Informationstreffen Orthodoxes Theologiestudium
Welche Möglichkeiten zum Studium der Orthodoxen Theologie bzw. zum Besuch von Vorlesungen des Orthodoxen oder Byzantinischen Fachbereichs gibt es in Europa? Wie können wir mehr über  die Unterschiede zwischen den christlichen Konfessionen erfahren? Was ist die orthodoxe Sichtweise zur Stellung der Theologie in der geistlichen Lebensführung? Wie hat sich die liturgische Theologie seit dem dem 2. Vatikanischen Konzil entwickelt? Diese und viele andere Fragen wurden auf dem Informationstreffen im Phoenixhof diskutiert, das vom 2.-4. Juni 2010 stattfand und im Folgenden protokolliert wird.
Статья

Protokoll

Informationstreffen Orthodoxes Theologiestudium
Phoenixhof des Phoenixbundes in Weroth im Westerwald, Mittelstraße 6
2. – 4. Juni 2010

Anwesend: Alexej Stachowitsch (Gastgeber), Vr. Johannes (Orthodoxe Gemeinde Hl. Christophorus / Mainz), Vr. Paissij (Skite Hl. Spyridon / Geilnau), Ra Christoph Müller-Gebel (Referent) – Gäste: Alexander, Andreas, Arsenij, Benjamin, Dennis, Igor, Johannes, Matthias, Peter, Sebastian, Slava, Vitalij. 

 

Mittwochabend, 2. Juni 

Nach Eintreffen des größten Teils der Teilnehmer gegen 19 Uhr wird eine kleine Nachtwache in der „Katakomben-Kirche“ im Keller des Phoenixhofes abgehalten (mit verteilten Lesungen), danach gemeinsam ein Abendessen zubereitet. Es folgt eine allgemeine Vorstellungsrunde mit lebhaftem Bericht unseres orthodoxen Gastgebers „Axi“ (91-jährig!) über die jugendbündische Arbeit des Phoenixhofes. 

Vr. Johannes hält einen Abendvortrag über den Anfang des Johannesevangeliums. Sein Beginn: „Im Anfang war das Wort“ geht aus vom „hochphilosophischen“ Begriff Logos, der im Griechischen mehr aussagt als das deutsche „Wort“. Es umfasst im Griechischen die Bedeutungen: Wort, Sinn, Logik, Ordnung, Struktur, kurz „das, was die Welt im Innersten zusammenhält“. Diesen höchsten philosophischen Wert der Griechen okkupiert der Fischer Johannes und behauptet, dieser Logos sei Gott, genauer, Jesus von Nazareth. Allein diese Identifikation von „Logos“ mit einer historischen Person, noch dazu mit einem am Kreuz Hingerichteten, kommt einer philosophischen Blasphemie gleich. Doch damit nicht genug, ergreift er zugleich das Niedrigste in der Skala des griechischen Wertesystems: „Fleisch“ (griech. sarx), welches schwitzt, verdirbt und verwest. Diese beiden Begriffe der Griechen, den höchsten und den niedrigsten, backt er nun in einem winzigen Satz zusammen: „Das Wort ward Fleisch“. Diese vier Worte enthalten die höchste und brennendste Provokation des griechischen Denkens. Es ist der wohl revolutionärste Satz der Weltgeschichte. Der neue Glaube ist nicht ideell, sondern personal und in der Geschichte verankert. Er vereint himmlisch-jenseitige und irdisch-diesseitige Welt in der Person des Gottmenschen Jesus Christus. Damit ist zugleich die Person als höchster Wert durch das Christentum manifestiert. Sie steht in der Reihe vom leblosen Mineral über die lebendige, ortsgebundene Pflanze und das bewegliche Tier an der Spitze der geschaffenen Welt. Sie wird nur noch überragt von der göttlichen Überperson des dreieinen Gottes der Christen.

