Grundlagen der Lehre der Russischen Orthodoxen Kirche über Würde, Freiheit und Rechte des Menschen
Grundlagen der Lehre der Russischen Orthodoxen Kirche über Würde, Freiheit und Rechte des Menschen (Bischofskonzil der Russischen Orthodoxen Kirche)
Статья

Bischofskonzil der Russischen Orthodoxen Kirche

Moskau, 24. - 29. Juni 2008

In der gesamten Menschheitsgeschichte hat das Verständnis dessen, was der Mensch ist, die Ordnung des privaten und öffentlichen Lebens der Menschen wesentlich beeinflußt. Ungeachtet der großen Unterschiede zwischen den einzelnen Zivilisationen und Kulturen, finden sich doch in jeder von ihnen bestimmte Vorstellungen von den Rechten und Pflichten des Menschen.

     In der heutigen Welt ist die Überzeugung weit verbreitet, die Einrichtung der Menschenrechte könne aus sich heraus auf optimale Weise die Entwicklung der menschlichen Person und der Gesellschaftsordnung fördern. Dabei werden unter Berufung auf den Schutz der Menschenrechte in der Praxis nicht selten Ansichten verwirklicht, die sich von der christ­lichen Lehre von Grund auf unterscheiden. Die Christen finden sich in einer Situation wieder, in der sie von den gesellschaftlichen und staatlichen Organen dazu gedrängt, zuweilen geradezu gezwungen werden, im Gegensatz zu den göttlichen Geboten zu denken und zu handeln. Das hindert den Menschen, das wichtigste Ziel seines Lebens zu erreichen - die Erlösung von der Sünde und die Erlangung des Heils.

     In dieser Situation ist die Kirche, gestützt auf die Heilige Schrift und die Heilige Überlieferung, dazu aufgerufen, an die Grundsätze der christlichen Lehre über den Menschen zu erinnern und eine Einschätzung über die Theorie der Menschenrechte und ihre Verwirklichung im Leben abzugeben.

I. Die Würde des Menschen als religiös-sittliche Kategorie

I.1. Der Grundbegriff, auf den sich die Theorie der Menschenrechte stützt, ist der Begriff der menschlichen Würde. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, die kirchliche Sicht der Menschenwürde darzulegen.

     Der biblischen Offenbarung zufolge wird die menschliche Natur nicht nur von Gott geschaffen, sondern erhält von Ihm auch ihre Eigenschaften nach Seinem Bild und Gleichnis (Gen 1,26). Nur auf dieser Grundlage kann man behaupten, die menschliche Natur habe eine unveräußerliche Würde. Der heilige Gregor der Theologe3 setzt die menschliche Würde zum göttlichen Schöpfungsakt in Beziehung und schreibt: „Gott hat alle Menschen so großzügig bedacht, um durch die gleichmäßige Verteilung Seiner Gaben sowohl die gleiche Würde unserer Natur als auch den Reich­tum Seiner Güte zu offenbaren" (Rede 14, „Über die Liebe zu den Armen").

     Die Fleischwerdung des göttlichen Wortes hat bezeugt, daß die mensch­liche Natur auch nach dem Sündenfall ihre Würde nicht einbüßte, denn das unzerstörbare Bild Gottes, und somit auch die Möglichkeit der Wiederherstellung des menschlichen Lebens in der Fülle seiner ursprünglichen Vollkommenheit, blieb in ihr erhalten. Das wird auch durch die liturgischen Texte der orthodoxen Kirche bestätigt: „Ich bin Abbild Deiner unsagbaren Herrlichkeit, wenn ich auch die Wunden meiner Sünden trage. Denn Du hast mich aus dem Nichts erschaffen und durch Dein göttliches Abbild geehrt. Wegen der Übertretung Deiner Gebote aber hast du mich wieder in Erde verwandelt, von der ich genommen war. Führe mich zurück zu Deinem Ebenbild, damit die ursprüng­li­che Güte wiederum Gestalt gewinne" (Troparien nach dem Psalm 119 [118]4, aus dem Begräbnis-Ritus). Die Annahme der Fülle der mensch­lichen Natur außer der Sünde durch den Herrn Jesus Christus (Hebr 4,15) zeigt, daß die Würde durch die Entstellungen, die in dieser Natur infolge des Sündenfalls entstanden sind, nicht in Mitleidenschaft gezogen ist.

     I.2. Während die unveräußerliche ontologische Würde jeder menschlichen Person, ihr höchster Wert, sich in der Orthodoxie vom Ebenbild Gottes hergeleitet, wird ein der Würde entsprechendes Leben zum Begriff der Gottähnlichkeit in Beziehung gesetzt. Diese Gottähnlichkeit wird mit Hilfe der göttlichen Gnade durch die Überwindung der Sünde, den Erwerb sittlicher Reinheit und durch die Tugenden erlangt. Daher darf der Mensch, der das Ebenbild Gottes in sich trägt, sich dieser hohen Würde nicht rühmen, denn sie ist nicht sein persönliches Verdienst, sondern Gabe Gottes. Noch weniger soll er damit seine Schwächen oder Laster rechtfertigen, sondern sich vielmehr der Verantwortung für die Ausrichtung und Gestaltung seines Lebens bewußt sein. Offensichtlich wohnt dem Begriff der Würde die Idee der Verantwortung inne.

     In der östlichen christlichen Tradition hat also der Begriff der Würde in erster Linie eine sittliche Bedeutung, und die Vorstellungen darüber, was würdig und was unwürdig ist, sind eng mit den sittlichen oder unsittlichen Taten des Menschen sowie mit der inneren Verfassung seiner Seele verbunden. In Anbetracht des durch die Sünde verdunkelten Zustands der mensch­lichen Natur ist es wichtig, im Leben eines Menschen zu unterscheiden zwischen dem, was würdig, und dem, was unwürdig ist.

     I.3. Würdig ist ein Leben in Übereinstimmung mit der ursprünglichen Berufung, die in der Natur des Menschen liegt, der zur Teilhabe am glück­seligen Leben Gottes geschaffen ist. Der heilige Gregor von Nyssa stellt fest: „Wenn Gott die Fülle der Güter ist und der Mensch Sein Abbild, dann hat das Bild auch darin eine Ähnlichkeit mit dem Urbild, daß es mit jeglichem Gut erfüllt werden soll" („Von der Erschaffung des Men­schen", Kap. 16). Daher besteht das Leben des Menschen, wie der heilige Johannes von Damaskus anmerkt, in einer „Verähnlichung mit Gott im Tun des Guten, soweit es dem Menschen möglich ist" („Genaue Darlegung des orthodoxen Glaubens"). In der Tradition der Kirchenväter wird diese Entfaltung des göttlichen Ebenbildes Vergöttlichung (ϑέω­σις) genannt.

     Die von Gott empfangene Würde wird durch das in jedem Menschen vorhandene sittliche Prinzip bestätigt, das in der Stimme des Gewissens erkannt wird. Der heilige Apostel Paulus schreibt dazu in seinem Brief an die Römer: Die Forderung des Gesetzes ist ihnen ins Herz geschrieben; ihr Gewissen legt Zeugnis davon ab, ihre Gedanken klagen sich gegenseitig an und verteidigen sich (Röm 2,15). So bringen die der menschlichen Natur eigenen sittlichen Normen wie auch die sittlichen Normen in der göttlichen Offenbarung Gottes Plan mit dem Menschen und dessen Vorherbestimmung an den Tag. Sie sind wegweisend für ein gutes Leben, das der gottgegebenen menschlichen Natur würdig ist. Das höchste Vorbild eines solchen Lebens hat der Herr Jesus Christus der Welt offenbart.

