1. Kor 14, 34 - Teil einer Interpolation?
Das Schweigegebot für Frauen, das der Apostel Paulus in seinem Brief an die Korinther-Gemeinde erlassen hat, widerspricht den heutigen Vorstellungen von der Gleichberechtigung der Frau in der Gesellschaft drastisch. Im Lichte dessen, dass in der Kirche mehrere Frauen als apostelgleiche Heilige oder (im Westen) Kirchenlehrerinnen kanonisiert sind, ist diese Schweigeregel nicht eindeutig. In seinem Artikel versucht Johannes R. Nothaas, ihre Entstehung und Bedeutung mittels der Methode der Textanalyse naher zu präzisieren.
Статья

Einleitung zu 1 Kor 14,26-40  

Das Schweigegebot, das der Apostel Paulus für die Frauen in der Gemeinde in Korinth erlassen hat steht so quer zu den heutigen Vorstellungen von der Gleichberechtigung der Frau in der Gesellschaft, dass es allenthalben auf Ablehnung stößt. Diese trifft man in weiten Kreisen innerhalb der evangelischen und auch in der römisch-katholischen Kir­che in Deutschland an, und sie artikuliert sich in der Forderung nach der Zulassung der Frau zum geistlichen Amt, die in der evangelischen Kirche nun schon seit einigen Jahr­zehnten erfüllt worden ist. In der römisch-katholischen Kirche hat das Priestertum der Frau insbesondere durch das Apostolische Schreiben „Ordinatio sacerdotalis" Papst Jo­hannes Pauls II. eine endgültig negative Antwort erhalten.[1]

Für die evangelische Kirche ist das geistliche Amt weithin (ausgenommen die konfes­sionell lutherischen Kreise) nur eine Ordnung menschlichen Rechtes. Von daher stand der Zulassung der Frau zum geistlichen Amt kein grundsätzliches Hindernis im Wege. Ganz anders sieht es in der römisch-katholischen und der orthodoxen Kirche aus, wo das Priestertum auf einer Einsetzung durch Jesus Christus beruhend verstanden wird (Mt 10, 1-8; 16, 18-19; 18,18; 28, 18-20; Lk 9, lff.; Joh 20,21-23). Es ist somit auf einer höheren Ebene als der menschlichen Rechtsvorstellungen verankert. Ist dieser Maßstab die Ursache auch für das Schweigegebot für die Frauen im Gottesdienst in 1 Kor 14,34?

Da die Frauen in Kapitel 11, 2ff. ausdrücklich auf Anweisung des Apostels Paulus mit Gebet und prophetischer Rede zu Wort kommen können, erscheint das Schweigegebot als ein offener Widerspruch. Aus diesem folgert eine Reihe von Exegeten[2], dass hier zwei verschiedene, konkurrierende Auffassungen von Gemeindeordnungen aufeinander sto­ßen, die sich sozusagen gegenseitig relativieren. Da die Originalität von 1 Kor 11,2 ff. nicht angezweifelt werden kann, hält man diese Stelle für die ursprüngliche Form der Gemeinderegel und lässt folglich 1 Kor 14 mit dem Schweigegebot einen späteren, ver­engenden, historisch bedingten Nachtrag sein.

Ziel dieser Untersuchung soll sein, diese Auslegung der Korintherbriefstelle auf ihre Stichhaltigkeit zu überprüfen.
 

1. Der Kontext

Das 11. Kapitel des Briefes spiegelt den Ablauf der Liturgie in Korinth mit seinem ka­techetischen und seinem eucharistischen Teil wider. In den Versen 1-16 geht es um die Fragen der Ausführung von Gebet und prophetischer Rede und in der zweiten Hälfte des Kapitels um die rechte Zuordnung von Eucharistie und Agape-Mahl. Im 12. Kapitel han­delt Paulus von den charismatischen Gaben und Ämtern, die im Gottesdienst zur Entfal­tung kommen sollen. Der Urheber dieser Gaben ist der Geist, der sie alle in einem Leib und zu seiner Erbauung zusammenfügt. Das Bild vom Leib und seinen Gliedern soll ver­deutlichen, dass sich keiner mit seinen Aufgaben von der Gesamtheit der Gemeinde iso­liert betrachten soll, weil sieh auch die Glieder unsres Körpers nicht selbständig machen und gegeneinander fungieren können. Im letzten Abschnitt dieses Kapitels macht Paulus deutlich, dass es sich bei der Metapher des Leibes nicht nur um ein Bild handelt, das ein Ideal beschreibt. Der Bezugspunkt ist die Realität der Gemeinde: „Ihr aber seid der Leib Christi und ein jeder von euch ist ein Glied" (1 Kor 12. 27). Die Einsicht und Erkenntnis dieses Sachverhalts aber genügt dem Apostel nicht. Diese Wahrheit, in der er die Korinther unterwiesen hat, soll getragen sein von der Liebe zu Christus in seiner Gemeinde (1 Kor 13,2). Die Liebe ist es, die sich in die Erkenntnis der Wahrheit einordnet, auch wenn von ihr Opfer gefordert werden. Beide, die Liebe und die Wahrheil, ergänzen sich zur Fülle, und sie sind es, die alle Charismen überdauern (1 Kor 13, 8). Die Einheit im Geiste (1 Kor 12,4) und in der Liebe (1 Kor 13) ist es auch, die im 14. Kapitel der fruchtba­re Boden für die rechte Ausübung des Auftrags ist, den jeder Christ in der Kirche zu er­füllen hat. Die Liebe ist es, die den Charismen ihren Platz in der Liturgie einräumt, damit sie der Verkündigung der göttlichen Offenbarung dienen können. Der Aufbau dieses Briefteils (1 Kor 11-14) bewegt sich vom Theologischen hin zur praktischen Ausfüh­rung. Zuerst klärt Paulus auf über den richtigen Vollzug der Liturgie, dann über die Struktur der Gemeinde, dann über die innere Bereitschaft, diese Weisungen in Liebe um­zusetzen, um am Ende in Kapitel 14 auf die rechte Ordnung des gottesdienstlichen Ablaufs einzugehen. Es geht dem Apostel um die geordnete Ausführung des Zungenredens, der prophetischen Rede und um das Schweigegebot für das Reden der Frauen
 

2. Aufbau und Stil des Abschnitts 1 Kor 14,26-40

Mit der erneuten Anrede „adelfoi" bildet Vers 26 eine gewisse Zäsur[3], mit der diatribischen Frage („ti oun estin ...") zur Ausübung der Charismen im Gottesdienst („hotan synerchesthe") möchte Paulus die Korinther in freundlichem Ton in seine Überlegungen mit einbeziehen. Er mochte sie zu einer praktischen Ausführung für die verschiedenen Arten des Redens bzw. Schweigens (V 26b!) hinleiten, und geht nun auf diese näher ein:

• das Zungenreden: Reden und Schweigen (VV 27-28),
• das prophetische Reden: Reden und Schweigen (VV 29-33a )
• das Reden der Frauen: Schweigen und Fragen (VV 33h-38 ).       

