(Zur „Aktion“ der Band „Pussy Riot“)
Alle sprechen und schreiben über die Aktion der „Pussies“. Schon seit zwei Wochen geht das so, und ein Ende ist nicht in Sicht. Sie war offenbar als Auftakt zu einer antikirchlichen Kampagne geplant (zu einer „antiklerikalen Revolution“, wie es auf einem Poster ganz unverhohlen hieß). Wäre es da vielleicht vernünftiger, zu schweigen Und der Provokation nicht auf den Leim zu gehen? Bin ich denn der Richtige, sich in diese politischen Niederungen zu begeben und sich der sensationslüsternen Journaille auszusetzen?
Dennoch ist es notwendig, einen „professionellen“ Standpunkt zum Geschehen zu äußern, denn das hat noch keiner getan. Wie stellen sich die Blasphemie und das Sakrileg für jemanden dar, der dazu ordiniert ist, das Heilige zu schützen, also für Priester? Und was löste das „bestialische Zähnefletschen der Schwarzröcke“ (Ausdruck von Newsorow[1]) aus? Und was sind das denn für Feinheiten, die in der christlichen Weltanschauung existieren? Was treibt denn die modernen guten Christen dazu, für unschuldige Künstlerinnen Strafe zu fordern?
Es wurde bereits viel davon geschrieben, dass der Alltag eines modernen Priesters eine Abfolge von Demütigungen ist. Man braucht sich also nicht erst groß daran zu gewöhnen, bespuckt und beleidigt zu werden. Ein Priester darf heutzutage verhöhnt, niedergeschlagen, beleidigt, belogen und bestohlen werden und noch vieles mehr; das gilt nicht als besondere Sünde, eher als eine Art Glaubensbekenntnis – zum Kampf gegen das religiöse Dunkelmännertum. Allerdings hatten wir uns quasi darauf vorbereitet, bevor wir die Priesterweihe empfingen. Aber persönliche Schmähungen sind die eine Sache; dagegen ist uns längst eine Elefantenhaut gewachsen, damit man uns sowohl auf die rechte als auch auf die linke Wange schlagen kann! Eine andere Sache ist aber die Schändung eines Heiligtums. Denn ein Priester (aber auch jeder andere gute Christ) ist angehalten, das Heilige zu schützen und es „nicht den Hunden zu geben“. Und das Heilige ist auch wertvoller als das Leben – denn es gaben Menschen ihr Leben für das Heilige und tun dies immer noch. Angefangen beispielsweise, beim Märtyrer Timotheus, der als Lektor gewesen für seine Weigerung, die heiligen christlichen Bücher herauszugeben, ermordet wurde, bis zu den Neomärtyrern Russlands, die sich auf den Rotarmisten entgegenstellten, als diese in den Altarraum einbrachen. Diese schritten über die Leiche hinweg und kreuzigten das ärgerliche Hindernis an den Königspforten (vor einigen Jahren wurde in Mordwinien der unverwesliche Leib eines solchen Gekreuzigten gefunden, von dem weder Vor- noch Nachname bekannt ist). Oder zum Beispiel der Erzbischof, der mit seiner Brust eine Monstranz schützte, mit der sich ein Kommissar amüsierte … In der Alten Kirche versteckten die Christen ihre Heiligtümer in den Katakomben und vergossen auf deren Schwellen ihr Blut, indem sie Gott verteidigten.
All das können Außenstehende nicht verstehen. „Was ist denn das schon – ein bemaltes Stück Eisen… Wie kann man denn dafür sein Leben geben?“ Da stoßen zwei Welten aufeinander, die sich prinzipiell und qualitativ unterscheiden. Und es findet keine Kommunikation statt, denn das Gespräch wird in verschiedenen Sprachen geführt. Aber auch die säkulare Welt hat ihre Werte. Nun denn – versuchen wir es zu erklären, indem wir zu Analogien greifen.