Aber erst, wenn der Geist als höchsten Wert die Person bestimmt, überhöht noch in der Überperson des dreieinen Gottes der Christen und in Verbindung mit der damals schon vorgegebenen Abwendung von den heidnischen Göttermythen, „kippt“ das Heidentum allmählich zum Christentum. Dieses okkupiert die griechische Geisteswelt, greift auch zur Gewalt gegen die existierenden Reste der heidnischen Religion mit Zerstörung ihrer Tempel. Das erzeugte Abneigung bei dem Sohn Konstantins des Gr. Julian Apostata. Er wollte das philosophisch-antike Erbe religiös aufwerten, mit dem Aufgreifen der platonischen Philosophie in einem liturgischen Gewand. Doch dieser Neoplatonismus kam nach dem 1. Ökumenischen Konzil zu Nicäa 325 n. Chr., dem 1. Konzil aller Bischöfe, gegen die gelebte Wirklichkeit des Christentums nicht an. Die festen innerkirchlichen Strukturen (Bischof, Priester, Diakon), das Glaubensbekenntnis, die feierlichen Liturgien, der Kanon des Alten und Neuen Testaments, die Person Jesu Christi, widerstanden jeder religiös bemäntelten Philosophie, die nur in Begriffen reden konnte. – Vr. Johannes verteilt zum Thema ein katechetisches Faltblatt (vgl. Anlage, anforderbar). 

Nachdem am Abend noch drei Gäste aus Wuppertal / Dortmund eintrafen, umreißt Vr. Johannes die aktuellen Möglichkeiten orthodoxen Theologie-Studiums in Europa. Vor allem in Russland und Griechenland (mit Kenntnis der Sprache), aber auch in Frank-reich (französisch!) und Deutschland lässt es sich studieren: in Russland „in dichtester Atmosphäre“ in geistlichen Seminaren (ohne Abitur 4 Jahre, mit Aufnahmeprüfung), oder in gehobener Form an geistlichen Akademien in Moskau und St. Petersburg. Auch an der Universität Thessaloniki werden sehr gute Vorlesungen gehalten. Griechisches Sprachdiplom zur Zulassung an der Universität erforderlich. In Paris gibt es die orthodoxe Fakultät St. Serge ( Französischkenntnisse erforderlich ). Etwas außerhalb in einem Frauenkloster gelegen, gibt es eine ganz junge theologische Hochschule des Moskauer Patriarchats, die sich noch im Aufbau befindet. Voraussetzung sind russische Sprachkenntnisse. In München studiert man am orthodoxen Fachbereich, der mit dem römisch-katholischen und evangelischen Fachbereich zusammen die theologische Fakultät bildet. Die Vorlesungen werden in deutscher Sprache gehalten. Es besteht die Möglichkeit jeweils auch an Veranstaltungen der anderen Fachbereiche teilzunehmen.

Es wird darauf hingewiesen, wie wichtig ein geistlicher Rahmen des Studiums ist. Die Teilnahme am kirchlichen Leben, die Nähe zu geistlichen Vätern und einer Gemeinde sollte Voraussetzung für ein Theologiestudium sein. Ebenso eine persönliche geistliche Lebensordnung. Wissenschaft ist nur Werkzeug orthodoxer Theologie. Mit Blick auf die anderen Glaubenstraditionen soll die Kenntnis der orthodoxen Tradition zum substantiellen Dialog mit diesen befähigen.

Donnerstag, 3. Juni

Nach der gemeinsam vorbereiteten „Laudes“ (Morgengebet) in der orthodoxen Kapelle im unteren Geschoß und dem nachfolgenden Frühstück gibt Vr. Johannes vortragsweise einen Einblick in das „Logos“-Verständnis von Goethes Faust. Dieser gelangt bei seinen Übertragungsversuchen vom Wort über den Sinn und die Kraft zur Tat. In diesen wenigen Zeilen wird in genialer Weise die Perversion der Aussage des Johannesevangeliums in seinem Prolog über den Schöpfer- und Erlösergott hin zum Menschen der Tat, dem homo faber, präsentiert. Ein Mensch verzweifelt an der Wissenschaft, und paktiert, um das Geheimnis der Natur zu enträtseln, letztlich mit dem Teufel. Dabei wird er von Trieben geführt und verführt. Er hegt die Illusion, das Böse sei nur eine Kraft, „die das Gute schafft“. Hier begegnet uns das idealisierte Welt- und Menschenbild der Aufklärung. Der nicht eben tiefgläubige Dichter- und Kulturkreis der Goethezeit verkennt das Negative und den Widerspruch und verfällt so „logisch“ dem Widersacher. Das neuzeitliche „Faustische“ ist gekennzeichnet von Emotionalität und Selbstbezogenheit statt von Vernunft und Nächstenliebe.