     I.4. Unwürdig für den Menschen ist ein Leben in Sünde, denn es zerstört den Menschen selbst und fügt auch anderen Menschen und der Umwelt Schaden zu. Die Sünde stellt die Hierarchie der Beziehungen in der menschlichen Natur auf den Kopf. Der Geist herrscht nicht über den Körper, sondern er ordnet sich in der Sünde dem Fleisch unter; der heilige Johannes Chrysostomus kommentiert: „Wir haben die Ordnung verkehrt, und das Böse ist so stark geworden, daß wir die Seele zwingen, dem Verlangen des Fleisches nachzugeben" (Homelie 12 zum Buch Genesis). Ein Leben nach dem Gesetz des Fleisches ist den göttlichen Geboten entgegengesetzt und entspricht nicht dem sittlichen Prinzip, das Gott in die menschliche Natur gelegt hat. In den Beziehungen zu anderen Menschen verhält sich der Mensch unter dem Einfluß der Sünde als Egoist, der seine Bedürfnisse auf Kosten der Nächsten befriedigt. Ein solches Leben ist gefährlich für den einzelnen, die Gesellschaft und die umgebende Natur, denn es stört die Harmonie des Daseins, endet in seelischen und körperlichen Leiden und Krankheiten, macht verletzlich angesichts der Folgen der Zerstörung des Lebensraumes. Ein sittlich unwürdiges Leben zerstört die von Gott verliehene Würde auf der ontologischen Ebene nicht, verdunkelt sie jedoch so sehr, daß sie kaum zu erkennen ist. Gerade deshalb braucht es eine große Willensanstrengung, um die natürliche Würde eines Schwer­verbrechers oder Tyrannen zu erkennen oder gar anzuer­kennen.

     I.5. Um den Menschen in der ihm entsprechenden Würde wiederherzustellen, hat die Buße eine besondere Bedeutung; sie hat ihre Grundlage darin, daß man sich der Schuld bewußt wird und sein Leben ändern will. Wenn der Mensch bereut, erkennt er an, daß seine Gedanken, Worte oder Werke der von Gott verliehenen Würde nicht entsprechen, und bezeugt vor Gott und der Kirche seine Unwürdigkeit. Die Buße erniedrigt den Menschen nicht, sondern gibt ihm einen mächtigen Ansporn zur geistigen Arbeit an sich selbst, zur schöpferischen Wandlung seines Lebens, zur Reinerhaltung der gottgegebenen Würde und zum Wachstum in ihr.

     Gerade deshalb sprechen das Gedankengut der Kirchenväter und Asketen sowie die liturgische Tradition der Kirche mehr von der Unwürdigkeit des Menschen aufgrund der Sünde als von seiner Würde. So heißt es im Gebet des heiligen Basilius des Großen, das orthodoxe Christen vor dem Empfang der Heiligen Gaben in der Kommunion lesen: „So habe auch ich, der ich des Himmels und der Erde sowie dieses zeitlichen Lebens unwürdig bin, mich ganz der Sünde hingegeben, habe der Sinneslust gefrönt und Dein Ebenbild befleckt. Da ich aber Dein Werk und Geschöpf bin, zweifle ich Verruchter nicht an meiner Erlösung, sondern komme in der Hoffnung auf Deine maßlose Güte zu Dir."

     Der orthodoxen Tradition zufolge setzen die Wahrung der von Gott verliehenen Würde und das Wachsen in ihr ein Leben im Einklang mit den sittlichen Normen voraus, denn diese Normen drücken die ursprüngliche, also wahre Natur des Menschen aus, die von der Sünde nicht verdunkelt worden ist. Deshalb gibt es eine direkte Verbindung zwischen der Würde des Menschen und der Sittlichkeit. Darüber hinaus bedeutet die Anerkennung der Würde der Person die Bekräftigung ihrer sittlichen Verantwortung.5

II. Wahlfreiheit und Freiheit vom Bösen

II.1. In Abhängigkeit von der Selbstbestimmung der freien Person kann das Ebenbild Gottes im Menschen sich verdunkeln oder kraftvoller in Erscheinung treten. Dabei wird die natürliche Würde im Leben der einzelnen Person entweder immer deutlicher oder sie verschwimmt in ihr durch die Sünde. Das Ergebnis hängt unmittelbar von der Selbst­bestimmung der Person ab.

     Die Freiheit ist eine der Erscheinungsformen des göttlichen Ebenbildes in der menschlichen Natur. Nach den Worten des heiligen Gregor von Nyssa „wurde der Mensch gottähnlich und glückselig, indem er der Freiheit (αὐτεξούσιον) gewürdigt wurde" („Rede über die Verstorbenen"). Auf dieser Grundlage nimmt die Kirche in ihrer pastoralen und seelsorg­lichen Praxis eine behutsame Haltung in Bezug auf die innere Welt des Menschen und seine Wahlfreiheit ein. Die Unterordnung des menschlichen Willens unter irgendeine äußere Autorität mit Hilfe von Manipulation oder Gewalt gilt als Verstoß gegen die von Gott errichtete Ordnung.

     Die Wahlfreiheit ist dabei kein absoluter und endgültiger Wert. Gott hat sie dazu bestimmt, dem Wohl des Menschen zu dienen. Wenn der Mensch diese Freiheit ausübt, darf er sich selbst und seinen Mitmenschen nichts Böses zufügen. Wegen der Macht der Sünde, die der gefallenen Menschennatur eigen ist, reicht jedoch keinerlei menschliche Anstrengung aus, um das wahrhafte Wohl zu erlangen. Der Apostel Paulus zeigt an seinem Beispiel, was für jeden Menschen gilt: Ich tue nicht, was ich will, sondern was ich hasse, das tue ich ... Dann aber bin nicht mehr ich es, der so handelt, sondern die in mir wohnende Sünde (Röm 7,15.17). Folglich kommt der Mensch ohne Gottes Hilfe und ohne enge Zusammenarbeit mit Ihm nicht aus, denn Gott allein ist der Ursprung alles Guten.

     Als die ersten Menschen sich von Gott abwandten und sich nur auf sich selbst stützten, gerieten sie unter die Macht der zerstörerischen Kräfte des Bösen und des Todes und gaben diese Abhängigkeit an ihre Nachkommen weiter. Durch den Mißbrauch der Wahlfreiheit verlor der Mensch die andere Freiheit (ἐλευϑεϱία) - die Freiheit zu einem Leben im Guten, die er in seinem ursprünglichen Zustand besaß. Diese Freiheit gibt der Herr Jesus Christus dem Menschen zurück: Wenn euch also der Sohn befreit, dann seid ihr wahrhaft frei (ἐλεύϑεϱοι) (Joh 8,36). Die Freiheit von der Sünde zu erlangen, ist unmöglich ohne die sakramentale Vereinigung des Menschen mit der verklärten Natur Christi, die sich im Sakrament der Taufe vollzieht (Röm 6,3-6; Kol 3,10) und gestärkt wird durch das Leben in der Kirche, dem Leib Christi (Kol 1,24).

     Die Heilige Schrift spricht von der Notwendigkeit eigener Anstrengungen des Menschen zur Befreiung von der Sünde: Zur Freiheit hat uns Christus befreit. Bleibt daher fest und laßt euch nicht von neuem das Joch der Knechtschaft auflegen! (Gal 5,1). Das bezeugt auch die praktische Erfahrung der großen Schar heiliger Männer und Frauen, die den geistlichen Sieg errungen und bestätigt haben, daß das Leben jedes Menschen verklärt werden kann. Die Früchte der geistlichen Bemühungen des Menschen kommen jedoch erst bei der allgemeinen Auferstehung in ganzer Fülle zur Erscheinung, wenn unser armseliger Leib Seinem verherrlichten Leib gleichgestaltet wird (Phil 3,21).

