Metropolit Hilarion – „Für einen radikalen Moslem ist jeder Christ ein Feind“
События

- Was ist die Ursache der Zunahme der Christenverfolgung in der letzten Zeit?

- Es gibt mehrere Ursachen. Erstens ist das zweifellos die Verbreitung der Ideologie des radikalen Islam auf der Basis von Unwissenheit. Die Radikalen bedienen sich religiöser Losungen zu ihrem Nutzen, der keinerlei Beziehung zur Religion hat. Nicht umsonst verurteilen die Vertreter des traditionellen Islam die Handlungen der Extremisten aufs Schärfste und sprechen darüber, dass sie die Lehre des Stifters ihrer Religion verunstalten. Zweitens, das Fehlen notwendiger Schritte der Regierung zum Erreichen eines interreligiösen Friedens.
Wenn aber die politische Macht zerrüttet ist, und wenn die Radikalen an die Macht kommen, so wird Eintracht durch Hass und Feindschaft abgelöst. Dies sehen wir im Irak, wo mittels einer Kraft von Außen die politische Regierung gestürzt worden ist, so dass radikale Kräfte an die Macht gelangten. Eine Folge ist die Verschlechterung der Lage für die Christen. Während unter Saddam Hussein 1,5 Millionen Christen im Irak lebten, so leben dort heute, je nach Quelle, nur noch 150 - 400 Tausend Christen. Heftig verschärfte sich auch die interreligiöse Beziehung in Ägypten nach dem Sturz Mubaraks. Ich möchte an dieser Stelle keine Wertung der gestürzten politischen Regimes abgeben, ich konstatiere lediglich offensichtliche Fakten, die von der Verschlechterung der Lage der Christen in diesen Ländern zeugen.

- Wie soll aber die Bedeutung des Christentums wiederhergestellt werden?

- Jene Länder, wo Christen und Moslems zusammenleben, bedürfen eines Systems der Kontrolle. Die Regierung soll für die Schaffung geeigneter Existenzbedingungen Sorge tragen, die den Vertretern aller Religionen freie Glaubensausübung gewährleistet. Gerade auf den Schultern der Regierung liegt die Verantwortung der Gewährleistung der interreligiösen Eintracht. Auf welche Weise aber die Staaten ihre Ziele erreichen, hängt von der jeweiligen Situation vor Ort ab. Des weiteren, so scheint es mir, wenn die westlichen Länder irgendeine politische Entscheidung über die Lage in einem ihnen fremden Land treffen, müssen sie die Möglichkeit bedenken, dass eine Veränderung der Situation zur Verschlimmerung der Lage der Christen führen kann. Bedauerlicherweise wird diese Möglichkeit nicht berücksichtigt und unsere Glaubensbrüder werden zu Geiseln der Politik einer „Etablierung der Demokratie in den Ländern des Nahen Ostens und Nordafrikas“.

- Ist ein Verschärfung der interreligiösen Situation in Syrien zu erwarten, wo, gemäß den letzten Berichten, eine Christenverfolgung bereits im Gange ist?

- Bis dato herrschte in Syrien eine interreligiöse Harmonie, die im Verlauf vieler Jahrhunderte herangewachsen ist. Als Patriarch Kyrill, zur Zeit seiner Visite im November letzten Jahres, mit den Oberhäuptern der christlichen Kirchen in Syrien und dem Libanon zusammenkam, äußerten diese ihre Befürchtung, dass, wenn sich die politische Situation verändert und radikale Islamisten an die Macht kommen, die Lage der Christen sich deutlich verschlimmern wird. Und in der Tat sehen wir, was sich in Syrien an jenen Orten abspielt, wo Fundamentalisten die Oberhand gewannen.

- Ist es möglich, eine bestimmte christliche Konfession zu nennen, die mehr als die anderen Leid von den Verfolgern erfährt?

- Die radikal eingestellten Moslems machen keinen Unterschied in dieser Hinsicht, für sie ist jeder Christ ihr Erzfeind. Die terroristischen Anschläge werden an allen verübt, ganz gleich ob es Orthodoxe, Kopten, Katholiken oder Protestanten sind. Doch ich muss betonen, dass wenn irgendwo ein Sprengsatz explodiert, so werden Moslems zuweilen selbst Opfer. Daher ist es entscheidend, dass alle Religionen, der Islam eingeschlossen, sich einmütig gegen den Terrorismus auflehnen.