Die Diskussion weist auf den Briefwechsel Tolstoi / Solowjow hin, wo auch das Streben nach Höherem, nach Unsterblichkeit thematisiert wird. In Hinblick auf Goethe wird die Möglichkeit einer geistigen Annäherung des russischen und deutschen Volkes vermutet. Es wird die Frage nach dem Verhältnis von Weisheit (AT) und Logos (NT) gestellt. Die Antwort aus dem 1. Korintherbrief widerlegt eine spezielle „Sophiologie“. Ergänzend wird Baruch 3, 83 herangezogen. Als sehenswerte Filme werden benannt: „Vision“ über Hildegard von Bingen, „Lourdes“ über Wallfahrt und Heilung, „Pop“ über orthodoxe Priester im 2. Weltkrieg, und „Ostrow“ (Insel) über ein Kloster am Eismeer. 

Nach Pause und Eintreffen des Referenten, Ra Christoph Müller-Gebel beginnt dieser mit einem Vortrag zur Problematik der reformatorischen (lutherischen) Theologie im Verhältnis zur Orthodoxie. Im klassischen Luthertum ist Gott gerecht. Es geschieht alles aus Gnade. Gerechtfertigt wird der Sünder durch den Glauben an das Evangelium Jesu Christi. Nicht durch das Gesetz wird der erlösungsbedürftige Mensch gerettet. Gottes Zorn und Ungnade bewirkt aber auch Tod und „ewige Verdammnis“. Aus dieser Frage entsteht die Unruhe, ob Gottes Gerechtigkeit Erlösung schlechthin bewirkt. Es entspringen die Zweifel, ob Gott wirklich gut ist, ob Er die Hölle erschaffen hat. Hierzu äußert sich der orthodoxe Theologe Alexandros Kalamiros in der Abhandlung „Strom aus Feuer“. Der Referent erarbeitete eine deutsche Übersetzung, welche in voller Länge verlesen wird („wer studiert, ist leidensfähig“). Der Inhalt wird deshalb hier nicht wieder gegeben (kann englischsprachig über Internet herunter geladen werden). Dieses Protokoll beschränkt sich auf wenige Aspekte und wesentliche Punkte der Diskussion. Im Zeitalter der Apostasie, des „Erkaltens der Liebe“, des Atheismus kommt es in der westlichen Theologie zu einer „Verleumdung“ Gottes. Er sei rachevoller Inquisitor, Verfolger statt Arzt, ein „äußerst gefährlicher Gott“, der die ewige Qual für Sünder erschaffen hat. Der Verleumder Diabolos flüstert ein, Gott sei der wahre Urheber des Bösen. Gleichzeitig suggeriert er natürliche Unsterblichkeit und den Menschen als Maß aller Dinge. Das juridische Konzept menschlicher Gerechtigkeit wird dem „ungerecht“ richtenden Gott entgegengesetzt. Stolz und Hochmut eines universellen Heidentums wiederholt den Ungehorsam Adams. Gott ist aber nicht unbarmherzig, sondern Liebe, Güte, Gnade. Diese göttlichen Energien bewirken die Rettung. In ebenbildlicher Entscheidungsfreiheit antwortet der Mensch auf die göttliche Liebe mit Hass. Nach dämonisch-rationalistischem Denkmodell vergibt und straft deshalb Gott, ist also eine ewige Instanz der Erlösung und des Übels. Der Schöpfer des Universums setzt aber dem Übel ein Ende (Sintflut), befreit sogar durch Christus alle Toten, nicht nur die Gerechten aus dem Hades. Raum und Zeit wird gesprengt nach der Auferstehung im Licht. Es gibt kein Bedürfnis nach Bestrafung mehr, denn die Bücher der Herzen werden geöffnet. Der Gott des Lichts, der Wahrheit, der Liebe beleuchtet unsere freien Entscheidungen. Im Menschen, nicht in Gott, scheiden sich Himmel und Hölle, Verdammnis und Paradies. Gott bleibt sich ewig gleich, den einen als liebendes und den anderen als verzehrendes Feuer. Diese Liebe „wird euch verfolgen wie ein Strom aus Feuer“, den einen zur Wärme, den anderen zum Brand. 