     II.2. Der Herr Jesus Christus sagt: Ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen ... Wer die Sünde tut, ist der Sünde Knecht (Joh 8,32.34). Das bedeutet: Wahrhaft frei ist, wer den Weg des gerechten Lebens geht und die Gemeinschaft mit Gott, der Quelle der absoluten Wahrheit, sucht. Hingegen zerstört der Mißbrauch der Freiheit, die Wahl einer falschen, unsittlichen Lebensweise, letzten Endes die Wahl­freiheit selbst, da auf diese Weise der Wille in die Sklaverei der Sünde geführt wird. Nur Gott, die Quelle der Freiheit, kann diese Freiheit im Menschen aufrecht erhalten. Wer von der Sünde nicht ablassen will, überantwortet seine Freiheit dem Diabolos, dem Widersacher Gottes, dem Vater des Bösen und der Unfreiheit. Die Kirche erkennt den Wert der Wahlfreiheit an und bekräftigt zugleich, daß diese unweigerlich zunichte wird, wenn die Wahl zugunsten des Bösen erfolgt. Das Böse ist mit der Freiheit unvereinbar.

     In der Menschheitsgeschichte hat die Wahl des Bösen durch einzelne und durch die Gesellschaft zum Verlust der Freiheit und zu gewaltigen menschlichen Opfern geführt. Auch heute kann die Menschheit diesen Weg einschlagen, wenn eindeutig lasterhafte Erscheinungen wie Abtreibung, Selbstmord, Unzucht, Perversion, Zerstörung der Familie und ein Kult der Brutalität und Gewalt nicht mehr angemessen sittlich bewertet, sondern unter Berufung auf ein verzerrtes Verständnis menschlicher Freiheit gerechtfertigt werden.

       Eine Schwäche der Einrichtung der Menschenrechte liegt darin, daß diese Rechte die Freiheit der Wahl (αὐτεξούσιον) verteidigen und dabei immer weniger die sittliche Dimension des Lebens und die Freiheit von der Sünde (ἐλευϑε­ϱία) berücksichtigen. Die gesellschaftliche Ordnung muß auf beide Frei­heiten ausgerichtet sein und deren Verwirklichung im öffentlichen Bereich miteinander in Einklang bringen. Man darf nicht die eine Freiheit verteidigen und die andere vergessen. Ein freies Festhalten am Guten und an der Wahr­heit ist ohne Wahlfreiheit nicht möglich. Ebenso verliert auch die freie Wahl ihren Wert und ihren Sinn, wenn sie sich dem Bösen zuwendet.

III.  Die Menschenrechte im christlichen Weltbild und im gesellschaftlichen Leben

III.1. Jeder Mensch ist von Gott mit Würde und Freiheit ausgestattet. Der Gebrauch der Freiheit zum Bösen zieht jedoch unweigerlich die Minderung der eigenen Würde und eine Herabsetzung der Würde anderer Menschen nach sich. Die Gesellschaft muß Mechanismen schaffen, um die Harmonie zwischen menschlicher Würde und Freiheit wiederherzustellen. Im gesellschaftlichen Leben können und müssen die Konzeption der Menschenrechte und die Sittlichkeit diesem Ziel dienen. Dabei sind sie schon durch den Umstand miteinander verbunden, daß die Sittlichkeit, das heißt die Vorstellung von Sünde und Tugend, stets dem Gesetz vorausgeht, das gerade aus diesen Vorstellungen entstanden ist. Daher führt eine Erosion der Sittlichkeit letzten Endes immer zur Zerstörung der Gesetzesordnung.

    Die Vorstellungen von den Menschenrechten haben eine lange histo­rische Entwicklung durchlaufen und können schon deshalb in ihrem heutigen Verständnis nicht absolut gesetzt werden. Es ist notwendig, klar die christlichen Werte zu definieren, mit denen die Menschenrechte in Einklang gebracht werden müssen.

    III.2. Die Menschenrechte können nicht über den Werten der geistigen Welt stehen. Der Christ stellt seinen Glauben an Gott und seine Gemeinschaft mit ihm über sein eigenes irdisches Leben. Daher ist es unzulässig und gefährlich, die Menschenrechte als die wichtigste und universale Grundlage des gesellschaftlichen Lebens zu deuten, der sich die religiösen Ansichten und die religiöse Praxis unterzuordnen haben. Keinerlei Hinweise auf die Freiheit des Wortes und des künstlerischen Schaffens können die öffentliche Verhöhnung von Gegenständen, Symbolen oder Ausdrücken legitimieren, die von gläubigen Menschen verehrt werden.

    Da die Menschenrechte keine göttlichen Anordnungen sind, dürfen sie mit der göttlichen Offenbarung nicht in Konflikt geraten. Für den überwiegenden Teil der christlichen Welt ist neben der Idee der persönlichen Freiheit die Kategorie der Tradition des Glaubens und der Sitten, mit der der Mensch seine Freiheit in Einklang bringen muß, nicht weniger wichtig. Für viele Menschen, die in verschiedenen Ländern der Welt leben, haben nicht so sehr die säkularisierten Normen der Menschenrechte als vielmehr die Glaubenslehre und die Traditionen die höch­ste Autorität im gesellschaftlichen Leben und in den zwischen­menschlichen Beziehungen.

    Keinerlei menschliche Bestimmungen, einschließlich der Formen und Mechanismen der gesellschaftspolitischen Ordnung, können aus sich heraus das Leben der Menschen sittlicher und vollkommener machen, das Böse und das Leid ausrotten. Es ist wichtig daran zu erinnern, daß staatliche und gesellschaftliche Kräfte die reale Fähigkeit haben und berufen sind, das Böse in seinen sozialen Erscheinungsformen zu unterbinden, während sie dessen Ursprung in der Sündhaftigkeit nicht besiegen können. Der entscheidende Kampf gegen das Böse wird in der Tiefe des menschlichen Geistes geführt und kann nur auf den Wegen des religiösen Lebens der Person Erfolg haben: Denn wir haben nicht gegen Menschen aus Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern gegen die Fürsten und Gewalten, gegen die Beherrscher dieser finsteren Welt, gegen die bösen Geister des himmlischen Bereichs (Eph 6,12).

    In der Orthodoxie besteht unverändert die Überzeugung, daß die Gesellschaft bei der Regelung des irdischen Lebens nicht nur die mensch­lichen Interessen und Wünsche berücksichtigen soll, sondern auch die göttliche Wahrheit, das vom Schöpfer gegebene ewige Sittengesetz, das in der Welt unabhängig davon herrscht, ob der Wille einzelner Menschen oder menschlicher Gemeinschaften damit im Einklang steht. Dieses Gesetz, das in der Heiligen Schrift besiegelt ist, steht für einen orthodoxen Christen über allen anderen Regeln, denn nach diesem Gesetz wird Gott über Menschen und Völker vor seinem Richterstuhl urteilen (Offb 20,12).

    III.3. Die Ausarbeitung und Anwendung der Konzeption der Menschenrechte muß unbedingt in Einklang gebracht werden mit den Normen der Moral, mit dem sittlichen Prinzip, das Gott in die menschliche Natur gelegt hat und das in der Stimme des Gewissens zu Bewußtsein kommt.

