxie zu fürchten haben.
- Das wachsende Anzahl von Muslimen in Deutschland besorgt die Einheimischen. Was ist mit Ihrer Kirche, wie interagiert sie mit den Muslimen?
- Wir haben gute Verhältnisse mit allen, sind keinem gegenüber feindselig eingestellt. Ich persönlich habe zweimal an Treffen mit den muslimischen Vertretern in Berlin teilgenommen.
- Nehmen an diesen Treffen nur Orthodoxe teil?
- Nein, auch Katholiken und Lutheraner - alle Konfessionen. Wir haben einfach gemeinsame Aufgaben, die wir auch gemeinsam lösen müssen. Das sind, zum Beispiel, der Kampf gegen die Drogenverbreitung unter den Jugendlichen, gegen das Rauchen und Alkohol.
Und was die Gesamttendenz betrifft... Verstehen Sie, Muslime, also Türken, Araber u.a. - haben oft sechs oder sieben Kinder, und alle gehen pflichtgemäß in die Moschee. Und bei uns gehen die meisten nur zu Ostern und zu Weihnachten in die Kirche. Wo sind sie aber an den übrigen Sonntagen? In Berlin wohnen ja über zwanzigtausend russischsprachige Menschen. Und die meisten kommen zu Ostern und fragen, wie in dem bekannten Witz: „Wie kommt es, dass jedes Mal, wenn wir ins Gotteshaus kommen, `Christus ist erstanden von den Toten!´ gesungen wird?".
Sicherlich hängt vieles auch von den Priestern ab, von der pastoralen Predigt und Fürsorge. Deswegen geben wir uns Mühe, volle pastorale Fürsorge und Liebe zu leisten, damit kein Mensch, der zu uns gekommen ist, in dieser Welt verloren geht!
Wir werben niemanden ab. Die Deutschen kommen selbst zu uns.
- So wie ich es verstehe, nimmt die Anzahl der Katholiken und Protestanten in Deutschland ab?
- Das ist schwer zu sagen... Viele zahlen nur widerwillig Kirchensteuer. In Deutschland wird vom Arbeitslohn monatlich die Kirchensteuer abgezogen, und das Geld wird der Katholischen oder Evangelischen Kirche überwiesen, je nachdem, zu welcher Konfession der Steuerzahler gehört. Natürlich ist die Frage diskutiert worden, für die in Deutschland wohnhaften Orthodoxen ebenfalls die Kirchensteuer einzuführen; wir haben aber darauf verzichtet. Und nicht nur die Russische Orthodoxe Kirche, sondern auch die gesamte Orthodoxie in Deutschland: auch die Griechen, die Rumänen und die Bulgaren.
Obwohl es, wie gesagt, schwer ist, über die Ursachen der Senkung der Zahl der Gläubigen zu sprechen. Zurzeit werden in Deutschland viele evangelische Gotteshäuser geschlossen, da es keine Gemeindemitglieder mehr gibt. Ich denke, die Ursache dafür liegt auch an der mangelnden Jugendarbeit. Gott sei Dank, ist die Lage bei uns in der Diözese, so wie in der Russischen Orthodoxen Kirche insgesamt, im Großen und Ganzen viel besser.
- Und wie genau arbeitet unsere Kirche in Deutschland mit der Jugend? Ich weiß, es werden Weihnachtsfeiern veranstaltet...
- Ja, Weihnachtsfeiern, auch Lager für Kinder und Jugendliche. Für jedes Kirchenhaus, in jeder Gemeinde, gibt es einen Jugendvertreter, der sich für die Jugend engagiert. Es finden Jugendtreffs und Versammlungen statt, wo die Heilige Schrift studiert wird.
- Wird solche Aufklärungsarbeit auch für Deutsche durchgeführt? Finden Versammlungen statt?
- Natürlich. Zum Beispiel Vater Michail Rahr[12]: er zelebriert nicht nur auf Deutsch, sondern ist auch für Gespräche offen, er beantwortet die Fragen der Gemeindemitglieder und studiert mit ihnen zusammen die Heilige Schrift. Auch Vater Benedikt Schneider arbeitet so mit Deutschen in Göttingen.