In der Diskussion entbrennen die Meinungen über „Fromme und Gefallene“, über das Bedrückende und Befreiende im Gottesbild des Richters. In Christus bringt Gott das letzte Opfer, um den Hades, die Hölle, das Reich des Teufels zu zerstören. Bleibt dieser nun, bei Hiob noch in der himmlischen Ratsversammlung geduldet, Herr „ewiger Verdammnis“? „Axi“ fragt nach der Endgültigkeit des Ortes der Verdammnis. Gegen Origenes Apokatastasis (Wiederherstellung) spricht die Aktualität des „Jüngsten“ Gerichts, die „Verewigung des Augenblicks“ unserer Handlungen. Auch bleibt der ‚Graben’ zwischen dem Armen Lazarus und dem Reichen unüberbrückbar. „Selbstverdammung“ ist die Hölle, und die Chance der Verdammten liegt in der Lebenszeit. Fürbitten und Gebete der Lebenden mögen eine Rolle spielen. Wie passt aber die „Unveränderbarkeit“ zum Äon der „Neuen“ Welt? Muss „Ewigkeit“ statisch verstanden werden, oder gibt es Entwicklung? Vr. Paissij, der inzwischen eintraf, bemerkt: bei der Auferstehung der Leiber wird es Veränderung geben, „aber nur in der Richtung, die eingeschlagen ist“. Gottes Reich ist potentiell unendlich, und die Liebe Christi wird alles überwinden. Apokatastasis ist zwar eine Häresie, bleibt aber doch heimliche Liebe und Hoffnung. Es wird auf die Entgegnung zu Kalamiros: „The river of fire – refuted“, hingewiesen. 