    Die Menschenrechte können kein Grund sein, um Christen zur Übertretung der göttlichen Gebote zu zwingen. Die orthodoxe Kirche hält Versuche für unzulässig, die Ansicht der Gläubigen über den Menschen, die Familie, das gemeinschaftliche Leben und die kirchliche Praxis einem areligiösen Verständnis der Menschenrechte unterzuordnen. Darauf müssen Christen mit den Aposteln Petrus und Johannes erklären: Ob es vor Gott recht ist, mehr auf euch zu hören als auf Gott, das entscheidet selbst (Apg 4,19).

    Es ist unzulässig, in den Bereich der Menschenrechte Normen einzuführen, die sowohl die Moral des Evangeliums als auch die natürliche Moral untergraben oder aufheben. Die Kirche sieht eine sehr große Gefahr in der Unterstützung verschiedener Laster in Gesetzgebung und Gesellschaft, z.B. sexuelle Zügellosigkeit und Perversion, Profitgier und Gewalt. Ebenso unzulässig ist es, unsittliche und unmenschliche Hand­lungen in Bezug auf den Menschen zur Norm zu erheben, etwa Ab­treibung, Euthanasie, die Verwendung menschlicher Embryonen in der Medizin, Experimente, welche die Natur des Menschen verändern und ähnliches.

    Leider gibt es in der Gesellschaft Gesetzesnormen und politische Praktiken, die solche Handlungen nicht nur erlauben, sondern auch die Voraussetzungen dafür schaffen, diese Normen durch Massenmedien, das Bildungs- und Gesundheitssystem, Reklame, Handel und Dienstleistung der ganzen Gesellschaft aufzudrängen. Mehr noch, gläubige Menschen, die solche Erscheinungen für sündhaft halten, werden gezwungen, die Legitimität der Sünde anzuerkennen, oder sie werden Diskriminierungen und Verfolgungen ausgesetzt.

    Nach den Gesetzen vieler Länder werden Handlungen bestraft, die einem anderen Menschen schaden. Die Lebenserfahrung zeigt jedoch, daß auch ein Schaden, den der Mensch sich selbst zufügt, auf die Umgebung übergreift, auf diejenigen, die mit ihm durch die Bande des Blutes, der Freund­schaft, der Nachbarschaft, der gemeinsamen Arbeit und der Staats­bürgerschaft verbunden sind. Der Mensch trägt die Verantwortung für die Folgen der Sünde, da sich seine Wahlentscheidung für das Böse auf die Nächsten und die gesamte Schöpfung Gottes unheilvoll auswirkt.

    Seiner Würde entsprechend ist der Mensch zu guten Taten berufen. Er ist verpflichtet, sich um die Umwelt und die Menschen zu sorgen. Das Bestreben seines Lebens muß darin bestehen, das Gute zu tun und zu lehren, nicht das Böse: Wer auch nur eines von den kleinsten Geboten aufhebt und die Menschen entsprechend lehrt, der wird im Himmelreich der Kleinste sein. Wer sie aber hält und halten lehrt, der wird groß sein im Himmelreich (Mt 5,19).

    III.4. Die Menschenrechte dürfen der Liebe zum Vaterland und zum Nächsten nicht widersprechen. Der Schöpfer hat in die menschliche Natur die Notwendigkeit der Gemeinschaft und Verbundenheit mit anderen Menschen hineingelegt; dazu heißt es: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein bleibt (Gen 2,18). Die Liebe zur Familie und zu anderen Nahestehenden muß sich auch ausweiten auf das Volk und das Land, in denen der Mensch lebt. Nicht umsonst führt die orthodoxe Tradition den Patriotismus auf das Wort des Erlösers Christus selbst zurück: Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt (Joh 15,13).

    Die Anerkennung der Rechte des Individuums muß ins Gleichgewicht gebracht werden, indem die Verantwortung der Menschen füreinander bekräftigt wird. Extremer Individualismus und extremer Kollektivismus sind einem harmonischen Aufbau des gesellschaftlichen Lebens nicht förderlich. Sie führen zum Niedergang der Person, zum sittlichen und rechtlichen Nihilismus, zum Anwachsen der Kriminalität, zum Verlust staatsbürgerlichen Handelns und zur gegenseitigen Entfremdung der Menschen.

    Die geistige Erfahrung der Kirche bezeugt, daß die Spannung zwischen den individuellen und gesellschaftlichen Interessen überwunden werden kann, wenn Rechte und Freiheiten des Menschen mit den sittlichen Werten in Einklang gebracht werden, und vor allem, wenn das Leben des Menschen und der Gesellschaft durch die Liebe verlebendigt wird. Gerade die Liebe hebt alle Widersprüche zwischen der Person und ihren Mitmenschen auf, indem sie den Menschen dazu befähigt, seine Freiheit voll zu verwirklichen und sich gleichzeitig um die Nächsten und das Vaterland zu sorgen.

    Handlungen, die auf die Wahrung der Menschenrechte und die Vervollkommnung der sozialen und wirtschaftlichen Beziehungen und Institutionen gerichtet sind, sind nicht wirklich von Erfolg gekrönt, wenn die geistigen und kulturellen Traditionen der Länder und Völker ignoriert werden.

    Unter dem Vorwand des Schutzes der Menschenrechte dürfen die einen Zivilisationen den anderen nicht ihre Lebensform aufdrängen. Die Menschenrechtstätigkeit darf nicht den politischen Interessen einzelner Länder dienen. Der Kampf für die Menschenrechte wird erst dann fruchtbar, wenn er dem geistigen und materiellen Wohl des einzelnen und der Gesellschaft dient.

    III.5. Die Verwirklichung der Menschenrechte darf nicht zum Niedergang der Umwelt und zur Ausbeutung der Bodenschätze führen. Der Verzicht auf die Orientierung des menschlichen Lebens und der Gesellschaft an der göttlichen Offenbarung führt nicht nur zu Zwietracht in den zwischenmenschlichen Beziehungen, sondern auch zu einem katastrophalen Konflikt zwischen dem Menschen und der Natur, die der Schöpfer dem Menschen zur Kultivierung anvertraut hat (Gen 1,28). Das ungezügelte Streben nach Befriedigung materieller Bedürfnisse, insbesondere überflüssiger und künstlicher Bedürfnisse, ist seinem Wesen nach sündhaft, denn es läßt die mensch­liche Seele und die Umwelt verarmen. Man darf nicht vergessen, daß die natürlichen Reichtümer der Erde nicht einfach Eigentum des Menschen sind, sondern vor allem Gottes Schöpfung: Dem Herrn gehört die Erde und was sie erfüllt, der Erdkreis und seine Bewohner (Ps 24 [23],1). Die Anerkennung der Menschenrechte bedeutet nicht, daß der Mensch seinen egoistischen Interessen zuliebe die natürlichen Ressourcen verschwenden darf. Die Würde des Menschen läßt sich nicht trennen von seiner Berufung, Gottes Welt zu kultivieren (Gen 2,15), Maß zu halten bei der Befriedigung seiner Bedürfnisse, behutsam mit Reichtum, Vielfalt und Schön­heit der Natur umzugehen. Diese Wahrheiten müssen von Gesellschaft und Staat bei der Festlegung der wichtigsten Ziele der sozio-ökonomischen und materiell-technischen Entwicklung mit allem Ernst in Betracht gezogen werden. Dabei ist auch zu bedenken, daß nicht nur die heutigen, sondern auch die künftigen Generationen ein Recht darauf haben, die Güter der Natur zu nutzen, die der Schöpfer uns gegeben hat.