Dabei werben wir niemanden ab. Die Menschen kommen von selbst zu uns, und das ist erfreulich. Wissen Sie, ich hatte ein Gespräch mit einem deutschen Beamten. Er hat mir gesagt: „Sie, die Orthodoxen, missionieren wahrscheinlich fleißig drauflos?" Und ich habe ihm geantwortet: „Nein. Aber wieso müssten sie missioniert werden, sie sind doch selber Christen". Ich gab ihm also zu verstehen, dass wir niemanden zwingen. Und wenn sich Deutsche zur Orthodoxie bekehren, dann machen sie es bewusst. Zuerst kommen sie nur, um zuzuschauen und zu beten. Doch dann kommen sie bereits bewusst. Es gibt ja auch Deutsche, die nach Russland umziehen und in Klöstern leben.
- ???
- Ja, solche Fälle gibt es viele. „Echte", hier geborene Deutsche ziehen nach Russland um, um dort zu leben. So nah geht es ihnen und so sehr lieben sie die Orthodoxie.
- Zählen unsere Mönche in Deutschland auch zu diesen Deutschen?
- Das sind meist ethnische Deutsche, so genannte Spätaussiedler. Aus Russland bekommen wir viele Briefe von Menschen, die ins Kloster kommen, arbeiten und beten möchten. Eine Wohnmöglichkeit gibt es aber noch nicht. Es stellt sich wiederum die Frage, die vom neuen Außenminister noch entschieden werden muss - nämlich nach den Visa für Mönche. Diejenigen, die im Kloster leben und bleiben möchten, brauchen ja Visa.
Hier sind alle viel enger miteinander, wie eine Familie
- Wie kommt es, dass in den Gemeinden in Deutschland so eine angenehme Stimmung herrscht? Die meisten Gemeindemitglieder kennen sich, sie stehen miteinander in regem Kontakt und treffen sich häufig, während in Russland die Menschen oft voneinander isoliert sind.
- In Russland sprechen alle Russisch. Aber hier bedeutet für unsere Gemeindemitglieder in die Kirche zu kommen vor allem zu beten und zweitens die Kommunikation, an der es hier manchmal fehlt. Kommunikation in der Muttersprache, in der man denkt, mit der du lebst. Natürlich sind hier alle enger miteinander, wie eine Familie. Das ist aber überall im Westen so, nicht nur in Deutschland.
Menschen, die gerade in ein fremdes Land gekommen sind, haben es sehr schwer. Sie haben vor allem Schwierigkeiten, sich zu verständigen. Viele kommen ins Gotteshaus, weil sie nach Kommunikation suchen. Wir leisten Hilfe, sowohl die Priester als auch die Gemeindenmitglieder. Zum Beispiel Hilfe bei Amtsbesuchen oder beim Ausfüllen von Formularen. Das ist auch ein Teil unserer Mission.
- Wie Mönche in Russland leben, können wir uns ungefähr vorstellen. Was bedeutet es aber, als Mönch in Berlin zu leben?
- Dasselbe wie in Moskau. Morgen- und Abendandacht, Kirchliche Dienste und Gehorsame tagsüber. Das ist sowohl Arbeit bei der Diözese als auch Arbeit bei der Bundesregierung. Es gibt nichts, was haarsträubend neu wäre. Nur eines - wir gehen hier in weltlichen Kleidern.
- Warum?
- Weil es beim jetzigen Tempo unseres Lebens bequemer ist. Zu offiziellen Treffen trägt man natürlich das Priestergewand und das Pektoralkreuz. Aber wozu ein Priestergewand tragen, wenn man einkaufen geht?
Die Politik des kämpferischen Säkularismus
- Vor einigen Jahren habe ich eine protestantische Pastorin nach dem spirituellen Leben in Deutschland gefragt, und es fiel ihr damals schwierig, eine Antwort zu geben. Was glauben Sie - besteht in diesem Lande heute ein Bedürfnis nach spirituellem Leben? Oder wird die „Kultur" der Erotikmuseen an die Stelle der Religion treten?