Nach längerer Mittagspause spricht Vr. Paissij über das Thema: „Wie studiere ich sinnvoll orthodoxe Theologie im Rahmen einer geistlichen Lebensführung“. Vater Johannes hatte provozierend gefragt: „Sollten Studenten nicht lieber gleich auf den Athos gehen?“ Doch gibt es auch die Freude am Wissen in der Theologie. Setzt man dieses jedoch absolut, dann kann das Ergebnis sein, wie Faust sagt: „Habe nun ach mit heißem Bemüh’n ... Da steh’ ich nun, ich armer Tor... und sehe, dass wir nichts wissen können“. Das Innerste der Welt erkennen wollen, heißt „nicht mehr in Worten kramen“. Doch meint „Theo-Logie“ durchaus den Sinn vernunftgemäßer Rede. Faust hingegen ergab sich der Magie und dann der Irreleitung durch den Pudel (dem Teufel) beim Osterspaziergang. Ähnlich hinterließ das Reden der Schlange über Gott in Gen. 3,1 („sollte Gott gesagt haben ...?“), nach Erkenntnis des Guten und Bösen, als erstes Ergebnis die Erkenntnis der Nacktheit. Vr. Paissij kommt zum Kern seines Vortrags: Theologie an der Universität ist oft 1) leeres Reden ü b e r Gott. Fromme Inhalte ohne eigene Verbindung zu Gott sind ein Selbstbetrug. Nur so können protestantische Pfarrer zu Arianern werden: das evangelische Prinzip Sola Scriptura gründet letztlich auf dem Solus Ego. Hieraus erzeigt sich die zentrale Bedeutung des Gebets. Beten heißt 2) Reden m i t Gott, statt über ihn. Die heiligen Väter betonen: „Wer betet, ist ein Theologe; und ein Theologe ist einer, der betet.“ Theologie studieren bedarf unbedingt der Verbindung mit der Herkunftsgemeinde. Das Gebet des orthodoxen Christen steht im Kontext der Kirche, auch das offizielle Gebet. Deshalb gibt sich niemand selbst die Ehre. Studieren auf eigene Faust führt in die Situation des Faust. Vr. Paissij möchte nicht gegen das Theologiestudium sprechen, aber die Gefahr aufzeigen. Krieger Christi können normale Kämpfer sein, oder sich ausbilden lassen zum „Oberkommando“. Selbstverständlich braucht es Priester, Diakone, Lehrer usw., aber sie sollen vor allem beten, m i t Gott reden können. 3) Reden v o n G o t t h e r ist nur wenigen gegeben. In der Orthodoxie haben nur drei Männer den Ehrentitel „Theologe“ in letzterem Sinn: Johannes der Theologe, Gregor der Theologe und Symeon der neue Theologe. Die Menschen brauchen das „Wort Gottes“. „Der geistliche Mensch beurteilt alles“. Weder durch Bibel- und Bücherlesen, noch durch geistliche Gespräche erlangen wir den Heiligen Geist, der von Gott her ist, sondern nur durch Gebet und Taten der Liebe. Das Herz muss immer größer bleiben als der Kopf. Teuflische Einwirkung erfolgt über den Verstand. Wahrheit und geistliche Lüge werden vom Gebet her unterschieden. Gott ist keine W a s – Wahrheit, sondern ein W e r in der Person Jesu Christi. 

In der ausführlichen Diskussion wird die Notwendigkeit des Erlernens des Altgriechischen betont. Selbst Kirchenslawisch ist „Griechenslawisch“, griechisches Denken. Das Studium mit strengem Reglement ist nicht notwendig Maß des Priesters. Er muss vor allem beten und zelebrieren können. Predigt- und Beichtbefugnisse werden deshalb in der griechischen Kirche oft ausgeklammert. Wesentlich ist der Prozess der Reinigung, Heiligung, Vergöttlichung, bereits im Studium. Permanente Versuchungen „in den Gliedern“, im Verstand beeinflussen das Wissen. „Der Mensch hat keine Ruhe, denn Gott und Teufel arbeiten an uns“. Im Verhältnis zur Gemeinde, zu den geistlichen Seminaren, zu den akademischen Prüfungen, zeigen sich Gehorsamsaspekte. Entscheidend ist, von der Was-Ebene zur Wer-Ebene zu gelangen. Orthodoxie ist keine Rechthaberei, gewiss zwar richtige Dogmatik, jedoch vor allem richtige, gebührende Verherrlichung Gottes. Erst „Reden mit Macht“ erweist den ursprünglichen Hauch des Pneuma im Logos. So verändern z. B. auch unterschiedliche Übersetzungen den Sinn theologischer Ausdrücke. Gott aber „braucht keine Übersetzungen“, deshalb ist Beten das Essentielle, die Kunst der Künste. Morgen- und Abendgebete, die verschiedenen Stufen des Gebets, müssen zeitlich ihren festen Platz haben. Glaube ist auch „learning by doing“. Gefragt wird nach dem Verhältnis von Regel- und „freiem“ Gebet. Nach dem hl. Seraphim von Sarov sollen wir immer das tun, was uns den meisten Gewinn bringt: Ist das Herz voll, fließt der eigene Mund über. Ist das Herz trocken, sind die Gebete aus dem Gebetsbuch unser Schatz. Gott ist lebendig, er hört alle unsere Gebete; er „sendet“ auch, aber wir hören ihn nicht. Wir haben als Sünder eine falsche Frequenz eingestellt. Gebet soll durch Bitten Problemlösungen herbeiführen, aber auch Danksagung und Verherrlichung sein. Wir müssen nach eigenem Maß beginnen. „Beten ist wie Schwimmen, ab und los“. Es braucht Liebe, Geduld, vor allem Hingabe des Herzens. Der Feind behindert: „Wenn wir beten, ist die Hölle los“. Deshalb ist Beten mit anderen Christen, Beten in und mit der Kirche notwendig. In die Gebete der Kirche können wir eigene Anliegen hineinlegen. Gott versteht uns auch als „brabbelndes Kind“. Deshalb: Wir sollen wissen und studieren, aber „arm im Geiste“ bleiben, wissend, dass wir Gott nichts geben können. Wir sollen den vorbestimmten Weg weniger kennen, als gehen, uns in dieser geistlich katastrophalen Welt in die Hand Gottes geben. 