Schon an dieser Stelle im Text bei vor aller grammatisch-stilistischen Darlegung des Aufbaus findet bei vielen Auslegungen eine Weichenstellung zu Gunsten einer Interpo­lation statt. Diese wird einfach vorausgesetzt, ohne auch nur die textkritischen Voraussetzungen zu prüfen und die Möglichkeit der grammatisch-stilistischen Einheit des Ge­dankengangs zu erwägen.[4]

Nachdem Paulus den Maßstab der Erbauung für diese drei Redeformen festgeschrie­ben hat, nennt er drei positive Bedingungen für deren Durchführung und die negative für den Wegfall der charismatischen Rede (Zungenrede und Prophetie). Die positiven Be­dingungen sind, dass nur zwei oder drei Redner auftreten, und zwar hintereinander, und dass ein Ausleger für die charismatische Rede vorhanden sein muss. Auch Charismatiker und Ausleger sollen hintereinander das Wort ergreifen. Falls ein solcher nicht anwesend ist (negative Bedingung), gebietet der Apostel das Schweigen des Charismatikers mit je einem kategorischen Imperativ. Bei aller ruhigen Darlegung über den geordneten Ablauf des Gottesdienstes blitzt in dieser grammatischen Verbform die Autorität des Apostels auf, der für diesen Fall das Schweigen gebietet („sigatoo"). Der gleiche strenge Impera­tiv findet sich auch jeweils bei der Anweisung zur Auslegung („diermäneuetoo" - „diakrinetoosan"). Nach der Regelung dieser beiden Geistesgaben erwähnt Paulus nochmals die Zielsetzung, das Lernen und den Trost (V 31) aus der Prophetie. Der Hinweis auf die geordnete prophetische Rede, um allem Chaos einer wilden Auslegung zu wehren, scheint hier einen gewissen Abschluss zu ergeben.

Das Abhandeln des Redens der Frauen setzt unvermittelt mit einem schärferen Ton ein und verlässt das Schema, nach dem die beiden ersten Geistesgaben geregelt wurden. Mit dem abrupt befohlenen Schweigegebot übergeht er jegliche positive Ausübung im Got­tesdienst. Fragen sollen sie zu Hause den Männern stellen. Doch damit nicht genug, sen­det der Apostel diesem negativen Einstieg noch eine fünffache Begründung hinterher (VV 33b-38). Diese Ballung von Begründungen für das Schweigen der Frauen lässt erkennen, dass es sich bei diesem Reden gegenüber den beiden anderen Arten um einen gravieren­den Konfliktpunkt im korinthischen Gottesdienst handeln muss. Ein weiterer Hinweis ist, dass der Vers 38 nicht nur einen gereizten Ton, sondern sogar eine Drohung enthält wenn man die ruhigen Darlegungen über die Zungenrede und die Prophetie und den fried­lich-freundlichen Abschluss des Abschnittes in den Versen 39 und 40, in denen auch das Thema der Zungenrede und der Prophetie wiederaufgenommen wird, betrachtet, könnte man den Eindruck gewinnen, hier zieht aus heiterem Himmel ein Donnerwetter auf. Die­ses Bild stimmt jedoch nicht ganz. In den kategorischen Imperativen zur Regelung der beiden ersten Geistesgaben konnte man schon um im Bild zu bleiben - von ferne ein lei­ses Donnergrollen vernehmen. Und noch ein Vorzeichen ist gegeben, dass der donnernde Abschnitt zum Schweigegebot für die Frauen zur Gesamtwetterlage, d. h. hier in den Auf­bau von 1 Kor 14.26-40 gehört: die Erwähnung der Geistesgaben in Vers 26. Schaut man genau hin, kann man erkennen, dass diese Aufzählung der Geistesgaben spiegelbildlich die folgenden Ausführungen wiedergibt. In chiastischen Stellung stehen zueinander:

Vers 26:

Lehre - Prophetie - Zungenrede
(„Offenbarung")

a - b - c

Verse 27 38:

Zungenrede   Prophetie - Reden der Frauen

c - b - a

Die Anwendung dieses Stilmittels dürfte kein Zufall sein. Der Umschwung von der formal und inhaltlich friedlichen Darlegung zum metallischen Klang der Sätze des Schweigegebots hin und wieder zu den ironischen letzten beiden Versen erklärt sich aus dem Stil des Apostels, der bei umstrittenen Themen stets einen versöhnlichen, zusammenfassenden Abschluss findet. Ein Beispiel ist der Abschnitt 1 Kor 11, 2-11 mit dem sarkastisch aggressiven Vers 6, dem ausgleichenden Vers 12ab, und dem zu­sammenfassenden Abschluss „... aber dies alles aus Gott" (V 12c). Auf den autoritativ lehrenden Stil folgt dort mit Vers 13 die muntere Aufforderung zum Dialog über das Thema dort. Der Wechsel des „Tonfalls" muss zuerst von der inhaltlichen Aussage geprüft werden, bevor man in der betreffenden Aussage einen Fremdkörper im Text annimmt.
 

3. Die Umstellung der Verse l Kor 14,34-35

Schon in frühster Zeit hat die Anweisung des Apostels gegen das Reden der Frauen Anstoß erregt. So findet sich in der Textüberlieferung der westlichen Textfamilie eine Umstellung des Schweigegebotes, indem die Verse 34 und 35 nach Vers 40 eingesetzt werden müssten, so dass sich folgender Wortlaut ergibt:

V 33    „Denn Gott ist nicht ein Gott der Unordnung, sondern des Friedens
V 36    wie in allen Gemeinden der Heiligen. Oder ist das Wort Gottes von euch ausgegangen oder ist's zu euch allein gekommen?
V 37    Wenn jemand meint, er sei ein Prophet oder vom Geist erfüllt, der erkenne, dass es des Herrn Gebot ist, das ich euch schreibe
V 38    Wenn aber einer das nicht anerkennt, der wird nicht anerkannt.
V 39    Darum, liebe Brüder, bemüht euch um die prophetische Rede und wehret nicht der Zungenrede.
V 40    Aber lasst alles ehrbar und ordentlich zugehen.
V 34    Die Frauen sollen in der Gemeindeversammlung schweigen: denn es ist ihnen nicht gestattet zu reden. Sondern sie sollen sich unterordnen, wie auch das Ge­setz sagt.
V 35    Wenn sie aber etwas lernen wollen, so sollen sie zu Hause ihre Männer fragen.Es steht der Frau schlecht an, in der Gemeinde zu reden".

Die Umstellung dieser Verse, auch Interpolationshypothese genannt, „steht indes auf ziemlich schwankendem Fundament. Denn nach neueren Untersuchungen zum Text der paulinischen Briefe sind westliche Lesarten, die nicht mit P46, B und 1739 übereinstim­men gewöhnlich falsch. Die Zahl und Bedeutung der übrigen Textzeugen spricht dage­gen"[5].