      Vom Standpunkt der orthodoxen Kirche kann die politisch-rechtliche Einrichtung der Menschenrechte den guten Zielen des Schutzes der mensch­lichen Würde dienen und zur geistig-sittlichen Entwicklung der Person beitragen. Dabei darf die Verwirklichung der Menschenrechte nicht zu den von Gott gesetzten sittlichen Normen und zu dem darauf beruhen­den traditionsbezogenen Ethos in Widerspruch treten. Die individuellen Rechte des Menschen können den Werten und Anliegen des Vaterlandes, der Gemeinschaft und der Familie nicht zuwiderlaufen. Die Verwirk­lichung der Menschenrechte darf nicht zur Rechtfertigung für Anschläge auf religiöse Heiligtümer, kulturelle Werte und auf die Eigenständigkeit eines Volkes werden. Die Menschenrechte dürfen nicht als Anlaß dienen, um den Naturgütern einen nicht wieder gutzumachenden Schaden zuzufügen.

IV. Würde und Freiheit im System der Menschenrechte

IV.1. Es gibt verschiedene Traditionen der Interpretation und nationale Besonderheiten bei der Verwirklichung des Komplexes der Rechte und Freiheiten. Das moderne System der Menschenrechte ist weit verzweigt und tendiert zu einer noch größeren Differenzierung. In der Welt gibt es keine allgemein anerkannte Klassifikation der Rechte und Freiheiten. Unterschiedliche Rechtsschulen gruppieren sie nach verschiedenen Kriterien. Die Kirche schlägt kraft ihrer grundlegenden Berufung vor, die Rech­te und Freiheiten unter dem Aspekt ihrer möglichen Rolle bei der Schaffung günstiger äußerer Bedingungen für die Vervollkommnung der Person auf ihrem Weg zur Erlösung zu betrachten.

    IV.2. Das Recht auf Leben. Das Leben ist Gabe Gottes an den Menschen. Der Herr Jesus Christus verkündet: Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben (Joh 10,10). Der Prophet Moses hat von Gott unter anderen das Gebot Du sollst nicht töten! erhalten. Die Orthodoxie billigt den Terrorismus nicht, sondern verurteilt ihn, ebenso bewaffnete Aggression, kriminelle Gewalt wie auch alle anderen Formen der Tötung menschlichen Lebens.

    Zugleich jedoch beschränkt sich das Leben nicht auf den irdischen Bereich, in dessen Rahmen der Mensch eine säkulare Weltsicht und das damit verbundene Rechtssystem annimmt. Das Christentum bezeugt, daß das irdische Leben, das in sich wertvoll ist, erst in der Perspektive des ewigen Lebens seine Fülle und seinen absoluten Sinn gewinnt. An erster Stelle muß daher nicht der Wunsch stehen, das irdische Leben um jeden Preis zu erhalten, sondern das Bestreben, es so gestalten, daß der Mensch in Zusammenarbeit mit Gott seine Seele für die Ewigkeit bereiten kann.

    Das Wort Gottes lehrt, daß die Hingabe des irdischen Lebens um Christi und des Evangeliums willen (Mk 8,35) sowie für andere Menschen der Erlösung des Menschen nicht schadet, sondern ihn im Gegenteil in das Himmelreich führt (Joh 15,13). Die Kirche ehrt die Großtat der Märtyrer, die dem Herrn bis in den Tod dienten, und der Bekenner, die sich angesichts von Verfolgungen und Drohungen nicht von Ihm losgesagt haben. Orthodoxe Christen ehren auch den Heldenmut derer, die ihr Leben für das Vaterland und ihre Nächsten auf dem Schlachtfeld gelassen haben.

    Hingegen verurteilt die Kirche Selbstmord, da ein Selbstmörder sich nicht aufopfert, sondern das Leben als Geschenk Gottes zurückweist. So gesehen, ist die Legalisierung der sogenannten Euthanasie - der Beihilfe zur Beendigung des Lebens - unannehmbar, denn es handelt sich um eine Kombination von Mord und Selbstmord.

    Das Recht auf Leben schließt den Schutz des menschlichen Lebens vom Augenblick der Empfängnis an mit ein. Jeder Anschlag auf das Leben der werdenden menschlichen Person ist eine Verletzung dieses Rechtes. Die moderne internationale und nationalen Gesetzgebung stärkt und schützt das Leben und das Recht des Kindes, des Erwachsenen und des betagten Menschen. Diese Logik des Schutzes für das menschliche Leben muß sich auch auf den Zeitraum vom Moment der Empfängnis bis zur Geburt erstrecken. Die biblische Vorstellung vom gottgegebenen Wert des mensch­lichen Lebens seit dem Moment der Empfängnis kommt insbesondere in den Worten des Psalmisten zum Ausdruck, die dem heiligen König David zugeschrieben werden: Denn du hast mein Inneres geschaffen, mich gewoben im Schoß meiner Mutter ... Als ich geformt wurde im Dunkeln, kunstvoll gewirkt in den Tiefen der Erde, waren meine Glieder dir nicht verborgen. Deine Augen sahen, wie ich entstand, in deinem Buch war schon alles verzeichnet; meine Tage waren schon gebildet, als noch keiner von ihnen da war (Ps 139 [138],13.15-16).

    Wenn man zugibt, daß die Todesstrafe zur Zeit des Alten Testaments gebilligt wurde, und es „weder im Neuen Testament noch in der Überlieferung und im historischen Erbe der Orthodoxen Kirche" Hinweise auf die Notwendigkeit ihrer Abschaffung gibt, muß man auch bedenken, daß „die Kirche oft die Pflicht der Fürsprache für zum Tode Verurteilte auf sich genommen und für sie um Erbarmen und Strafmilderung gebeten hat" (Grundlagen der Sozialkonzeption der Russischen Orthodoxen Kirche, IX.3). Die Kirche verteidigt das menschliche Leben und ist daher unabhängig von der Haltung der Gesellschaft zur Todesstrafe dazu berufen, diese Pflicht der Fürsprache auszuüben.

    IV.3. Die Gewissensfreiheit. Die Gabe der Wahlfreiheit kommt dem Mensch vor allem an der Möglichkeit zu Bewußtsein, die weltanschaulichen Orientierungen seines Lebens zu wählen. So schreibt der heilige Irenäus von Lyon: „Gott hat ihn [den Menschen] in Freiheit erschaffen, von Anfang an im Besitz eigener Kraft ..., um freiwillig Gottes Ratschluß vollziehen zu können, ohne von ihm dazu gezwungen werden zu müssen" („Adversus haereses", IV,37,1). Das Prinzip der Gewissensfreiheit steht im Einklang mit Gottes Willen, wenn es den Menschen vor Willkür in Bezug auf seine innere Welt, vor dem gewaltsamen Aufdrängen irgendwelcher Überzeugungen schützt. Nicht umsonst erkennt die Kirche in den „Grund­lagen der Sozialkonzeption der Russischen Orthodoxen Kirche" die Notwendigkeit an, „für den Menschen einen gewissen autonomen Bereich zu wahren, in dem sein Gewissen ‚autokratisch' herrscht, denn von der freien Willensäußerung hängen letzten Endes Erlösung oder Verderben ab, der Weg zu Christus oder von ihm weg" (Grundlagen der Sozialkonzeption, III.6). Unter den Bedingungen des säkularen Staates erlaubt die ausgerufene und gesetzlich verankerte Gewissensfreiheit der Kirche, ihre Eigenständigkeit und Unabhängigkeit gegenüber Menschen anderer Überzeugungen zu wahren und gibt die rechtliche Grundlage für die Unantastbarkeit ihres inneren Lebens wie auch für das öffentliche Zeugnis für Christus. Zugleich „zeugt die rechtliche Festschreibung der Gewissensfreiheit von dem Verlust religiöser Ziele und Werte in der Gesellschaft" (Grundlagen der Sozialkonzeption, III.6).