Nach halbstündiger Pause und gemeinschaftlichem Abendessen finden freie Gespräche statt, auch mit Vr. Paissij, der sich dann verabschiedet. Für den Abend wird in der orthodoxen Kapelle das Apodeipnon vorbereitet und durchgeführt. Danach versammeln sich einige Unentwegte bis 0.45 h zum heißen Thema des Islamismus und den Schwächen islamischer Theologie. Es werden praktizierbare Erwägungen angestellt. 

Freitag, 4. Juni 2010

In der Frühe üben wir gemeinsam den Hymnus „Preiset den Gott aller Götter“ mit dem wunderbaren Refrain „denn in die Äonen währet sein Erbarmen - Alleluja“. In der nachfolgenden Laudes sprechen, beten, singen wir gemeinsam in der Kapelle. 

Nach dem Frühstück referiert Vr. Johannes über die liturgische Entwicklung nach dem 2. Vatikanum. Im 1. Jahrtausend war das Grunddenken der Theologie gleich, wie ein Vergleich der romanischen Buchmalerei mit der byzantinischen Ikonographie zeigt. Ab der Scholastik ändert sich die Denkweise. Die Kreuzritter bringen unbekannte Aristotelestexte aus dem Orient mit, und Thomas von Aquin baut dessen Philosophie in die Theologie ein, um das Gute in der Schöpfung als sinnlich wahrnehmbar aufzuzeigen, „a sensibilibus non recedere“. Diese positive Sicht der Welt setzt er gegen die Weltflucht der cluniazensischen Reformbewegung, und sie findet ihren liturgischen Ausdruck in der Einführung der Elevation und der Monstranz. Durch die Schau der konsekrierten Hostie soll das Sakrament sinnlich wahrnehmbar gemacht werden. An die Stelle der Kommunion tritt eine Schaufrömmigkeit: Die gesegnete Hostie wird Ausdruck der Verehrung: „Nehmet und schauet …“, statt „Nehmet und esset …“. Bei der Taufe wird übergossen, besprengt, statt dreimal eingetaucht. Das scholastische Denken mit seiner Reduktion der sakramentalen Zeichen verändert die theologische Aussage, und damit greift es den Inhalt, die Gültigkeit des Sakraments an. Das endet in der evangelischen Version des Abendmahls bei Weintrauben und Wurstbrot. Die Schriften des Dionysios Areopagita (Pseudo-Dionysios, Theologe aus dem 6. Jhdt.), von Thomas in seiner „Summa Theologiae“ 1730 mal zitiert, waren im 1. Jahrtausend maßgebend für die Theologie des Ostens und Westens. Mit seiner dialektischen Methode versuchte er jenen in die scholastische Denkweise zu integrieren. Aus dieser entwickelte sich die mittelalterliche Liturgie mit ihren Kennzeichen: Elevation und Monstranz. Diese Neuerungen verfestigten sich durch die Abwehr der Reformation in der tridentinischen Theologie und Messe. Rätselhaft bleibt nur, warum Thomas vor seinem Lebensende sich penetrant weigerte, seine „Summa“ zu vollenden. Das Schweigen ist umso rätselhafter, als er dafür keine Begründung gab. Sollte sich die Unverträglichkeit von „dionysischer Theologie“ mit der von Aristoteles durchsetzten Theologie in diesem Schweigen „entladen“ haben?