Stilistisch hat diese Anordnung der Verse mehrere Bruchlinien:

1.         hängt der Vers 33b wie ein überflüssige Bemerkung an dem Vers 33a,
2.         lässt sich Vers 33b, eine Aussage, auch nicht mit dem Vers 36 verbinden, weil dieser ein Fragesatz, ist.
3.         fehlt bei dieser Anordnung der Verse ein zusammen fassender Abschluss,
4.        die Verse 34 und 35 wirken nach dem Vers 40 unbeholfen nachklappend. Diese Um­stellung der beiden Verse an das Ende des Abschnitts wird nur von wenigen Zeugen der Textüberlieferung getragen, so dass nicht umsonst diese Variante im Apparat steht.

Theologisch wird das Schweigegebot in seinem Gewicht in dieser Versanordnung stark gemindert. Es wird nicht mehr durch ein Gebot des Herrn begründet, sondern jetzt nur noch mit dem alttestamentlichen Gesetz. Die Verlegung des Verses 34a „Die Frauen sollen in der Gemeinde schweigen" aus dem Geltungsbereich des „Herrengebotes" wird vorwiegend aus der westlichen Textüberlieferung belegt.

Diese stand unter dem Einfluss des im 2. Jahrhundert „publikumswirksamen" Irrleh­rers Marcion, in dessen Ausgabe des NT der Versteil an dieser Stelle getilgt ist. Von Tertullian erfahren wir in seiner Schrift „Adversus Marcionem", dass Marcion sich gegen die von Paulus vorgegebene Gemeindeordnung wendet mit der Begründung, der Heilige Geist verteile seine Gaben, ohne auf die vorgegebenen Unterschiede zu achten. Tertullian beruft sich gegen ihn auf die unterschiedlichen Funktionen der Glieder im Leib Chris­ti nach 1 Kor 12 und auf die eindeutigen Anweisungen über die Stellung der Frau in der Kirche. Es legt nahe, dass es sich in dieser Auseinandersetzung um 1 Kor 14, 33b ff. handelt[6]. Aus diesen drei Anhaltspunkten ergibt sich, dass sich die Umstellung der Verse 34-35 nach Vers 40 auf Marcion zurückführen lässt. Damit wird deutlich, dass nicht die Kirche, sondern ihr Feind an der Umstellung dieser Verse gewirkt hat. Andere Umstel­lungen der Verse dieses Abschnitts können vom breiten Strom der Textüberlieferung nicht belegt werden[7].


4. Literarkritik: Interpolationshypothesen zu 1 Kor 14,33b ff.


Neben der Textkritik, die in dieser Stelle nur ein geringes Gewicht haben kann, spielt vor allem die Literarkritik die Hauptlast der Argumentation. Es sind hauptsächlich zwei Argumente, die geltend gemacht werden:
1.      die Verse 33b-36[8] bzw. die Verse 33h-38[9] sprengten den geschlossenen Zu­sammenhang, weil sie das Thema der Prophetie unterbrechen. V37 schließe nicht an V36, sondern an V33a an[10], bzw. V39 schließe nicht an V38, sondern an V33a an (siehe Anm. 9).
2.      diese Versgruppe zum Schweigegebot stehe im Widerspruch zu 1 Kor 11,2ff. wo das Auftreten von Frauen vorausgesetzt sei.[11]

Beide Thesen bilden die Grundlage für die Annahme einer späteren Einfügung des Schweigegebots für die Fraue

Schon die Uneinigkeit über die Lange des interpolierten Textes mit den dadurch ent­stehenden formalen und inhaltlichen Brüchen verkomplizieren unnötig die Auslegung. Für die Einheit dieses Abschnitts und gegen eine Interpolation lassen sich dagegen fünf Argumente anführen:

1. Die chiastische Stellung von Aufzählung der Geistesgaben (Lehre - Offenbarung - Zungenrede) in Vers 26 zu ihrer Abhandlung bis Vers 38. Dieses Stilmittel drückt den Zu­sammenhang der drei Arten des Redens aus. Dass am Anfang dieser Aufzählung noch der Psalmengesang erwähnt wird, darf nicht stören. Dieser gehört selbstverständlich zum Ablauf des ganzen Gottesdienstes, den Paulus hier regelt.

2. Die Abhandlung der Arten des Redens im Gottesdienst nach Reden und Schweigen.

3. Die Zunahme an Bedeutung der drei Arten des Redens.
Schon von der Zungenrede zur Prophetie kann man einen Unterschied an Bedeutung feststellen, was die Erbauung („oikodomä"-) angeht. Einen weiteren Vorrang muss man dem Reden der Frauen bzw. dem dagegen gesetzten Schweigegebot einräumen, wenn man die Kette der Begründungen für dieses betrachtet. Die Argumentationskette gegen das Reden der Frauen mit dem verschallten Redegenus verleiht diesem Punkt geradezu ein Übergewicht gegenüber den beiden vorhergehenden Redeformen im Gottesdienst.

4. Diese gestaffelten Begründungen sind eine bei Paulus mehrfach anzutreffende Methode der Auseinandersetzung. Schon in 1 Kor 11.3-16 findet sich eine solche Reihe von Argumenten zur Klärung der Stellung der Frau im katechetischen Teil des Gottesdiens­tes. Dort geht es um die vierfache Begründung der „Haupt-Struktur". In sich ist die Serie der Argumente vom stärksten zu den schwächeren Begründungen hin strukturiert: Heilsordnung des Neuen Bundes (V 3b), Schöpfungsordnung (V 7-12), naturphilosophisches Argument (V 14-15) und die Gemeindeordnung (V 16). - In 1 Kor 9.1-14 argumentiert Paulus für einen Unterhalt der Apostel und Verkünder des Evangeliums. Hier findet sich eine Kette von den schwachen zu den starken Begründungen: Die Ordnung unter den Aposteln (V 5), die Erfahrung (V 7), das Gesetz (VV 8-10 und V 13) und der Befehl des Herrn (V 14). - Eine solche Argumentenreihung findet sich auch hier in 1 Kor 14 und fügt sich ein in den paulinischen Briefstil.