Denken wir uns einen verliebten Botaniker. Er spaziert an einem ruhigen Abend mit seiner jungen Braut durch die Gassen von Moskau, und die beiden wagen es nicht einmal, einander mit der Hand zu berühren… Und da taucht eine Bande Ganoven auf. Und dann – wie amüsant ist es, dem Botaniker die Arme nach hinten zu drehen, und ihm ein wenig die Brille zu putzen, damit er besser sehen kann, und das Mädchen vor seinen Augen ein wenig zu vergewaltigen – aber wirklich nur ein bisschen, wir sind ja schließlich keine Bestien! Und wenn dann der wahnsinnig gewordene Botaniker aus dem Pflaster mit brechenden Fingernägeln Pflastersteine ausbuddelt und ihnen hinterherwirft, lachen sie ihn von weitem aus und tadeln ihn für seine Unbarmherzigkeit. Die Kirche ist so ein ewiger Botaniker: „Wie Schafe inmitten von Wölfen“, oder, wie es im Oktoëchos heißt: „Wie ein junger Vogel in den Fängen eines Wolfes“.
Und der Bandenboss, der sich täglich ein Paar neue Nutten nimmt, kann es nicht verstehen – was soll der Ärger wegen Weibern? Tja, auch wenn dir dein Mädchen genommen wird – es wird dir doch dadurch kein Zacken aus der Krone brechen; ich werde sie kurz benutzen und dann zurückgeben (wenn du dich gut benimmst). Und sie dir wegzunehmen – dazu hatte ich das Recht; bleib mal schön ruhig, Junge, ich bin eben stärker als du (und versteh doch, das ist meine kreative Selbstverwirklichung, ich brauche halt mal eine Abwechslung). Und das über die Liebe – tja, das sind ja halt Märchen, die Ihr Botaniker ausgedacht haben.
Die Christen lieben Christus – bitte, verstehen Sie das! Diese Liebe ist wirklich, sie ist ein objektiver Faktor der Geschichte; sie hat die christliche Ära erschaffen. Ja, diese Liebe ist anders; nicht so wie bei einem Jungen zu einem Mädchen, und auch nicht wie die von Kindern zu ihren Eltern. Sie ist stärker. Man könnte es Fanatismus nennen – aber solange es den Glauben gibt, wird es auch die Liebe geben. Gewiss hat jeder sein eigenes Maß… Aber für diese Liebe werden Menschen immer viele Opfer bringen und manchmal sogar ihr Leben geben. Sie würden sich auch schlagen – allein gegen zehn. Diese Liebe kann nicht tolerierender gemacht werden. Sie ist jenseits aller Berechnung, außerhalb aller Ideologie und Politik…. Und Sie werden nichts dagegen tun können! Die Schändung eines Heiligtums ist nicht nur ein Spucken in die Seele; es ist ein Nagel in die Hände Christi. Und es ist schon mal passiert, dass die Schänder für diesen Nagel sogar zerrissen wurden… Von Nikiphorow-Wolgin[2] gibt es eine Erzählung (die übrigens auf wahren Ereignissen beruht), in der Gemeindeschwestern einen Kommissar zerreißen, der sich betrügerisch als Priester ausgegeben und eine Weile lang die Liturgie entweiht hatte. Natürlich wurden sie hinterher alle erschossen.
Doch über Liebe wissen Sie sicherlich, sind daher auch raffinierte Schikane ein kreatives Experiment? Heißt es wirklich so? Wenn man in einer Gesellschaft blasphemisch redet, gibt es für einen Christen zwei Möglichkeiten: Entweder er stellt sich schützend vor seinen gelästerten Gott – zur Not bis hin zu einer Prügelei – oder er geht weg. Während des letzten Jahrhunderts haben wir uns daran gewöhnt, wegzugehen (ganz leise, ohne die Türe zu knallen), wegzuschauen und nicht zuzuhören.