- Wissen Sie, wenn ich unsere Gemeindenmitglieder anblicke, sehe ich, dass sehr wohl ein Bedürfnis nach spirituellem Leben besteht. Wenn ich unsere russischsprachige Menschen hier in Deutschland anblicke, kann ich mit voller Verantwortung sagen: ja, es besteht. Die Menschen bitten um geistige Literatur oder auch um Gebetstexte. Sie bringen ihre Kommemorationszettel[13] an oder bitten darum, dass man für sie in der Lawra betet. In gewissem Sinne bekommen sie nur noch wenig, das ist schon klar. Wenn das Kloster fertig gestellt sein wird, wird sich hoffentlich auch ein erfüllendes kirchliches Leben einstellen.
- Bei den Russen ist die Sache klar. Aber wie ist die Lage mit dem spirituellen Leben der Deutschen?
- Leider ist die Politik des kämpferischen Säkularismus auch eine Art Religion, die keine andere Religion duldet. Sicherlich hat das einen Einfluss auf die Jugend. Diese ganzen Diskos.... Wir sollen den Menschen, vor allem auch den Jugendlichen, das Wort Christi antragen. Wir - das heißt, sowohl die Orthodoxen als auch Katholiken und Evangelen - alle Christen sollten versuchen, sie für die Kirche zu gewinnen. Dann wird sich etwas ändern. Es ist offensichtlich, dass die Jugend sehr weltlich geworden ist. Die Mehrheit der deutschen jungen Menschen hat leider kein Interesse an der Kirche. Für sie ist es interessanter, in die Disko zu gehen oder Zeit in einer Bar zu verbringen. Das ist heutzutage nicht nur in Deutschland so, sondern überall in Europa. Nehmen Sie Frankreich, wo die Regierung verboten hat, Brustkreuze und Kopftücher zu tragen. Darin äußert sich der kämpferische Säkularismus.
Alles hängt von uns ab - und nicht nur von den Priestern, sondern von allen Christen. Wir sollten die Wahrheit durch unser eigenes Bespiel, durch unsere Liebe zeigen. Nicht indem wir drängen: „Komm, wir gehen in die Kirche!", also nicht durch Zwang. Sicher: wenn der Mensch noch klein ist, wird er mitkommen. Aber später will er dann nicht mehr mitgehen. Aber wenn man mit Liebe und gutem Beispiel vorangeht, dann ist das etwas anderes.
Ich kenne viele Beispiele dafür, dass Mädchen, als sie klein waren, von ihren Großmüttern ins Gotteshaus mitgenommen wurden. Und dann sind die Mädchen groß geworden und haben gesagt: „Ich will nicht mehr. Ja, ich glaube an Gott. Ja, ich werde in die Kirche kommen, um eine Kerze aufzustellen und kurz zu beten; aber zu den Gottesdiensten oder in die Gemeinde will ich nicht mehr gehen!"
Oder auch (Gott sei Dank gibt es so etwas hier nicht, aber in Russland schon) die alten Frauen: Wenn ein Mensch zum ersten Mal ins Gotteshaus kommt und fragt, wo man die Kerze hinstellen kann, und daraufhin von einer alten Frau einen Sturm der Entrüstung erntet... Wenn es sich um eine Frau handelt, bekommt sie zu hören; „Wieso bist du mit geschminkten Lippen gekommen, was hast du für einen Rock, was hast du für Absätze?! Und du weißt ja noch nicht einmal, wo man die Kerze hinstellt."
Solche Fälle gibt es viele. Daher scheuen Menschen manchmal davor zurück, ins Gotteshaus zu gehen. Und das Problem liegt an uns selbst. Wir selbst müssen anders werden und den Menschen mit Liebe, Gutherzigkeit und Wärme entgegenkommen. Dann werden die Menschen Christus hören und sehen und IHM folgen.
Interviewer: Wassili Rulinskij
[1] Russ.: «Мы в России и Зарубежье», http://www.mywe.ru/. (Anm.d.Ü.)
[2] Archimandrit Ioann (Krestjankin) (1910 - 2006) ist einer der bedeutendsten und meistverehrten geistlichen Vorkämpfer und Starzen der Russischen Orthodoxen Kirche des 20 Jahrhunderts. (Anm.d.Ü.)