5. Die Art der Begründungen in den drei Argumentationsketten weist viele Ähnlichkeiten auf und ihre inhaltliche Steigerung bzw. Degression tragen die Kennzeichen paulinischer Theologie. Die einzelnen Argumente[12] in 1 Kor 14. 33b ff. für sich genommen sind jeweils durch Parallelen aus den anderen Begründungskatenen allein im I. Korintherbrief zu belegen.

a) Die erste der Begründungen für das Schweigen der Frauen bezieht Paulus der all­gemeinen Gemeindeordnung (V 33b). Sie ist ein organisatorisch-pragmatisches Argu­ment, das die Einheit des geordneten Ablaufs des Gottesdienstes in allen christlichen Ge­meinden erhalten soll. Die Inhalte der rechten Verehrung Gottes soll durch die äußere Ordnung vor willkürlicher Veränderung bewahrt werden. Diese Ordnung ist ja das Thema der Kapitel 1 Kor 11-14. Als Beispiel sei hier nur die Regelung der Kopfbedeckung bzw. der Verschleierung in Kapitel 11 genannt. Ähnliche Ordnungsargumente finden sich in 1 Kor 9 und 11,16.

b) Die Begründung durch das Gesetz (V 34) ist von größerem Gewicht. Es ist fraglich, ob hier Gen 3. 16 allein als Begründung dienen darf wie der Stellenhinweis neben dem griechischen Text suggerieren möchte. Vielmehr sollten auch hier die Gen-Stellen, auf die in 1 Kor 11, 7-12, die Schöpfungsordnung vor dem Fall, angespielt wird, als Begrün­dung miteinbezogen werden. Immerhin gilt die Schöpfungsordnung aus dem Alten Bund auch weiterhin für den Christen. Auch wenn diese Begründungen so gar nicht in das mo­derne Ehe- und Gesellschaftsverständnis passen, kann man ihnen den theologischen Rang von der Schöpfungsordnung her nicht absprechen. Man mag diese Sicht als „patri­archalische Familienstruktur"[13] abwerten, möge sich aber dessen bewusst sein, welche Folgen ein solcher „Abriss" von der traditionellen Auslegung auslöst. Wer diese schöpfungsmäßige Vorgegeben heil und das Gebot Gottes für die Frau nach dem Sündenfall entwertet, darf keinen Einspruch erheben, wenn der Auftrag Gottes an die Menschen „Machet euch die Erde untertan!" als Anleitung zur Ausbeutung der Erde und zum Missbrauch der Bodenschätze missdeutet wird. Er muss schweigen, wenn überhaupt der ge­fallene Zustand der Schöpfung bestritten wird. Es sind dies theologische Aussagen, die eine zeitlose Gültigkeit beanspruchen, weil sie göttliche Offenbarungsinhalte darstellen. Solche theologischen Aussagen durch das säkulare Denken nach modernen soziologi­schen oder psychologischen Maßstäben zu einwerfen, muss in der Theologie jedenfalls als Kompetenzüberschreitung gelten. Natürlich klingt die Anweisung an die Frauen, zu schweigen und mit ihren Fragen zu Hause ihre Männer um Auskunft zu bitten, für das Verständnis von Gleichberechtigung zunächst wie eine Entmündigung. Man darf hier je­doch nicht vergessen, dass die Anweisung sich auf einen Bereich bezieht, der ganz ande­ren Maßstäben unterliegt als dem einer rationalen Humanität. Hier geht es um die Be­gegnung des Menschen mit Gott, die das Kriterium des Humanum übersteigt. In den Be­reichen des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens haben sich die Frauen um Jesus und Paulus sehr souverän bei der logistischen Organisation bzw. der Mission entfal­tet. Es wäre für Jesus bei den zahlreichen Formen von Frauenpriestertum in der Umwelt ein Geringes gewesen. Gleiches den Frauen im Jüngerkreis zukommen zu lassen, wenn nicht ernsthaftere Gründe als gesellschaftliche Konvention vorgelegen hatten. So ist das Gesetz, auf das sich Paulus hier beruft, weit mehr als eine „jüdisch-hellenistische Ordnungsvorstellung"[14]. Das Gesetz als Begründung findet sich auch in den beiden anderen Katenen (1 Kor 9, 8-10; 11.7-12).

c) Die ironische Frage, ob das „Wort Gottes („logos tou theou" - terminus technicus für die Verkündigung des Evangeliums durch Paulus - 2 Kor 4, 2; Kol 1, 25)[15] von ihnen ausgegangen" oder „von selbst zu ihnen gekommen sei" (1 Kor 14, 36), ist ein unverhüllter Hinweis auf seine apostolische Verkündigung unter ihnen. Das Evangelium ist in Korinth nicht vom Himmel gefallen, sondern Paulus hat es ihnen gebracht. Und er ist nicht irgendwer, sondern ihr Apostel, ein Bote, der nach jüdischem Verständnis unter ih­nen war, „wie der Herr selbst"[16]. Beispiele seiner apostolischen Kompetenz und Ver­pflichtung ihnen, aber vor allem seinem Herrn gegenüber sind 1 Kor 11, 2 und l Kor 9, 16 („weh mir, wenn ich das Evangelium nicht verkündete"). Die rhetorisch-fragende An­spielung auf sein apostolisches Amt ist der Hinweis auf Christus, als dessen Repräsentant er zu ihnen kam. Parallele Hinweise finden sich in den beiden anderen Katenen, in l Kor 9, 11 und 11, 2-3.

d) Mit seiner apostolischen Autorität ist das vierte Argument schon vorbereitet. Schon die polemische Einleitung, die den Fall eines Pseudopropheten vorgibt, ist wie ein Dop­pelpunkt. Alle Sätze, die Paulus mit der Formel „ei tis dokei... einai" („Wer da meint... zu sein" - 1 Kor 3,18; 8,2; 10,12; Phil 3,4) verwendet, haben eine negative Konnotation, die auf eine Korrektur des Verhaltens zielt. Mit einem kategorischen Imperativ („epigi-noosketoo" V 37) weist Paulus auf ein Gebot des Herrn („entolä kyriou") hin. Dieses Gebot des Herrn ist gleichzusetzen mit dem, was sein Herr eingesetzt hat, und was die Kirche als Tradition („paradosis") weiterzuführen hat: „Ich habe vom Herrn empfangen, was ich euch weitergegeben habe" (1 Kor 11, 23 und ebenso 11.2). Es sind jedes Mal Logien des irdischen Jesus, die er als Ecksteine des christlichen Glaubens legt. Sie bestim­men das Handeln in Ethik, Gemeindeleben und Liturgie (1 Kor 11,2f., 11, 23 und 14, 38)[17]. Außerdem hat das griechische Wort „Gebot" („entolä") bei Paulus einen verbind­lichen Charakter, weil es von Gott her kommt, selbst wenn damit das alttestamentliche Gesetz gemeint ist. (Vgl. Rom 7, 8, 12, 13; 13, 9; 1 Kor 7,19 u. a.) - Diese scharfe Be­gründung ist also nichts Außergewöhnliches in seiner Argumentationsweise. Sie weist vielmehr auf einen brisanten Differenzpunkt hin. Wie Paulus dieses Gebot erhalten hat, oder wie es ihm überliefert wurde, können wir nur vermuten. Es genügt, dass Paulus die­ses als zu seiner Sendung gehörig gebietet.