Glauben Sie etwa, heute gäbe es weniger Blasphemie? Von wegen! Blasphemie gibt es in der modernen Welt genug – es genügt, ein bisschen mit der Maus im weltweiten Netz auf Entdeckungsreise zu gehen. Ach, Sie mögen es aber nicht virtuell? Nun, auch in der realen Welt werden sie schnell fündig werden. Eine Provokation, ein kreatives Experiment mit dem religiösen Gefühl, der christlichen Liebe. Na, mal sehen, wie werden sie reagieren? Wie laut werden wie schreien?
Nun einmal schön ruhig – bitte kein Seelengeschrei. Seien wir modern, argumentieren wir juristisch. Setzen wir uns doch erst einmal zusammen und sehen uns den Schaden der beiden Seiten an. Nehmen wir ein banales Beispiel: ein Mann stößt an den Kelch, den ein Priester während der Kommunion hält, und das Blut Christ schwappt über. Der Kerl wird festgenommen und der Polizei übergegeben, aber zwei Stunden später wird er freigelassen – er sagt, er sei ausgerutscht – und der Priester, der viele Kinder hat, wird suspendiert (abgesehen davon, dass er einen halben Tag lang Menschen auf Spritzer untersucht, Kleiderfetzen mit Blut darauf herausgeschnitten, den Fußboden mit seiner Zunge geleckt und ausgebrannt hatte[3]…). Für ihn ist dieses Ereignis ein Wendepunkt. Er wird sein halbes Leben lang bittere Tränen vergießen. Bloß wird das keiner sehen… Und nur Gott allein weiß, wie er seine Familie ernähren wird… Und dabei hatte der grobe Kerl bloß gewettet, ob er „es drauf“ habe, und eine Flasche Wodka gewonnen. Ach ja, er und seine Kumpels hatten viel Spaß gehabt.
Ist das ein weit hergeholtes Beispiel? Ach, kommen Sie! Wer könnte diesen Strom von Blasphemie ermessen, der im letzten Jahrhundert die russischen Menschen und die russische Kirche überschwemmte? Wie viele Gotteshäuser wurden allein in den1990er Jahren ausgeraubt, auf ganz raffinierte Weise, und geschändet? Allein im Bezirk Wladimir ist zum Beispiel nur ein einziges Gotteshaus heilgeblieben – in alle anderen wurde mehrmals eingebrochen, so oft, dass die Polizei schon gar nicht mehr zum Tatort fuhr. Ich erinnere daran, wie ein alter Priester erzählte, dass er auf seinen Knien das ganze Territorium der Kirche absuchte und die Heiligen Gaben aufsammelte, die ein Frevler, nachdem er das Ziborium gestohlen hatte, extra durcheinandergeworfen und mit Füßen getreten hatte. In meiner Anwesenheit schlüpften einmal ein paar junge Burschen in den Altarraum, um aus purem Übermut zu herumsauen; sie schauten sich kurz um – anscheinend keiner da – und bemerkten mich nicht. Aber auch, wenn es gelingt, solche Halunken zu fangen – niemand würde sie bestrafen, alle würden nur lachen. Und auch, wenn etwas gestohlen wird – wer hat schon Lust, sich mit so einer Sache herumzuplagen? Gewöhnlicher grober Unfug... Allerhöchstens wird so ein Übeltäter für ein paar Tage festgesetzt, und auch dass nur, wenn der Priester dem Polizeichef die Hände versilbern würde…
