Vor vielen Jahren hat in einer seiner Predigten Vater Sergej Bulgakow die Himmelfahrt einmal als Freude des Abschieds bezeichnet. Und in der Tat! Wenn wir uns hineindenken in die Worte, die Christus im Evangelium zu uns sagt, als Er seinen Jüngern voraussagt, dass Er sterben muss und die Zeit des Abschieds kommen wird, dass sie Ihn nicht mehr finden können und Er für immer zu Gott, zu seinem Vater, geht, können diese uns sehr anrühren. Er betet zu Seinem Himmlischen Vater für Seine Jünger: Er bittet darum, dass ihnen die Fülle Seiner Freude geschenkt werde und sie sie in sich spüren mögen. Wie kann es aber sein, dass wir, die wir Abschied nehmen von unserem Heiland, von Seiner Freude erfüllt sein können und uns dabei nicht für Ihn, sondern zusammen mit Ihm für uns und für die ganze Welt freuen?
Diese Freude ergibt sich nicht einfach so. Um diese Freude Christi zu empfinden, muss man sich lösen von all dem Irdischen, woran wir uns bei Christus so gewöhnt und so an Ihm geliebt haben. Ihr erinnert euch wahrscheinlich an Erzählungen aus dem Evangelium, in denen Christus Seinen Jüngern nach Seiner Auferstehung erschienen ist. Der Heiland erschien Maria Magdalena am Grab. Sie war aber so in ihr Leid vertieft, dass sie Ihn nicht erkannte. Sie war ganz in sich gekehrt und hatte Ihn damit verloren. Als der Heiland sie jedoch beim Namen nannte, drang dieses Wort Maria tief in ihr Herz und ihre Seele. Sie fiel Ihm vor die Füße und wollte Ihn halten, vielmehr sich selbst halten an Seinem auferstandenen Leib. Doch Christus sagte zu ihr: Berühre Mich nicht, denn Ich bin noch nicht heimgekehrt zu Meinem und eurem Vater! Sie war noch immer ganz erfüllt von dem Leben Christi auf der Erde. Sie wollte zurückkehren in jene Tage der Freude, die die Menschen um Ihn herum erlebt hatten. Doch diese Freude gehörte nun der Vergangenheit an, denn zwischen jenen Tagen des Lebens Christi auf der Erde und dem Christus von jetzt, Den wir heute kennen, ist ein Schwert gefallen. Dazwischen stehen der Tod, das Kreuz und Sein Abstieg in die Hölle. Dazwischen liegt ein kurzer, doch wegen seiner scheinbaren Hoffnungslosigkeit, grausamer Abschied.
Und nun ist Christus in den Himmel hinaufgefahren. Einem Christus, wie Ihn uns das Evangelium beschreibt, können wir so auf der Erde nicht mehr begegnen, denn Er hat sich uns bereits als Gott und vollkommener Mensch offenbart. Diese einfache Nähe, die zwischen Ihm und Seinen Jüngern bestand, diese irdische Freundschaft, ist nun hinter etwas anderem zurückgetreten. Wir kennen Christus im Leibe nun nicht mehr – wie es der Apostel Paulus sagt – wir kennen Ihn nur im Geiste.
Als der Heiland von Seinen Jüngern Abschied nahm, sprach Er zu ihnen: Ich lasse euch nicht als Waisen zurück. Ich sende euch den Geist, den Tröster, der vom Vater ausgeht. Er wird euch alles lehren.
Und zu Pfingsten kam der Geist Gottes über die Kirche und erfüllte sie mit Seiner Gegenwart. Er eröffnete der Kirche neue, unendliche Tiefen eines neuen Verständnisses von Christus Selbst, Der nun nicht einfach nur mehr ein Meister war, nicht nur ein Lehrer oder einfach ein Freund, nicht nur der Messias, der Gesalbte Gottes, oder ein Prophet oder Wundertäter. Durch die Offenbarung des Geistes offenbarte sich Christus als MENSCH, nicht jedoch als einer unter den Menschen, sondern als DER VOLLKOMMENE MENSCH, Der damit allen aufzeigt hat, was EIN MENSCH ist. Gleichzeitig offenbarte Er sich uns auch als Gott. Doch dies hatten bereits seine Jünger gefühlt und geahnt. Jetzt jedoch wissen wir es. Wir sehen es und wissen es aus Erfahrung: Er ist unser Herr und Gott.
Die Gabe des Heiligen Geistes gibt uns durch die Kraft Gottes die Möglichkeit, an dem teilzuhaben, was niemandem anderen gehört, als dem Sohn Gottes, Der zum Menschensohn geworden war. Seine Auferstehung war wie ein Wunder in Seinem gottmenschlichem Leben. Unsere Teilhabe an Ihm durch den Heiligen Geist - durch die Kommunion der Heiligen Gaben und durch die Taufe, denn durch Sein Blut und Seinen Leib werden wir Er Selbst - macht auch für uns all das möglich, was Ihm Selbst möglich war: Mensch zu sein im vollkommenen Sinn dieses Wortes, ein Mensch zu sein, der zur wahren Größe des Menschseins herangereift ist, ein Mensch, der nicht nur auf der Erde lebt, sondern gleichzeitig im Himmel zu Hause ist. Denn der Mensch wird erst dann wahrhaft Mensch, wenn er sich mit Gott vereinigt, wenn er in Gott ist und Gott in ihm, wenn er ein Mensch ist, wie es Christus gewesen ist, und zu Gottes Sohn wird, nicht durch Geburt, sondern als Gabe und Teilhabe.
Wo ist nun unsere Freude? Sie ist in den Himmel aufgefahren. Christus hat in die Tiefen der Heiligen Dreifaltigkeit jenes Fleisch mit Sich geführt, welches die Menschheit und die Erde Ihm durch die Gottesmutter geschenkt haben. Nun hat das Mysterium Mensch in den Tiefen von Gottes Schoß sein Platz gefunden. Wir haben nicht wirklich Abschied von Ihm nehmen müssen, denn durch den Heiligen Geist sind wir nun auf immer mit Ihm verbunden. Wenn wir nun all das, was mit Ihm geschehen ist, sehen und auch bereit sind, an all dem teilzuhaben, was Ihm wiederfahren ist, dann werden wir auch Seiner Freude teilhaftig und so voller Freude begreifen lernen, dass der Welt das Heil bereitet und alles besiegt ist, was den Menschen zu einem niedrigen Wesen gemacht hat, das Gott nicht kannte. Nun sind wir Sein, ja sind Seine Familie. Nun können wir in der Freude Christi jubeln: Nicht nur über Seinen Sieg, sondern auch darüber, dass sich vor uns ein neues Bild von Gott eröffnet hat und ein neues Verständnis des Menschen: jene so große und wunderbare Wertschätzung des Menschen, die sich die Menschheit vor Christus nicht zu träumen gewagt hatte: dass wir Menschen dazu berufen sind, Söhne und Töchter Gottes zu werden und an allem teilzuhaben, was Christus gehört, also auch an der ewigen Göttlichen Herrlichkeit.
Amen.