e) Diese fünfte und letzte Begründung für die Einheit und Ursprünglichkeit des Textes muss nach der Steigerung der vorhergehenden Begründungen diese nochmals überbie­ten. Es ist ein winziger Satz, der in seiner Kürze eine geballte Kraft enthält. Auffällig ist seine Struktur, die im Haupt- und Nebensalz das gleiche Verb verwendet: „Wer aber das nicht anerkennt, wird nicht anerkannt" („ei de tis agnoei, agnoeitai" 1 Kor 14.38). Die­ses Sätzchen hat die gleiche Struktur und steht in einem ganz ähnlichen Zusammenhang wie der Salz: „Wenn jemand den Tempel Gottes verdirbt, den wird Gott verderben" („ei tis ton naon tou theou phtheirei, phtherei touton ho theos" - 1 Kor 3.17). „Das gleiche Verb in chiastischer Stellung im Neben- und Hauptsalz, umschreibt hier menschliche Schuld und göttliches Gericht."[18] Beide Male liegt eine Gerichtsituation vor, in der das ius talionis verkündet wird[19]. Ausgangspunkt dieser Form von Rechtsprechung ist Gen 9, 6: „Wer Menschenblut vergießt, dessen Blut soll auch durch Menschen vergossen wer­den." Der einzige Unterschied in 1 Kor 14,38 ist nur, dass das Gericht über die mensch­liche Schuld nicht in der Zukunft, sondern schon in der Gegenwart vollzogen wird. In der Verkündigung des Gerichts vollzieht sich bereits jetzt schon das Gerichtet werden. Der Sinn des Präsens Passiv ist die Umschreibung des gegenwärtigen Handelns Gottes, passivum divinum. Ähnliche Struktur haben auch die Satze 1 Kor 16,22 („ei tis ou philei ton kyrion, ätoo unathema, maranatha") und Gal 1,9 („ei tis hymas euaggelizelai par' ho parelabete, anathema esloo"). „Hier tritt nur noch stärker heraus, dass der Apostel als Re­präsentant seines himmlischen Herrn die Vollmacht zu Segen und Fluch besitzt und sie als Funktion eines bestimmten Rechtes, nämlich des dem Christus selber über seine Ge­meinde eignenden Rechtes, wahrnimmt."[20] Nach der Begründung des Schweigegebotes auf das Gebot des Herrn, beruft sich der Apostel hier in einer letzten Steigerung seiner Argumentation auch auf den göttlichen Richter. Mit diesem an Durchschlagskraft nicht zu übertreffenden Argument beendet Paulus seine Begründungskette für das Schweige­gebot der Frauen. Die inhaltlichen Übereinstimmungen der paulinischen Begründungsketten lassen sich in folgender Übersicht zusammenfassen:


                        Argumentationsketten

Begründungen

1 Kor 9.l-14

1 Kor 11,2-16

1 Kor 14, 33b-38

Gemeindeordnung

V5

V 16

V 33b

Philosophie

V7

VV 13-13

 

Gesetz/Schöpfung

VV8-I0

VV 7-I2

V 34

Schicklichkeit

 

VV 5-6

V 35

Apostolisches Amt

VII

VV 2-Í

V 36

Gebot des Herrn

V 14

 

V 37

Tradition

 

V 3

V 38


Die VV 33b-38 sind somit eine mit Bedacht strukturierte Einheit von Argumenten. Sie verleiht der dritten Art des Redens, gegenüber den beiden vorher erwähnten Geistesgaben der Zungenrede und der Prophetie, einen theologischen Vorrang.

Gegen die Textüberlieferung und den stilistischen Aufbau wird der Inhalt verkürzt, wenn in diesem Abschnitt nur Zungenrede und Prophetie geordnet werden.[21] Die These eines ursprünglichen Textes ohne die Verse 33b-36 würde nicht nur die Stillung und Steigerung in den drei Arten des Redens, sondern auch die mit Bedacht strukturierte Kette der Argumente der VV 33b-38 zerreiben. Im Kontext von 1 Kor 11-14 steht das Schweigegebot für die Frauen ebenfalls an prononcierter Stelle. Es steht kurz vor dem Ende wie ein Kontrapunkt zu 1 Kor 11, 3, der Hauptstruktur, ganz am Anfang dieses Briefteiles zum Thema der Ordnung im Gottesdienst. Man darf annehmen, dass der Apostel in 1 Kor 11, 2-16 eine Aussage macht, für die er - nach ausführlicher theologi­scher Darlegung des Zusammenhangs - in 1 Kor 14,26-40 die Anweisungen zur liturgi­schen Umsetzung gibt. Um welche Art des Redens in der Liturgie kann es sich bei dieser Stufung handeln, wenn ihr im Gottesdienst ein höheres Gewicht als der Geistesgabe der prophetischen Rede zukommt


4.2 1 Kor II, 5 im Widerspruch zu 1 Kor 14,34?

Der Haupteinwand gegen das Schweigegebot ist der inhaltliche, dass es sich mit 1 Kor 11, 2-16 und l Kor 14. 33b-38 um grundverschiedene Typen von Gemeindeordnungen handele21. „1 Kor 11,2-16 steht für eine Gemeindeordnung, welche ... grundsätzlich Männer und Frauen zu Wort kommen lässt."[22] „1 Kor 14.33b-36 lehnt die in 11,2-16 vorausgesetzte Form der Gemeindeversammlung rundweg ab."[23]Dautzenberg vertritt die Meinung, dass auch die VV 37-38 dem Einschub zuzuordnen seien. Mit dieser lan­gen Interpolation bleibt wenigstens die Einheit der Argumentationskette gewahrt, wenn­gleich deren Struktur nicht registriert wird. Ziel seiner Zuordnung ist, den Nachweis zu erbringen, dass die VV 33b-38 unter den Anweisungen über die Zungenrede und die Prophetie einen später eingetragenen Fremdkörper bilden. Stil und Inhalt scheinen dies nahe zu legen. Das Festhalten am Schweigegebot in 1 Kor 14, 34 zeige die „Aufrechterhaltung patriarchalischer Familien- und Gesellschaftsstrukturen", die eine aktive Teil­nahme der Frauen am Gottesdienst ausschlössen, wie sie 1 Kor 11,5 noch ermöglichte.[24]

Wenn die Anweisung des Apostels zum Schweigen der Frauen als sekundärer Zusatz gewertet werden soll, dann müsste konsequenterweise diese Einschätzung auch für die „Haupt"-Struktur in l Kor 11, 3 gelten. Denn die Unterordnung der Frauen in dieser ist nicht weniger anstößig als das Schweigegebot in 1 Kor 14. Die paulinische Authentizität der „Haupt"-Struktur wird jedoch von niemandem in Frage gestellt. Dass der Mann das Haupt der Frau ist, enthält in sich schon das „hypoiassesthai" („Untertan sein") von 1 Kor 14, 34. Hier ergibt sich ein Widerspruch in der Begründung der Interpolationshypothesen. Außerdem: widerspricht nicht schon die Haupt-Struktur der Ausübung der Geistesgaben des Betens und der Prophetie durch die Frauen in 1 Kor 11? Ist nicht in beiden Kapiteln die gleiche Unvereinbarkeit der Anweisungen zum liturgischen Handeln der Frauen mit den jeweiligen Einschränkungen durch den Apostel als Widerspruch enthalten?