    Manchmal wird die Gewissensfreiheit als Forderung nach religiöser Neutralität oder Indifferenz von Staat und Gesellschaft behandelt. Gewisse ideologische Interpretationen der Religionsfreiheit bestehen darauf, alle Glaubensbekenntnisse als relativ oder ‚gleichermaßen wahr' anzuerkennen. Für die Kirche ist das unannehmbar. Sie respektiert die Wahlfreiheit, ist jedoch dazu berufen, die von ihr gehütete Wahrheit zu bezeugen und Verirrungen aufzudecken (1 Tim 3,15).

    Die Gesellschaft hat das Recht, Inhalt und Umfang der Wechselbeziehungen des Staates mit den verschiedenen Religionsgemeinschaften frei zu bestimmen, je nach deren zahlenmäßiger Stärke, der Verankerung in der Tradition des Landes oder der Region, dem Beitrag zu Geschichte und Kultur und deren staatsbürgerlicher Position. Dabei muß die Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz unabhängig von ihrer Haltung zur Religion gewährleistet sein. Das Prinzip der Gewissensfreiheit ist kein Hindernis für partnerschaftliche Beziehungen zwischen Kirche und Staat in sozialen Fragen, Wohltätigkeit, Bildung und anderen gesellschaftlich bedeutsamen Aktivitäten.

    Man darf nicht unter Berufung auf die Gewissensfreiheit das Wesen dieses Prinzips verkehren und das Leben und die Überzeugungen des Menschen einer totalen Kontrolle unterwerfen, die persönliche, familiäre und gesellschaftliche Sittlichkeit zerstören, religiöse Gefühle verletzen, Anschläge auf Heiligtümer verüben und der geistig-kulturellen Eigenständigkeit eines Volkes Schaden zufügen.

    IV.4. Die Freiheit des Wortes. Die Freiheit des Ausdrucks von Gedanken und Gefühlen, die die Möglichkeit der Verbreitung von Informationen impliziert, ist eine natürliche Fortsetzung der freien Wahl der Weltanschauung. Das Wort ist das wichtigste Kommunikationsmittel der Menschen mit Gott und untereinander. Der Inhalt der Kommunikation hat schwerwiegende Auswirkungen auf das Wohlergehen des Menschen und die zwischenmenschlichen Beziehungen in der Gesellschaft. Der Mensch trägt eine besondere Verantwortung für seine Worte. Denn aufgrund deiner Worte wirst du freigesprochen, und aufgrund deiner Worte wirst du verurteilt werden, heißt es in der Heiligen Schrift (Mt 12,37). Öffentliche Auftritte und Erklärungen dürfen nicht der Verbreitung der Sünde Vorschub leisten und in der Gesellschaft weder Zwietracht noch Unordnung säen. Das Wort soll das Gute aufbauen und stützen. Besonders gefährlich ist es, religiöse und nationale Gefühle zu verletzten, Informationen über das Leben verschiedener religiöser Gemeinschaften, Völker, sozialer Gruppen und Personen zu entstellen. Die Verantwortung für das Wort wächst in der modernen Welt, die eine stürmische Entwicklung in der Technologie der Datenspeicherung und -verbreitung erlebt, um ein Vielfaches.

    IV.5. Die Freiheit des Schaffens. Schöpferische Fähigkeiten sind im Grunde Erscheinungsformen des göttlichen Ebenbildes im Menschen. Die Kirche heißt ein Schaffen gut, das neue Horizonte für das geistige Wachstum des Menschen und die Erkenntnis der geschaffenen Welt eröffnet. Die Schaffenskraft ist dazu berufen, zur Entfaltung des Potentials der Person beizutragen, und darf daher eine nihilistische Haltung zu Kultur, Religion und Sittlichkeit nicht rechtfertigen. Das Recht auf Selbstäußerung einzelner Personen oder Menschengruppen darf keine Formen an­nehmen, die beleidigend für Überzeugungen und Lebensformen anderer Glieder der Gesellschaft sind. Dabei muß eines der Grundprinzipien des Zusammenlebens, der gegenseitige Respekt der verschiedenen weltanschaulichen Gruppen, geachtet werden.

    Die Schändung von Heiligtümern darf nicht unter Berufung auf die Rechte des Künstlers, Schriftstellers oder Journalisten gerechtfertigt wer­den. Die moderne Gesetzgebung verteidigt gewöhnlich nicht nur Leben und Eigentum der Menschen, sondern auch symbolische Werte wie das Gedächtnis der Verstorbenen, Grabstätten, historische und kulturelle Denkmäler, staatliche Wahrzeichen. Ein solcher Schutz muß sich auch auf den Glauben und die Heiligtümer erstrecken, die den Gläubigen wertvoll sind.

    IV.6. Das Recht auf Bildung. Gott ähnlich zu werden im Tun des Guten ist das Ziel des irdischen Lebens des Menschen. Bildung ist nicht nur ein Mittel zum Wissenserwerb oder zur Einführung des Menschen in das Leben der Gesellschaft, sondern auch eine Erziehung der Person in Übereinstimmung mit dem Plan des Schöpfers. Das Recht auf Bildung setzt den Wissenserwerb unter Berücksichtigung der kulturellen Traditionen der Gesellschaft und der weltanschaulichen Position der Familie und der betreffenden Person voraus. Den meisten Weltkulturen liegt eine Religion zugrunde. Daher muß die allseitige Bildung und Erziehung eines Menschen die Unterweisung in der Religion einschließen, welche die Kultur, in der dieser Mensch lebt, hervorgebracht hat. Dabei ist die Gewissensfreiheit zu achten.

    IV.7. Bürgerliche und politische Rechte. In der Heiligen Schrift werden die Gläubigen angehalten, die für Familie und Gesellschaft bedeutsamen Pflichten als Gehorsam Christus gegenüber zu erfüllen (Lk 3,10-14; Eph 5,23-33; Tit 3,1). Der heilige Apostel Paulus hat sich wiederholt auf die Rechte eines römischen Bürgers berufen, um das Wort Gottes ungehindert zu predigen. Die bürgerlichen und politischen Rechte gewähren dem Menschen breite Möglichkeiten zum tätigen Dienst am Nächsten. Wenn der Bürger dieses Instrument nutzt, kann er Einfluß auf das Leben der Gesellschaft nehmen und sich an der Lenkung der Staatsangelegenheiten beteiligen. Das Wohlergehen der Gesellschaft hängt davon ab, wie der Mensch mit seinem aktiven und passiven Wahlrecht, mit der Ver­samm­lungs- und Vereinigungsfreiheit, der Rede- und Meinungsfreiheit umgeht.

    Der Gebrauch der politischen und bürgerlichen Rechte darf nicht zu Spaltungen und Feindseligkeiten führen. Die orthodoxe Tradition der Sobornost'6 setzt die Bewahrung der gesellschaftlichen Einheit aufgrund unvergänglicher sittlicher Werte voraus. Die Kirche ruft die Menschen dazu auf, ihre egoistischen Interessen zugunsten des Gemeinwohls zu zügeln.

    In der Geschichte der Völker, die von der Russischen Orthodoxen Kirche genährt werden, hat sich eine fruchtbare Vorstellung von der notwendigen Zusammenarbeit zwischen der politischen Gewalt und der Gesellschaft herausgebildet. Die politischen Rechte können einem solchen Prinzip der staatlich-gesellschaftlichen Beziehungen vollwertig dienen. Dazu sind eine reale Interessenvertretung der Bürger auf den verschiedenen Ebenen der Macht und die Gewährung von Handlungsmöglichkeiten für die Bürger nötig.