[3] Jung-Mönch oder Rjasophor-Mönch (russ.: инок, рясофорный монах) ist in der Orthodoxen Kirche eine Stufe des monastischen Lebens zwischen Novize und Mönch, also jemand, der zwar bereits die Mönchskleidung (Rjasophor) trägt und das Leben eines Mönchs führt, jedoch noch kein Gelübde abgelegt hat. (Anm.d.Ü.)
[4] Heute Erzbischof Feofan (Galinskij, russ. Феофан Галинский) von Berlin und Deutschland, damals (1995) Bischof von Berlin und Deutschland. Erzbischof Feofan, mit weltlichem Namen Oleg Iwanowitsch Galinskij, wurde am 8. Juli 1954 in Belaja Zerkow im Kiewer Gouvernement geboren. Er studierte seit 1972 am Leningrader Geistlichen Seminar und ab 1977 an der Geistlichen Akademie. Am 4. Januar 1976 wurde er zum Mönch geweiht und erhielt den Namen Feofan. 1976 empfing Vater Feofan die Weihe zum Diakon und ein Jahr später die Weihe zum Mönchspriester. Nach Abschluss seines Studiums in Regensburg (1977-1979) nahm er die Lehrtätigkeit an der Leningrader Geistlichen Akademie (heute St. Petersburg) auf. Der Aufenthalt im Westen gab ihm die Möglichkeit, hiesige Kirchen zu besuchen und das Christentum des Abendlandes kennen zu lernen. 1985 wurde er zum Archimandriten erhoben. Im gleichen Jahr wurde er Inspektor der Leningrader Geistlichen Akademie. Am 11. Januar 1987 erhielt Archimandrit Feofan die Bischofsweihe und wurde zum Bischof von Kaschira, Vikar der Moskauer Diözese, berufen. Im Jahre 1988 reiste Bischof Feofan in die Tschechoslowakei, wo er bis 1990 der Russisch-Orthodoxen Kirche von Karlowi Wari (Karlsbad) vorstand. Am 31. Januar 1991 wurde er zum Bischof von Berlin und Leipzig (einer der drei russischen Diözesen in Deutschland) ernannt. Unter seiner Leitung wurden dann alle russisch-orthodoxen Kirchengemeinden der drei Diözesen in Deutschland vereint, und so wurde ihm am 23. Dezember 1992 der Titel des Bischofs von Berlin und Deutschland verliehen. Am 23. Februar 1996 wurde Bischof Feofan vom Patriarchen Alexij II. zum Erzbischof erhoben. Seit 1994 ist er ständiges Mitglied der Theologischen Kommission des Hl. Synods der Russisch-Orthodoxen Kirche sowie Mitglied verschiedener ökumenischer Gremien. Für sein Engagement und seine Verdienste wurde Erzbischof Feofan von seiner Kirche mehrfach ausgezeichnet. (Anm.d.Ü., nach http://www.russische-kirche-l.de/deutsch/l-feofan-d.htm)
[5] Archimandrit Ioann (Krestjankin). (Anm.d.Ü.)
[6] Der damalige Vorsteher der Dreifaltigkeits-Kirche in Riga. (Anm.d.Ü.)
[7] Herbstmarathon (russ. Осенний марафон) ist eine sowjetische Tragikomödie von 1979. (Anm. d.Ü.)