Der rhetorisch und gedanklich glänzende Aufbau des Abschnitts würde durch eine Interpolation zerstört werden. - Die freundlich-ruhigen Ausführungen über das propheti­sche Reden und die im Ton verschärfte fünffache Begründung des Schweigegebotes las­sen ahnen, dass Prophetie und das Reden der Frauen von ganz verschiedenem Gewicht sein müssen und nicht auf gleicher Ebene liegen.

Hier steht nun die Aufgabe an, zu prüfen, ob das prophetische Reden mit der offiziel­len Verkündigung gleichgesetzt werden darf. In l Kor 14,12-16 und 32 werden das Zun­genreden und die Prophetie und anderes als Geistesgaben bezeichnet („pneumata"). Dass Paulus für diese liturgischen Funktionen den Frauen einerseits Anweisungen gibt, andrerseits ihnen zu schweigen gebietet, scheint tatsächlich seinen Grund zu haben in dem unterschiedlichen Rang, den diese beiden Gaben gegenüber dem Reden („lalein") von 1 Kor 14. 34 haben. Mit diesem Reden ist nicht irgendein Sprechen oder störendes Schwätzen der Frauen (warum nur der Frauen?) gemeint. Das Reden der Frauen findet an zwei Stellen in diesem Abschnitt seine Wiederaufnahme:

1. in dem „didachän echein" (eine Lehre haben bzw. verkündigen) in Vers 26. Es steht neben dem „apokalypsin echein" (eine Offenbarung haben, erhalten), womit die Prophetie angesprochen ist. Diese unterscheidende Aufzahlung und die ebenso getrennte Ab­handlung lassen erkennen, dass beide Aktivitäten nicht das Gleiche meinen können. Be­stätigt wird diese Unterscheidung:
 
- einmal durch die Aufzählung der Charismen in 1 Kor 12,4 ff, („Diaireseis de charismatoon eisin"), wo sie alle aufgezählt werden, auch die prophetische Rede, aber nicht das Lehren, die öffentliche Verkündigung.

- zum andern durch die gemischte Aufzählung von Ämtern und Charismen, wo Pro­phetie und Lehre als zwei verschiedene Fähigkeilen nebeneinander stehen. Diese Trennung findet sich in Rom 12,6-7. Hauke folgert aus ihr: „Hiermit kommt den >didaskaloi< (Lehrer) eine ähnliche Rolle zu wie den jüdischen Rabinen. Vor allem nehmen die Apos­tel teil am Lehramt Christi, den die Evangelien immer wieder als „didaskalos" darstellen".[25]

2. in dem Ausdruck „Wort Gottes" („logos tou theou" - V 36), womit deutlich die Verkündigung des Evangeliums angesprochen wird (vgl. 1 Kor 1, 18; 2 Kor 2,17, 4, 2; Kol 1, 25)[26](27), mit der der Apostel die Gemeinde in Korinth gründete. Erst wenn man in diesem Reden die offizielle Verkündigung erkennt, bekommt die theologisch hochqualifizierte Argumentation des Apostels ihren Sinn. Beten, Zungenrede und Prophetie sind Charismen, direkt durch den Geist gewirkt, die nicht an ein offizielles Amt in der Kirche gebunden sind. Die Prophetie ist, wie sich aus 1 Kor 14,30 ergibt, keine selbständige Ga­be. Sie ist auf den Deuter der prophetischen Rede angewiesen, um der Erbauung der Ge­meinde dienen zu können. Die offizielle Verkündigung des Evangeliums und die Lehre erbauen die Zuhörer ohne Vermittlung. Die Predigt des Evangeliums im Gottesdienst ist die eigenständige Aufgabe des Vorstehers der Liturgie. Dieses Amt unterscheidet sich von den Charismen dadurch, dass es zu seiner Ausführung einer öffentlichen Berufung, Bevollmächtigung und einer Sendung bedarf, wie sie (Mt 10, 1 ff.; Mk 6, 7ff. und Lk 9, I ff.) von Jesus den Aposteln verliehen wurden. Wir finden dieses Amtsverständnis auch in den paulinischen Briefen, nicht nur in den Pastoralbriefen: In 1 Kor 4, 1 bezeichnet sich der Apostel als „Haushalter über Gottes Mysterien" („oikonomos mystärioon"). „Haushalter" bezeichnet eine bestimmte Funktion, mit der jemand betraut wird. Die „Mysterien" sind dem beauftragten „Haushalter", dem berufenen Vorsteher der Gemein­de, anvertraut. Die Verkündigung des Evangeliums (1 Kor 9, 16f.: „euangelizesthai") ist Paulus als Amt ("oikonomia") übergehen. Es ist nicht irgendeine menschliche Institu­tion, sondern der Herr selbst, der ihm diese Aufgabe „befohlen hat" (1 Kor 9, 17). In Eph 3, 2 ist die Rede von dem „Amt der Gnade Gottes", das Paulus „gegeben worden ist" („äkousate tän oikonomian las charitos tou theou täs dolheisäs moi"). In Kol 1, 25 spricht Paulus von dem „Amt, das Gott mir gegeben hat" („oikonomian tou theou tän dotheisan moi"). Solche Aussagen, die ein extern verliehenes Amt bezeichnen, finden sich nicht für das prophetische Reden. Daher kann dieses nicht mit der offiziellen Wortverkündigung gleichgesetzt werden. Die prophetische Rede gehört zu den Charismen, die von beiden Geschlechtern ausgeübt wird. Die offizielle Verkündigung („logos tou üicou") und das Vorstehen unterscheiden sich jedoch von den Charismen durch die göttliche Berufung nur von Männern.


5.    Amt und Charismen

Das Verkündigungsamt hat offensichtlich einen höheren Rang als die Prophetie, wie dies aus der massiven theologischen Begründung des Schweigegebotes für die korinthi­schen Frauen ab V 34fff. zu ersehen ist. Das apostolische Amt der Verkündigung, insbe­sondere in Liturgie und der Lehre, unterscheidet sich von den charismatischen Gaben, zu denen die Prophetie gehört, in mehrerlei Hinsicht:

1.                 Der Unterschied in der Berufung durch den Herrn. Die Apostel sind unmittelbar vom Herrn zu ganz bestimmten Aufgaben berufen. Das zeigt der Aufbau des Matthäusevangeliums. Nach der Weihnachtsgeschichte, der Taufe und Versuchung beruft Jesus in Kapitel 4 die ersten Jünger. In der Komposition der Bergpredigt sind in den Kapiteln 5-7 die Inhalte seiner Verkündigung und in Kapitel 8-9 ein Großteil seiner Wunder zu­sammengefasst. Im Rahmen seines Auftretens in der Öffentlichkeit sind die anderen Jün­ger zu ihm gestoßen und in den 12er-Kreis aufgenommen worden. Während der Verkün­digung des Evangeliums und der Heilungen durch Jesus sind sie Zeugen dieses Gesche­hens und gehen sozusagen „in die Lehre" bei ihm. - Mit Anfang Kapitel 10 ändert sich ihr Status. „Und er rief seine zwölf Jünger zu sich und gab ihnen Macht über die unreinen Geister, dass sie die austrieben und heilten alle Krankheiten und alle Gebrechen." Es folgt die namentlich genaue Aufzählung der Zwölf. Dann folgt die Sendung: „Diese Zwölf sandte Jesus aus, gebot ihnen und sprach: ... Geht... und predigt und sprecht: Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen. Macht Kranke gesund und weckt Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt böse Geister aus ...!" (Mt 10. 1-2; 5.7-8). Die Jünger sind nun nicht mehr „Lehrlinge", die zuhören und zuschauen, sondern sie sind jetzt selbst be­rufen, bevollmächtigt und gesandt. Aus „Lehrlingen" sind nun „Gesellen" geworden. Sie sind Gesandte, die nach jüdischer Rechtsdefinition als Inhaber des Botenamtes (schaliach) „wie der Herr selbst" sind[27]. Mit dieser Sendung tragen sie als Apostel („apostolos" ist die griechische Übersetzung des hebräischen Wortes „schaliach" für Gesandter) das Evangelium in die Welt. - Bei Paulus findet sich dieses Verständnis des apostolischen Amtes in 2 Kor 5,20 und Gal 1,1-12.

2.                 Die Beauftragung der Apostel geschieht in einer dreifach anderen Weise, als die Gabe eines Charismas erfahren wird. Der Herr begegnet den Aposteln nicht im Traum. Er begegnet ihnen leibhaft, anfassbar (dem Thomas, Joh 20,24-29) und in Mahlgemeinschaft (Lk 24,13-35). Er begegnet ihnen nicht in einer Vision, sondern mit leibhaften Au­gen sichtbar. Er begegnet ihnen nicht in einer Audition, sondern mit leibhaften Ohren hörbar. Das Sehen und Hören der Seher und Propheten dagegen geschieht in Verzückung des Geistes. Visionen und Auditionen geschehen nicht durch ein verbum externum, son­dern durch eine innere Schau bzw. als eine innere Stimme. „Die Worte, die der Herr in seinen österlichen Erscheinungen zu seinen Jüngern sprach, lassen sich nicht in pneuma­tische Auditionen auflösen"[28]. So ist auch für Paulus die Begegnung mit dem Herrn vor Damaskus nicht auf eine Vision reduzierbar. Seine Berufung beruht auf einer „Offenba­rung"; Er sagt: „parelabon auto ...di' apokalypseoos Iäsou Christou" („Ich empfing ... durch eine Offenbarung Jesu Christi ..." sc. die Berufung; Gal I, 11-12). Diese Aussage erinnert an die Bekenntnisformel von 1 Kor 15, 3-4 mit ihrer Einleitung und erhebt die Berufung des Apostels durch den Herrn vor Damaskus auf eine Ebene mit der Berufung der Apostel durch den Auferstandenen.

3.                 Ein dritter Unterschied ist der „heilsgeschichtliche ekklesiologische Ort"[29], an dem die Berufung der Apostel geschieht. Sie ereignet sieh vor dem Entstehen der Kirche in österlicher Augenzeugenschaft mit dem Auferstandenen. Die charismatischen Gaben im Neuen Testament entfalten sich in den bereits durch die apostolische Verkündigung er­stellten Gemeinden. Auch Paulus, der Ausnahmefall unter den Aposteln, wird außerhalb der Kirche, ja als Verfolger derselben, zu seinem apostolischen Amt berufen. Das apos­tolische Verkündigungsamt geht den charismatischen Diensten voraus und schafft erst die Voraussetzung für deren Existenz, den Raum der Kirche.

4.                 Da die Sendung der Apostel durch den Auferstandenen ein universaler Auftrag ist, hat er keine geographische Grenze. Die zeitliche Grenze ist der Tag der Wiederkunft Je­su Christi (Mt 28,19f.; Mk 16,15). Deswegen kann dieser Auftrag auch nicht mit dem Tode seines letzten Augenzeugen enden. Das apostolische Verkündigungsamt muss da­her durch Berufung und Handauflegung weitergegeben werden, um seiner universalen Beauftragung nachzukommen. Eine solche offizielle Einsetzung und Sendung gibt es nicht für die charismatischen Gaben im Neuen Testament. Sie sind vom Geist bewirkt und haben ihre Funktion, solange dessen Wirkung anhält. Setzt sein Wirken aus, ruht die Geistesgabe. Diese kann auch nicht weitergegeben werden, weil sie allein in der Macht des Geistes beruht. Das apostolische Amt hingegen ist dem Gesandten in einer Weise an­vertraut, die ihn zum Repräsentanten des Herrn macht. Genau dieses Verständnis der Botenvollmacht des Apostels formuliert Paulus in 2 Kor 5,20: „So sind wir nun Botschafter an Christi Statt ..." („Hyper Christou oun presbeuomen ..."). Er hat sich mit dem Amt, das er aus freier Entscheidung übernommen hat, in eine bis zu seinem Tode nicht enden­de Verpflichtung gegenüber seinem ihn sendenden Herrn gestellt.

Mit dieser Unterscheidung zwischen dem apostolischen Verkündigungsamt und den Geistesgaben wird jetzt deutlich, warum das Schweigegebot für die Frauen in der Litur­gie von 1 Kor 14, 34 zur Ausübung der prophetischen Gaben in 1 Kor 11.5 in keinem Widerspruch steht.[30] Die prophetische Rede ist als Charisma beiden Geschlechtern zu­gänglich, während das Verkündigungsamt aus den Gründen der Argumentenkette den Männern vorbehalten ist Daher ist das zweite inhaltliche Argument für die Annahme ei­ner Interpolation in 1 Kor 14 nicht haltbar. Sowohl das formale als auch das inhaltliche Argument für die Zerlegung und Umdeutung des Endes von 1 Kor 14 ist hinfällig. Es ist davon auszugehen, dass die überlieferte Textfolge ursprünglich ist.


6. Schluss

Die Abhandlung der drei Arten des Redens in 1 Kor 14 steigen sich von der geringe­ren zur stärksten Bedeutung. Um welche Art des Redens in 1 Kor 14, 34 in der Liturgie kann es sich bei dieser Steigerung handeln, wenn nicht um die öffentliche Verkündigung des Evangeliums? Alle Beobachtungen zusammengenommen ergeben folgenden Aufbau des Abschnitts 1 Kor 14. 26-40:

l. Zungenreden 1 Kor 14, 26-28

2. Prophetische Reden 1 Kor 14,29-33a

3. Offizielle Verkündigung I Kor 14, 33b-38

Begründung des Schweigegebotes für die Frauen durch:

·                   3.1. die allgemeine Gemeindeordnung („wie in allen Gemeinden" - V 33).

·                   3.2. das Gesetz („wie auch das Gesetz sagt" - V 34).