Sehr viel später, im „Reformkonzil“ 1963 des Papstes Johannes XXIII., wird die Liturgiekonstitution verfasst. Der „Volksaltar“ wird aus der Apsis nach vorne gerückt, und der Priester zelebriert „versus populum“ gewendet. Blickkontakt und Gemeinschaft im Wechselgesang soll die „Einsamkeit“ des Priesters am Altar beenden, sowie die „sich selbst überlassene“ Gemeinde liturgisch einbeziehen. Die Gemeinde sieht nun nicht nur die „gesegnete Gabe“ nach der Wandlung, sondern schaut jetzt bei der ganzen sakramentalen Handlung zu. Das Heilige wird dem Zuschauen der physischen Augen dargeboten. Diese Umformung der Liturgie mit dem Volksaltar und der Feier zum Volk hin steht in direktem Widerspruch zum Mysterienverständnis der Orthodoxen Kirche („myein“, der Stamm des Wortes „mysterion“ = sich die Augen verbinden). Hinzukommt, dass der römische Vollzug der Wandlung mit den Einsetzungsworten „punktualisiert“ wird durch: Schellenzeichen, Erhebung der gesegneten Gaben ( Elevation ) und Kniebeuge des Priesters. Der gotische Fensterbogen, die architektonische Fensterform dieser Zeit, mit seiner Spitze, dem Schnittpunkt zweier Linien, entspricht er nicht dem eucharistischen Vollzug der auf dem Altar geschieht? Im römischen, und byzantinischen Rundbogen wird der Höhepunkt nur erahnt. In der Chrysostomusliturgie gibt es keinen Höhepunkt: den Einsetzungsworten, folgt die Anamnese und die Epiklese. Die Herabrufung des Heiligen Geistes erst vollendet die Segnung der Gaben. Es findet keine Aktualisierung, keine Fixierung eines sakramentalen Kulminationspunktes statt: Gott ist ebenso frei wie verborgen. 

Vr. Johannes leitet über zur Lesung und Interpretation der ersten Kapiteln der Schrift des Dionysios „ Über die Namen Gottes“(vgl. Anlagen / anforderbar; zwei katechetische Faltblätter: Dionysios Areopagita – ein Neuplatoniker?). Dionysios setzt schon im Titel seiner Schrift den inhaltlichen Kontrapunkt. Gegen den in neutralen philosophischen Begriffen denkenden Neuplatonismus stellt er „die Namen Gottes“. Nach altkirchlichem und jüdischem Verständnis tritt mit der Nennung des Namens die genannte Person „in Aktion“. Anstelle des höchsten philosophischen Wertes tritt hier der personale Gott, in der Anrufung seines Namens. Mit diesem Werteaustausch kann das menschliche Handeln den transzendenten Bereich berühren, während die Philosophie mit ihren höchsten Werten und Bemühungen den irdischen Raum nicht verlassen kann.

Der zentrale Begriff, den der Neuplatonismus gegen den christlichen Gott setzt, ist das „Eine“, dem sich der Mensch in Versenkung vereinen soll. Dionysios übernimmt die Sprache des philosophischen Gegners, den Terminus des „Vereinens mit dem Einen“ und hat damit schon die Philosophie in ihrer ganzen Fülle überwunden. Denn die Vereinigung schon mit einer Person, erst recht, wenn es Gott ist, hat eine ganz andere Überzeugungskraft, als die Vereinigung mit einem Neutrum oder Begriff. So spricht er im 1. Kapitel seiner Schrift unter Abweisung aller ‚überredender Menschenvernunft’ von dem Wirken des Heiligen Geistes (Hier redet der Christ Dionysios). ER allein kann „uns … dem Unsagbaren und Unkennbaren näher bringen … dem wir uns nur einen können“. Das kleine Wörtchen „nur“ schließt alles menschliche Denken und Versenken aus und spitzt das menschliche Handeln zu auf den seinsmäßigen Vollzug des Vereinens mit Gott.