Aber in einem geschändeten Gotteshaus dürfen bis auf weiteres keine Gottesdienste mehr zelebriert werden. Erst muss eine spezielle Ordnung der Konsekration verrichtet werden – und zwar nicht durch den Gemeindepriester, sondern einen Erzbischof; ganz zu schweigen vom obligatorischen Bericht und der Untersuchung, den Kirchenstrafen gegen den Priester, der solcherlei zuließ, und dem Murren der Gemeindemitglieder… derartige Geschehnisse werden immer mit persönlichen Sünden des Priesters in Verbindung gebracht. Wenn der Herr so etwas zuließ, dann müsste es einen Grund gegeben haben! Aber über die persönlichen Gefühle eines solchen Priesters kann ich etwas sagen. Ich kenne einen Priester, der nach einer Entweihung des ihm anvertrauten Gotteshauses nicht mehr dienen konnte, da er sich für unwürdig hielt. Allzu oft geben sich die Priester sich selbst die Schuld an allem! Danach müssen sie erst wieder die Kraft finden, neu anzufangen…
Ich beabsichtige nicht, all diese priesterlichen Alpträume den kleinen „Pussies“ anzuhängen. Doch bedenken Sie bitte – dieser Vorfall wurde in ganz Russland bekannt, es geschah im wichtigsten Gotteshaus des Landes! Natürlich werden die Frauen nicht bestraft werden. Höchstens wird eine gebührenpflichtige Verwarnung auferlegt. Der verliebte Botaniker wird sich weiter mit seinen Tränen waschen müssen – und das war es. Wir sind keine Muslime und werden nicht nachts mit langen Messern umgehen. so richtig: Man braucht keine Kraft aufzubringen, um zu verzeihen – denn um Verzeihung bittet ja keiner. Kraft zum Vergessen zu finden und weiter zu leben… es ist nicht das erste Mal, aber wir müssen immer wieder und weiter lernen. Aber ist es denn wirklich nicht möglich, diesen unendlichen Schändungen dessen, was wir lieben und was unseren Ahnen heilig war, wenigstens irgendeine Grenze zu setzen? Ist es denn wirklich nicht möglich, irgendeinen Mechanismus zu finden, um diesen Strom der Schmerzen zu stoppen? Ansonsten werden solche Ereignisse nur den Auftakt zu anderen, größeren Blasphemien bilden…
[1] Alexander Newsorow (geb. 1958) ist ein ehemaliger Reporter und Fernsehmoderator, und Abgeordneter der Staatsduma, heute Publizist und Vertrauensperson Putins. Newsorow, der früher Student der Moskauer Geistlichen Akademie war (von der er im vierten Jahr ohne Abschluss exmatrikuliert wurde), positioniert sich seit 2010 als radikaler Kirchengegner. (Anm.d.Ü.)
[2] Wassilij Nikiphorow-Wolgin (russ. Василий Акимович Никифоров-Волгин , 1900-1941) war ein russischer Schriftsteller und Journalist. Nach der Oktoberrevolution lebte er in Estland, wo er in der Jugendbewegung sehr aktiv und außerdem und Kirchenlektor war. Er gründete den Sport- und Aufklärungsverein „Swjatogor“ und einen religiös-philosophischen Kreis, der später in der örtlichen Russischen Studentischen Christlichen Bewegung aufging. Mitte der 1930er Jahre wurde Nikiphorow-Wolgin ein bekannter Schriftsteller der russischen Diaspora und wurde mehrmals ausgezeichnet. Die Sowjetische Regierung, die Estland 1940 der Sowjetunion anschloss, schränkte das kulturelle und literarische Leben der russischen Aussiedler stark ein. Im Mai 1941 wurde Nikiphorow-Wolgin, der auf einer Werft arbeitete, von NKWD verhaftet und am 14.Dezember 1941 wegen „Veröffentlichung von Büchern, Broschüren und Theaterstücken mit verleumderischem antisowjetischen Inhalt“ erschossen. 1991 wurde er rehabilitiert. (Anm.d.Ü.)
[3] Da die Heiligen Gaben das größte Sakrament von allen darstellen, ist es üblich, dass der Priester den Leib und das Blut Christi, wenn sie versehentlich auf den Boden gefallen sind, mit seinen Lippen und seiner Zunge aufsammelt; danach werden diese Stellen mit einer brennbaren Flüssigkeit übergossen und ausgebrannt. (Anm.d.Ü.)