·                   3.3. die apostolische Autorität („Oder ist das Wort Gottes von euch ausgegangen? Oder ist's allein zu euch gekommen?  V 36. - Nein. Er, der Apostel, hat's ihnen verkündigt").

·                   3.4. Gebot des Herrn („... der erkenne, dass es das Gebot des Herrn ist" V 37).

·                   3.5. die Anerkennung durch Gott, passivum divinum, ius talionis (V38).

Zusammenfassender Abschluss mit Rekurs auf die Zungenrede und die prophetische Rede: 1 Kor 14, 39-40.


Damit kann der Abschnitt 1 Kor 14, 26-40 als Einheit und die mulier-taceat-Stelle als ursprünglicher Bestandteil der paulinischen Gemeindeordnung betrachtet werden. Das Schweigegebot, das Paulus an die Frauen richtet, gilt also nur für die offizielle Wortver­kündigung, nicht für die Prophetinnen, weil die Charismen von beiden Geschlechtern ausgeübt werden können.

So ist nun auch in diesem Abschnitt des 1. Korintherbriefes deutlich geworden, dass nicht historische und situationsbedingte, sondern theologische Gründe den Apostel das Schweigen der Frauen im Gottesdienst gebieten lassen.[31] Dass die evangelischen und an­deren Glaubensgemeinschaften, die das geistliche Amt Frauen zugänglich gemacht ha­ben, dies anders sehen, liegt nicht nur an der Exegese, sondern hat seine Wurzel vor al­lem auch in einem anderen Amtsverständnis. Seit der Reformation ist in diesem Teil der Christenheit umstritten, ob das geistliche Amt eine göttliche oder eine menschliche Ord­nung ist. Die Auflassung, dass es sich nur um eine organisatorische Struktur handelt, hat sich in der reformatorischen Tradition weitgehend durchgesetzt. Daher ist es nicht verwunderlich, dass mit Veränderungen der soziologischen Strukturen, z. B. mit dem Fall der Monarchie am Ende des Ersten Weltkriegs in Deutschland, dem Zugang der Frauen zum geistlichen Amt kein Hindernis mehr im Wege stand. Wie die Frauen nach dem Ers­ten Weltkrieg sich das Wahlrecht und das Studium an der Universität erkämpfen muss­ten, ebenso geschah dies in der Frage des geistlichen Amtes. Eine ganz andere Frage ist, ob sich das geistliche Amt für die Frau aus Schrift, Tradition und Theologie ableiten lässt. Da aber die evangelischen Glaubensgemeinschaften zum größten Teil die Frauenordination inzwischen schon seit mehreren Jahrzehnten praktizieren, ist eine irreversible Entscheidung gefallen. Selbst wenn aus besserer Erkenntnis in einem Teil dieser Ge­meinschaften diese Entscheidung rückgängig gemacht werden sollte, hätte dieser Schrill nur dann Bestand, wenn eine tiefere theologische Begründung des Hirtenamtes geschaf­fen würde, als sie die Reformation geliefert hat.

Forum Katholische Theologie, Vierteljahresschrift für das Gesamtgebiet der katholischen Theologie, begründet von Kardinal Leo Scheffczyk, herausgegeben von Manfred Hauke, Kurt Krenn, Michael Stickelbroeck, Anton Ziegenaus. 

 

Erstveröffentlichung: Forum Katholische Theologie
Vierteljahresschrift für das Gesamtgebiet der katholischen Theologie
23. Jahrgang Heft 2/2007

 


[1] Papst Johannes Paul II.. Epistola apostolica „Ordinatio Sacerdotalis", AAS 86 (1994), 545-548.

[2] Stellvertretend für viele andere Exegeten seien genannt: Gerhard Dautzenberg. Die Frau im Urchristen­tum, Freiburg im Breisgau 1983.205: ders., Urchristliche Prophetie. Berlin 1975, 291 f.: Hans Conzelmann. Der 1. Brief an die Korinther. Göttingen 1981, 299; Marlies Gielen, Bibel und Kirche 57/3 (2002) 137.

[3] Vgl. Wolfgang Schräge. Der erste Brief an die Korinther, 3. Teilband. Zürich 1999, 441.

[4] Vgl. ders., 443; Conzelmann. 298 f.

[5] Manfred Hauke. Die Problematik um das Frauenpriestertum vor dem Hintergrund der Schöpfungs- und Erlösungsordnung, Paderborn 1995.4. Aufl., 361
 
[6] Vgl. Heinrich Vogels. Der Einfluss Mareions und Tatians auf Text und Kanon des Neuen Testaments, in: Synopt. Studien, München 1963, 278 ff.

[7] Vgl. Hanke (Anm. 6), 388

[8] Kurze Interpolationshypothese nach Hans Conzelmann, Der erste Brief an die Korinther, Göttingen 1981, 298 ff.

[9] Lange Interpolationshypothese nach Dautzenberg. Urchristliche Prophetie, 291f.

[10] Vgl. Conzelmann (Anm. 9), 298 ff.

[11] Vgl. Dautzenberg (Anm. 10), 268 ff.

[12] Vgl. Manfred Hauke, Das Weihesakrament der Frau - eine Forderung der Zeit (Respondeo [Theologische Schriftenreihe] 17),  hg. von David Berger. Siegburg 2004. 43 f hier eine ähnliche Argumentationsfolge mit Verweis auf die anderen Argumentationsfolgen in 1 Kor.

[13] Vgl. Gerhard Dautzenberg (Hg.). Die Frau im Urchristentum, 205.

[14] Vgl. ebd., 211.

[15] Vgl. Leonhard Goppelt. Theologie des Neuen Testaments, Göttingen 1991, 634.

[16] Vgl. Karl Heinrich Rengstorf, Apostolat und Predigtamt. Stuttgart 1954.8f.

[17] Vgl. Hauke. Frauenpriestertum (Anm. 6). 381.

[18] Ernst Käsemann. Exegetische Versuche und Besinnungen. Göttingeu 1986, 98.

[19] Vgl. Conzelmann(Anm. 9), 300.

[20] Vgl. Ernst Käsemann. Exegetische Versuche und Besinnungen. Göttingeu 1986, 99.

[21] Vgl. Schrage (Anm, 4), 462.

[22] Vgl. Dautzenberg. Urchristliche Prophetie (Anm. 3), 268.

[23] Ebd.

[24] Ders., Die Frau im Urchristentum (Anm. 3), 205.

[25] Vgl. Hauke. Frauenpriestertum(Anm. 6), 356.

[26] Vgl. Anm. 16.

[27] Vgl. Rengstorf (Anm, 17), 8f.

[28] Vgl. Peter Brunner. Pro Eccelesia (Ges. Aufsätze) Berlin 1962, 301.

[29] Vgl. ebd.

[30] Gegen Schräge (Anm. 4). 484.

[31] Vgl. Johannes R. Nothaas. Die Stellung der Frau nach 1 Kor 11,2-16 in: Forum Katholische Theologie 3 (2005) 161-181.

Комментарии ():
Написать комментарий:

Другие публикации на портале:

Еще 9