Im weiteren Verlauf seiner Argumentation (Kapitel 3) wird bei Dionysios aus dem neutralen „Es“ ein „Er“, das neutrale neuplatonische „Eine“ wird Person, wird „Er“ mit Großbuchstabe am Anfang. Der unfassbare, nicht fixierbare Gott wird „gütige Mitteilung des Verborgenen … ohne entheiligt zu werden“ und tritt ein in die Geschichte, „als die alles Wesenhafte gestaltende Kraft, durch die auch wir in die Einheit erhoben werden“ (Kapitel 4). Eine Fortsetzung findet die Verchristlichung des Neoplatonismus bei Gregor Palamas, im hesychastischen Herzensgebet, in der Ikonenmalerei.
Mit diesen kurzen Ausführungen sei das orthodoxe theologische Denken angedeutet, das mit seiner negativen Theologie dem vernunftmäßigen Denken des Menschen auf dem Weg zu Gott eine Absage erteilt und die positiven theologischen Glaubensaussagen nur durch die Begegnung des Menschen mit Gott ermöglicht sieht.

Mit diesen aus dem ersten Jahrtausend gemeinsamen theologischen Grundlagen könnte das scholastische Denken der westlichen Christenheit überwunden werden, das in der Liturgiereform des 2. Vatikanischen Konzils manifestiert worden ist durch die „Veröffentlichung“ der ganzen sakramentalen Handlung auf dem Volksaltar vor den Augen des Volkes. Eine neuerliche Reform der Kirche müsste daher auch in der Liturgie stattfinden und ihren Ausdruck finden.

In der abschließenden Diskussion fragt „Axi“: „Finden wir eine gemeinsame, praktische Ebene im Vollzug?“ Die Abendmahlsgemeinschaft hat in der Tradition höchsten Wert. Es wird die Meinung geäußert, man könnte doch das Abendmahl der Lutheraner hinnehmen, gerade weil es nicht (voll) gültig ist: aus Liebe und wegen der Gemeinschaft. Aber Orthodoxie hält an der Ausgeglichenheit von Wahrheit und Liebe, von akribia und oikonomia, fest. Der Zugang zum altkirchlichen Kommunionsverständnis erschließt sich nur, wenn man erkennt, dass durch die Schranken am Altar dem theologischen Relativismus gewehrt und die Tradition der Glaubensinhalte gewahrt wird. Die Gewissensfreiheit ist nicht die Drehscheibe für beliebige theologische Inhalte. Im Phoenixhof unseres Gastgebers an der technisch kunstvollen Drehscheibe auf dem großen runden Tisch für das Reichen der Mahlzeiten sitzend, befragen wir uns und die „deutschsprachige Orthodoxie“ - wo wir geistig stehen, was zu tun wäre. Das Zeugnis der Orthodoxen Kirche liegt in vielen Punkten quer zu den liberalen Strömungen der Zeit und scheint gerade dadurch neue Anstöße geben zu können.

Weitere Treffen finden statt, Termine werden bekannt gegeben: Reliquienverehrung am 30. Juni in der Krypta des Doms zu Mainz, Tagung am 3./4. Januar zur „Stellung der Frau in Kirche und Familie“. Mit Danksagung an Alexej Stachowitsch wird die Abschlussrunde an der Drehscheibe aufgehoben. 

Mit Gottesdienst im Kirchlein der Katakombe, Lobgesang („Preiset den Gott aller Götter“), Aufnahme von Sebastian ins Katechumenat, beenden wir das Treffen. Vr. Johannes erteilt den Reisesegen. 

Peter, Berlin, 12. Juni 2010

(revidiert und überarbeitet von Vr. Johannes / Mainz und Vr. Paissij (Paisios) / Skythe Geilnau)

Berlin, 21. Sept. 2010

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