- Wir reden häufig von der Verfolgung der Christen seitens radikaler Islamisten. Doch gibt es Manifestationen von Intoleranz seitens anderer Religionen?

- Gewiss gibt es solche. Nehmen wir zum Beispiel Jerusalem und andere Städte des Heiligen Landes. In diesen können wir den Hass auf die Christen seitens radikal eingestellter Juden beobachten. In Indien und Pakistan werden ebenfalls Angriffe auf Christen registriert.

- Gibt es jedoch seitens der Russischen Orthodoxen Kirche konkrete Handlungen zur Unterstützung der Christen überall in der Welt?

- Als Wladimir Putin, zur Zeit seiner Kandidatur als Präsident, sich mit den Vertretern der traditionellen Religionen Russlands traf, so vertrat ich die Position, dass die Verteidigung der christlichen Minderheiten in jenen Ländern, wo sie Verfolgungen ausgesetzt sind, zum wichtigsten Prinzip der Außenpolitik Russlands werden sollte. Putin hat mir versichert, dass dies der Fall sein werde. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist dieses Thema eines der Hauptthemen im Dialog zwischen der Russischen Orthodoxen Kirche und dem Außenministerium Russlands. Es gibt eine Arbeitsgruppe für Wechselbeziehungen zwischen Kirche und dem Ministerium. Zweimal im Jahr finden unsere Treffen statt. Unser letztes Treffen hat sich gerade mit dem Thema Christenhass und Christenverfolgung in verschiedenen Ländern beschäftigt. Zudem gibt es noch regulmäßig stattfindende Treffen zwischen den beiden beteiligten Gruppen, bei denen aktuelle Themen diskutiert werden. Es ist verständlich, dass Kirche und Staat verschiedene Dinge auf ihrer jeweiligen Tagesordnung haben, so dass es auch verschiedene Herangehensweisen gibt. Doch im gegebenen Fall haben wir gemeinsam zu agieren.

- Und wie sehen solche gemeinsamen Handlungen aus?

- Als erstens dürfen wir nicht Fakten über Christenverfolgungen verschweigen. Zweitens können wir die Regierungen jener Staaten, die zur kanonischen Jurisdiktion der ROK gehören, mit zur Lösung von Fragen heranziehen, die mit der Lage der Christen im Nahen Osten zu tun haben. Drittens, als Mittel der Einflussnahme auf die Situation kann die politische und wirtschaftliche Beziehung dienen, wie dies bereits von der Europa-Kommission vorgeschlagen worden ist. Die Länder des Nahen Ostens und anderer Länder, wo die christlichen Minderheiten Verfolgungen ausgesetzt sind, sind in der Regel auf politische und wirtschaftliche Hilfe der „starken“ Länder im Westen angewiesen. Solche Unterstützung aber darf nur dann erfolgen, wenn die Beachtung der Rechte der christlichen Minderheiten gewährleistet ist.

- Wurden in den Treffen mit den Regierungen der Länder des Nahen Ostens diese Themen bereits angesprochen?

- Dies ist in der Tat geschehen, doch es ist noch zu früh, von Ergebnissen zu sprechen, denn die Lage dort ist überaus angespannt. Doch wir hegen die Hoffnung, dass es mit gemeinsamen Kräften auf jeden Fall gelingen wird, einen Schutzmechanismus für Christen aufzubauen.

- Kooperiert die Russische Orthodoxe Kirche in diesem Zusammenhang mit anderen christlichen Konfessionen?

- Das tut sie, in der Tat. Mir scheint, dass gerade das Thema des Schutzes der Christen an erster Stelle der Tagesordnungen in der Beziehung zwischen den christlichen Kirchen stehen sollte. Auch im interreligiösen Dialog sollte natürlich dieses Thema nicht hintangesetzt werden. Zuweilen diskutieren wir theologische Fragen, mögen sie auch wichtig sein, die jedoch keinen direkten Bezug zum alltäglichen Leben der Menschen haben. Größere Aufmerksamkeit sollte aber dem Schutz der Menschen geschenkt werden – ihrem Leben und ihrem Recht zur freien Glaubensäußerung.


Interviewer: Konstantin Volkov.

pravoslavie.ru


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