[8] Erzbischof Mark (Arndt) von Berlin und Deutschland wurde 1941 in Chemnitz geboren. Während seines Slawistikstudiums in Heidelberg konvertierte er 1964 zum russisch-orthodoxen Glauben. Nachdem er zum Dr. phil. Promovierte, studierte er in Belgrad Orthodoxe Theologie und erwarb 1979 das theologische Diplom. 1975 wurde er zum Priestermönch und 1980 zum Bischof der Russisch-Orthodoxen Kirche im Ausland (ROKA) geweiht. Zugleich führt er als Abt seit Jahrzehnten die Mönchsgemeinschaft des Klosters zum Hl. Hiob von Počaev in München. Ab 1980 war Mark Arndt Bischof von Stuttgart und Süddeutschland, 1982 erfolgte die Ernennung zum Bischof von Berlin und Deutschland. 1990 wurde er in den Rang eines Erzbischofs erhoben. Er leitet die zur Russisch-Orthodoxen Auslandskirche gehörende Russische Orthodoxe Diözese des orthodoxen Bischofs von Berlin und Deutschland. In seine Zuständigkeit als Bischof in Deutschland fällt auch die Diözese Großbritannien, die Gemeinde in Kopenhagen und die „Russische Geistliche Mission" in Jerusalem. Erzbischof Mark setzte sich intensiv dafür ein, dass sich die Russisch-Orthodoxe Auslandskirche mit der Russisch-Orthodoxen Kirche - Moskauer Patriarchat vereinigt. Mark war der wichtigste Verhandlungspartner auf Seiten der Auslandskirche. In der ganzen Orthodoxie wurde er spätestens durch seine Ansprache auf dem IV. Gesamtkonzil der Russischen Auslandskirche in San Francisco bekannt, in der er sich vehement für einen Zusammenschluss beider Kirchen aussprach und auch Fehler der eigenen Kirche eingestand. Sein publizistisches Organ ist die Zeitschrift "Der Bote der deutschen Diözese der Russisch Orthodoxen Kirche im Ausland". (Anm.d.Ü., nach http://de.wikipedia.org/wiki/Michael_Arndt_(Geistlicher))
[9] Erzpriester Dr. theol. Peter Plank (1951-2009) wurde am 22. März 1951 in Neustadt a. d. Donau (Bayern) in der Familie eines Eisenbahnbeamten geboren. Die Eltern des zukünftigen Priesters gehörten der römisch-katholischen Kirche an. Nach Beendigung des Gymnasiums studierte Peter Plank von 1970 bis 1973 an der katholischen theologischen Fakultät der Regensburger Universität und anschließend von 1973 bis 1975 an der Pontificia Universita Gregoriana in Rom, wo er mit dem Bakkalaureat in Theologie abschloss und zum Diakon geweiht wurde. Von 1975 bis 1980 studierte er Ostkirchenkunde und Byzantinistik in Würzburg, wo er seit 1976 als wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Ostkirchenkunde tätig war. Im Jahr 1980 schloss er seine Doktorarbeit ab und 1986 im Fach „Kirchengeschichte des Altertums und Patrologie" seine Habilitationsschrift. Seine vielseitige Tätigkeit in Wissenschaft und Lehre an verschiedenen deutschen Universitäten dauerte bis zum Jahr 2008. Bis dahin publizierte Vater Peter zwei Monographien, über 40 Beiträge in theologischen Handbüchern und Zeitschriften, verfasste über 100 Beiträge für theologische Lexika, redigierte und publizierte kirchliche Hymnentexte und kanonische Schriften. Bei aller Breite und Vielfalt der von Vater Peter behandelten theologischen Themen stand im Zentrum seines Interesses stets die Heilige Schrift und die altkirchliche Tradition ihrer Auslegung. Stets war es sein innerstes Anliegen, diese für das geistliche Leben des heutigen Menschen und für die gegenwärtige kirchliche Praxis fruchtbar zu machen. 1989 zum Priester geweiht, trat Vater Peter im Jahr 1992 zur orthodoxen Kirche über und wurde Kleriker der Russischen Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats. Nachdem er für kurze Zeit Vorsteher der Gemeinden des Moskauer Patriarchats in Stuttgart und Tübingen war, widmete er sich seit 1993 ganz dem Aufbau der von ihm in Würzburg gegründeten Gemeinde zur Verkündigung an die Allheilige Gottesgebärerin, deren Vorsteher er bis zu seinem frühen Tod blieb. bis zu seinem frühen Tod blieb. Die charismatische Persönlichkeit von Vater Peter hinterließ eine unauslöschliche Spur in den Seelen hunderter Menschen, die zu ihm kamen. Seine selbstlose Hingabe an Gott und sein flammender Eifer für den orthodoxen Glauben drückten sich in der strengen Beachtung des Typikon beim Vollzug der Gottesdienste aus, für das er selbst in langjähriger Arbeit zahlreiche Hymnentexte und Gebete aus dem altgriechischen Original ins Deutsche übersetzte; aber auch in seinen tiefgründigen Predigten, die nicht selten theologischen Vorlesungen glichen, und in vielstündigen Gesprächen mit seinen geistlichen Kindern, die zu ihm zur Beichte kamen oder Rat erbaten, sowie in der immensen Bedeutung, die Vater Peter der katechetischen Arbeit beimaß. Für seine mehr als dreißigjährigen Mühen wurde er mit dem Orden des hl. Fürsten Vladimir „für kirchliche Verdienste" ausgezeichnet und des Erzpriestertitels gewürdigt. (Anm.d.Ü., nach http://www.rok-wuerzburg.de/index.php?id=27)
[10] Bei jeder Liturgie wird für die Errichter des jeweiligen Gotteshaus gebetet. (Anm.d.Ü.)