    Das Privatleben, die Weltanschauung und der Wille der Menschen dürfen nicht Gegenstand totaler Kontrolle werden. Manipulationen der Wahl der Menschen und ihres Bewußtseins durch staatliche Organe, politische Kräfte, Eliten aus dem Wirtschafts- und dem Informationssektor sind für die Gesellschaft gefährlich. Unzulässig sind auch die Samm­lung, Speicherung und Verwendung von Daten über beliebige Aspek­te des Lebens der Menschen ohne deren Zustimmung. Wenn die Verteidigung des Vaterlandes, die Wahrung der Sittlichkeit, der Schutz der Gesundheit, der Rechte und legitimen Interessen der Bürger wie auch die Verhütung oder Aufklärung von Verbrechen und die Umsetzung der Rechtsprechung es erfordern, kann die personbezogene Datenspeicherung auch ohne Zustimmung des Betroffenen erfolgen. In diesen Fällen müssen jedoch der Erwerb und die Nutzung der Daten den erklärten Zielen entsprechen und unter Beachtung der Gesetze erfolgen. Die Methoden der personbezogenen Datenspeicherung und -verarbeitung dürfen die Menschenwürde nicht herabsetzen, die Freiheit einschränken und den Menschen aus einem Subjekt gesellschaftlicher Beziehungen zu einem Objekt maschineller Steuerung machen. Noch gefährlicher für die Freiheit des Menschen ist die Einführung technischer Mittel, die den Menschen ständig begleiten oder von seinem Körper nicht getrennt werden können, wenn diese zur Kontrolle und Steuerung der Person verwendet werden können.

    IV.8. Sozio-ökonomische Rechte. Das irdische Leben ist ohne die Befriedigung der materiellen Bedürfnisse des Menschen unmöglich. In der Apostelgeschichte wird von der urchristlichen Gemeinde bekundet, daß in ihr die materielle Sorge um ihre Mitglieder besonders hoch stand (Apg 4,32-37; 6,1-6). Der rechte Gebrauch der materiellen Güter ist für die Frage des Heils nicht unbedeutend. Daher ist es notwendig, den Rech­ten und Freiheiten wie dem Eigentumsrecht, dem Recht auf Arbeit, auf Schutz vor Willkür des Arbeitgebers, der Freiheit des Unternehmertums, dem Recht auf einen angemessenen Lebensstandard eine klare sittliche Dimension zu verleihen.

    Die Verwirklichung ökonomischer Rechte darf nicht zur Bildung einer Gesellschaft führen, in der die Nutzung materieller Güter sich zum dominierenden oder sogar einzigen Daseinsziel des Gemeinwesens verwandelt. Die Bestimmung der ökonomischen und sozialen Rechte liegt nicht zuletzt darin, eine konfliktträchtige Zersplitterung der Gesellschaft abzuwenden. Eine solche Zersplitterung steht dem Gebot der Nächstenliebe entgegen, schafft Voraussetzungen für den Sittenverfall der Gesellschaft und des einzelnen, führt zur gegenseitigen Entfremdung der Menschen und verletzt das Gerechtigkeitsprinzip.

    Eine wichtige Verantwortung der Gesellschaft ist die Fürsorge für Menschen, die nicht imstande sind, ihre materiellen Bedürfnisse sicherzustellen. Der Zugang zu Bildung und lebensnotwendiger medizinischer Hilfe darf nicht von der sozialen und wirtschaftlichen Lage eines Menschen abhängen.

    IV.9. Gemeinschaftsbezogene Rechte. Die Rechte der Einzelperson dür­fen nicht zerstörerisch für die spezifische Lebensweise und die Traditionen der Familie sowie für die verschiedenen religiösen, nationalen und sozialen Gemeinschaften sein. Gott hat in die menschliche Natur das Streben des Individuums nach gemeinschaftlichem Leben gelegt (Gen 2,18). Auf dem Weg zur Erfüllung des göttlichen Willens zur Einheit des Menschengeschlechts spielen verschiedene Formen gemeinschaftlichen Lebens eine wichtige Rolle, die in nationalen, staatlichen und sozialen Vereinigungen verwirklicht werden. Die Fülle der Verwirklichung der göttlichen Gebote zur Gottes- und Nächstenliebe (Mt 22,37-39) zeigt sich jedoch in der Kirche, die ein gottmenschlicher Organismus ist.

    Am Ursprung des gemeinschaftlichen Lebens steht die Familie. Nicht umsonst spricht der heilige Apostel Paulus von der Teilhabe der Familie am Sakrament der Kirche (Eph 5,23-33). In der Familie macht der Mensch die Erfahrung der Liebe zu Gott und zum Nächsten. Durch die Familie werden religiöse Traditionen, die soziale Ordnung und die nationale Kultur der Gesellschaft überliefert. Das moderne Recht muß die Familie als rechtmäßige Verbindung von Mann und Frau betrachten, in der die natürlichen Bedingungen für die normale Kindererziehung geschaffen sind. Das Gesetz ist auch berufen, die Familie als ganzheitlichen Organismus zu achten und sie vor der Zerstörung zu schützen, die durch den Verfall der Sittlichkeit hervorgerufen wird. Beim Schutz der Rechte des Kindes darf das Rechtssystem die besondere Rolle der Eltern bei der Erziehung, die von der weltanschaulichen und religiösen Erfahrung nicht zu trennen ist, nicht leugnen.

    Auch andere gemeinschaftsbezogene Rechte wie das Recht auf Frieden, auf den Schutz der Umwelt, auf die Bewahrung des kulturellen Erbes und der inneren Normen, die das Leben verschiedener Gemeinschaften ordnen, müssen unbedingt geachtet werden.

      Die Einheit und gegenseitige Verbundenheit bürgerlicher und politischer, wirtschaftlicher und sozialer, individueller und gemeinschaftsbezogener Menschenrechte vermag zu einer harmonischen Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens auf nationaler wie auf internationaler Ebene beizu­tragen. Der gesellschaftliche Wert und die Leistungsfähigkeit des gesamten Systems der Menschenrechte hängt davon ab, in welchem Maße es die Bedingungen für das Wachs­tum der Person in der von Gott gegebenen Würde schafft und wie eng es mit der Verantwortung des Menschen für seine Taten vor Gott und den Nächsten verknüpft ist.

V. Prinzipien und Ausrichtungen der Menschenrechtstätigkeit der Russi­schen Orthodoxen Kirche

   V.1. Seit frühesten Zeiten bis heute tritt die Orthodoxe Kirche vor der weltlichen Macht für Menschen ein, die ungerecht verurteilt, erniedrigt, entrechtet und ausgebeutet werden. Die barmherzige Fürsprache der Kirche erstreckt sich auch auf jene, die einer gerechten Strafe für ihre Vergehen unterliegen. Die Kirche hat auch wiederholt dazu aufgerufen, der Gewalt Einhalt zu bieten und die Gemüter zu besänftigen, wenn Konflikte entbrannt waren, in deren Verlauf die Rechte des Menschen auf Leben, Gesundheit, Freiheit und Besitz mit Füßen getreten wurden. Schließ­lich haben sich orthodoxe Bischöfe, Priester und Laien in den Jahren der atheistischen Verfolgungen an die Machthaber und die Gesellschaft gewandt, um die Freiheit des Glaubensbekenntnisses zu verteidigen und für das Recht auf eine breite Beteiligung der Religionsgemeinschaften am Leben des Volkes einzutreten.