[11] Erzpriester Vladimir Ivanov ( geb.1943) ist ein orthodoxer Theologe. Er studierte zuerst Kunstgeschichte an der Historischen Fakultät der Universität Sankt Petersburg und danach Theologie an der Moskauer Geistlichen Akademie, wo er zum Dr. theol. promoviert wurde. Von 1975 bis 1987 unterrichtete er an der Moskauer Geistlichen Akademie. 1987 wurde er Chefredakteur der Zeitschrift „Stimme der Orthodoxie". Ivanov war Gastprofessor an den Katholischen Theologischen Fakultäten der Universitäten Frankfurt am Main (1991) und Wien (1994) und hielt Gastvorlesungen an den Universitäten Houston, Austin und Lubbok (USA, 1993). 1994 erhielt er Lehraufträge an der Evangelischen Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität Berlin und an der Johann-Wolfgang-von-Goethe-Universität in Frankfurt am Main (Historisches Seminar/Osteuropäische Geschichte; 1994-1998). Von 1995 bis 1998 nahm er eine Gastprofessur an der Ausbildungseinrichtung für Orthodoxe Theologie der Universität München wahr und wurde am 7. April 1999 zum Professor für Praktische Theologie an der Ausbildungseinrichtung der Universität München ernannt. (Anm.d.Ü., nach http://de.wikipedia.org/wiki/Vladimir_Ivanov)
[12] Erzpriester Mihail Rahr wurde 1963 als Sohn russischer Emigranten, die schon in der dritten Generation als Teil der so genannten "weißen Emigration" im Westen lebten, geboren und erwarb sein Abitur in Bayern. Er ist eines von sechs Kindern, die alle patriotisch in Liebe zu Russland erzogen worden sind. Getrieben durch den Wunsch, seinem Mutterland als Geistlicher zu dienen, absolvierte er das Priesterseminar in Jordanville, N .Y., USA und die theologische Fakultät in Preschov (Slowakei). Danach, von 1992 bis 1995, unterrichtete er am Priesterseminar in Minsk (Weißrussland). 1996 erhielt er die Diakon- und 1997 die Priesterweihe. Seit 2000 dient er als Vorsteher der Kirche zur Hl. Maria Magdalena in Weimar. Zurzeit ist er auch Vorsteher der deutsprachigen Gemeinde des Hl. Isidor von Rostov in Berlin. Zu seinen Aufgaben gehören auch die Verwaltung der Kanzlei der Berliner Diözese der Moskauer Patriarchie in Berlin-Karlshorst und die Mitgliedschaft im Kirchengericht der Berliner Diözese. Für seine wichtigste Aufgabe hält er die Seelsorge, also die Sorge um das Heil der ihm anvertrauten Seelen. (Anm.d.Ü.)
[13] Kommemorationszettel sind Listen mit Namen von lebenden und entschlafenen Christen, derer gedacht werden soll. Während der Priester Brot und Wein für die Eucharistie vorbereitet, nimmt er für jeden Genannten ein Teilchen des geweihten Brotes (Prosphore) heraus und legt es nach der Eucharistie in den Kelch mit dem Blut Christi. So wie das Blut Christi das Teilchen anfüllt, wird die Gnade Gottes den Gedachten anfüllen und seine Sünden bereinigen. (Anm.d.Ü.)