    V.2. Ebenso sind wir auch heute aufgerufen, engagiert für die Wahrung der Rechte und der Würde des Menschen einzutreten, nicht nur in Worten, sondern auch in Taten. Dabei sind wir uns bewußt, daß die Menschenrechte in der heutigen Welt mitunter verletzt werden und die Würde des Menschen nicht nur durch die Staatsmacht, sondern auch durch übernationale Einrichtungen, Wirtschaftsträger, pseudoreligiöse Gruppen, terroristische und andere kriminelle Vereinigungen mit Füßen getreten wird. Immer häufiger müssen Würde und Rechte des Menschen vor einer zerstörerischen Aggression durch Informationsmedien ge­schützt werden.

    In unserem Einsatz für die Menschenrechte sind folgende Bereiche besonders hervorzuheben:

-   die Verteidigung des Menschenrechts auf ein freies Glaubensbekenntnis, auf den Vollzug von Gebet und Gottesdienst, auf die Wahrung der geistig-kulturellen Traditionen, das Befolgen religiöser Grundsätze im Privatleben wie auch im Bereich öffentlichen Handelns;

-   die Bekämpfung von Verbrechen aufgrund nationaler und religiöser Feind­seligkeit;

-   der Schutz der Person vor Willkür durch Machthaber und Arbeitgeber so­wie vor Gewalt und Erniedrigung in der Familie und am Arbeitsplatz;

-   der Schutz des Lebens, der Wahlfreiheit und des Eigentums der Menschen bei Konflikten zwischen Völkerschaften sowie Konflikten auf politischer, wirtschaftlicher und sozialer Ebene;

-   die pastorale Betreuung von Militärangehörigen, die Wahrung ihrer Rechte und ihrer Würde bei Kampfhandlungen sowie beim Dienst in Friedenszeiten;

-   die Sorge für die Achtung der Würde und der Rechte von Menschen, die sich in sozialen Einrichtungen und in Haft befinden, mit besonderer Aufmerksamkeit für die Lage von Behinderten, Waisen, Betagten und anderen hilfsbedürftigen Menschen;

-   der Schutz der Rechte der Nation und ethnischer Gruppen auf ihre Religion, Sprache und Kultur;

-   der Einsatz für jene, deren Rechte, Freiheit und Gesundheit unter der Tätigkeit destruktiver Sekten leiden;

-   die Unterstützung der Familie in dem traditionellen Verständnis von Vaterschaft, Mutterschaft und Kindschaft;

-   der Widerstand gegen die Anstiftung von Menschen zu Korruption und anderen Formen von Verbrechen, sowie zu Prostitution, Drogen- und Spielsucht;

-   die Sorge um eine gerechte wirtschaftliche und soziale Ordnung der Gesellschaft;

-   die Verhinderung einer totalen Kontrolle über die menschliche Person, ihre weltanschauliche Wahl und ihr Privatleben durch Nutzung moderner Technologien und politischer Manipulationen;

-   die Erziehung zur Achtung vor dem Gesetz, die Verbreitung einer positiven Erfahrung bei der Verwirklichung und Verteidigung der Menschenrechte;

-   sachkundige Stellungnahmen zu Rechtsakten, Gesetzesinitiativen und Aktivitäten der Staatsorgane, mit dem Ziel, schwerwiegende Schädigungen der Rechte und der Würde des Menschen und den Sittenverfall in der Gesellschaft abzuwenden;

-   die Beteiligung an der gesellschaftlichen Kontrolle über die Ausführung der Gesetzesbestimmungen, insbesondere im Hinblick auf die Regelung der Beziehungen zwischen Kirche und Staat, wie auch über den Vollzug gerechter Gerichtsurteile.

    V.3. Gläubige der Russischen Orthodoxen Kirche können zum Schutz der Menschenrechte tätig werden sowohl auf gesamtkirchlicher Ebene mit dem Segen der Geist­lichkeit, aber auch in von Laien gegründeten gesellschaftlichen Vereinigungen, von denen viele bereits heute erfolgreich in diesem Bereich arbeiten. In ihrer Tätigkeit zum Schutz der Rechte und der Würde des Menschen bemüht sich die Kirche um Zusammenarbeit mit staatlichen und gesellschaftlichen Kräften. Bei der Wahl von Partnern in der Gesellschaft denkt sie an das Wort Christi, des Erlösers, an die Apostel: Wer nicht gegen uns ist, der ist für uns (Mk 9,40).

    V.4. Christen sind dazu berufen, auf der Grundlage der kirchlichen Lehre über Würde, Freiheit und Rechte des Menschen eine sittlich ausgerichtete soziale Tätigkeit zu entfalten. Diese kann in unterschiedlichen Formen in Erscheinung treten, beispielsweise im Zeugnis vor der politischen Gewalt, in intellektuellen Beiträgen, in der Durchführung von Kampagnen zum Schutz bestimmter Menschengruppen und ihrer Rech­te. Ohne einen revolutionären Umsturz der Welt anzustreben und im Respekt vor den Rechten anderer gesellschaftlicher Gruppen, sich auf der Grundlage ihrer weltanschaulichen Wahl an den gesellschaftlichen Reformen zu beteiligen, behalten sich orthodoxe Christen das Recht auf Mitwirkung an einer Gesellschaftsordnung vor, die ihrem Glauben und ihren sittlichen Grundsätzen nicht widerspricht. Die Russische Orthodoxe Kirche ist bereit, diese Prinzipien im Dialog mit der Weltgemeinschaft und in Zusammenarbeit mit den Gläubigen anderer traditioneller Be­kenntnisse und Religionen zu verteidigen.-

 

Das vorliegende Dokument wurde vom Bischofskonzil der Russischen Ortho­doxen Kirche als Weiterentwicklung der „Grundlagen der Sozialkonzeption" angenommen. Die kanonischen Einrichtungen, Geistliche und Laien unserer Kirche sind dazu angehalten, sich bei ihren öffentlich relevanten Auftritten und Handlungen von diesem Dokument leiten zu lassen. Es ist Bestandteil des Studiums in den Geistlichen Schulen des Moskauer Patriarchats. Das Dokument wird der brüderlichen Aufmerksamkeit der Orthodoxen Ortskirchen mit der Hoffnung empfohlen, es möge dem Wachsen in der gemeinsamen Gesinnung und der Koordination der praktischen Arbeit dienen. Auch andere christliche Kirchen und Gemeinschaften, andere Religionsgemeinschaften, staatliche Organe und gesellschaftliche Kreise verschiedener Länder sowie internationale Organisationen sind zum Studium und zur Erörterung des Dokumentes eingeladen.

Aus dem Buch "Freiheit und Verantwortung im Einklang"

Veröffentlicht mit der freundlichen Genehmigung von Prof. Dr. Barbara Hallensleben


3      Gregor von Nazianz (um 329-390), Anm. d. Übers.

4      Die liturgischen Bücher verwenden hier den Ausdruck по непорочных. Gemeint sind die kirchenslavischen Anfangsworte von Ps 119 [118] [LXX]: Блаженны непорочны ... („Wohl denen, die ohne Tadel leben"); Anm. d. Übers.

5      Die Hervorhebungen im Original durch Fettdruck werden hier kursiv wiedergegeben; Anm. d. Übers.

6      Соборность bezeichnet die gemeinschaftliche Verfaßtheit der Kirche, die sich in ihrer Konziliarität ausdrückt. Hier wird der Begriff auf das Zusammengehörigkeitsgefühl übertragen, das der religiösen, kulturellen und politische Gemeinschaft Halt gibt; Anm. d. Übers.

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