Ob die Theotokos in den Tempel eintrat? Bekenntnis eines Zweifelnden
Die Einführung der Allheiligsten Gottesgebärerin in den Tempel ist ein orthodoxes Hochfest, dessen Historizität aber in Frage gestellt wird. Sind Zweifel an der Überführung für Christen angemessen, oder wäre dies mit dem wahren Glauben unvereinbar? Um dieses Problem geht es im folgenden Artikel.
Статья

Einst hat mir ein Freund von einem Artikel auf einer theologischen Website erzählt, in dem das Fest der Einführung der Allerheiligsten Gottesgebärerin in den Tempel behandelt wurde und der die These vertrat, dass es eigentlich gar keine Einführung in den Tempel gegeben habe, da „zahlreiche Forscher“ dieser Meinung seien und solche sich bekanntlich nie irren.

Mir ging durch den Kopf, dass ich bis vor etwa zehn Jahren auch nicht an die Historizität der Einführung der Theotokos in den Tempel geglaubt hatte und mir dabei ziemlich schlau und fortschrittlich vorgekommen war. Ich hatte geglaubt, dass dies meine eigene Meinung wäre, obwohl ich sie in Wirklichkeit bei einem der „zahlreichen Forscher“ bzw. jemandem, der diese zitierte, herausgelesen hatte. Das Argument, das mir unwiderlegbar erschienen war, hatte darin bestanden, dass dieses Ereignis als solches zu dem, was von der Einstellung der antiken Juden zum Tempel bekannt ist, nicht passt und einigen Festsetzungen  sogar widerspricht (der Eintritt in den Tempel soll nur Männern gestattet gewesen sein).

So lebte ich wohl mit dieser Meinung eine Weile lang, und dann, sagen wir, so etwa vor neun Jahren, wurde ich nachdenklich – denn gab es vor meinen Augen keine Ausnahmen, z.B. auch im kirchlichen Leben? Es geht nicht um Übertretungen, sondern um Ausnahmen, die deutlich nach dem Willen Gottes geschehen. Ob es so etwas gar nicht gibt? Doch, so etwas gab es und gibt es weiterhin. Es finden Ausnahmen von den Regeln statt. Die Tatsache, dass es sie auch in alttestamentlichen Zeiten gegeben hatte, hat Christus selbst den antiken Klugrednern gegenüber bezeugt: „ Habt ihr nicht gelesen, was David tat, als ihn und die bei ihm waren hungerte? Wie er in das Haus Gottes ging und die Schaubrote aß, welche er nicht essen durfte, noch die bei ihm waren, sondern allein die Priester ?“ (Mt 12,3-4).

Hätte der Herr diese Worte nicht gesagt, hätten sich heute eventuell auch Klugredner gefunden, die einen Artikel darüber zusammengeflickt hätten, dass die im 21. Kapitel des 1. Buch Samuel beschriebene Episode mit den Schaubroten nach Meinung „zahlreicher Forschern“  nicht mehr als eine Fiktion sei, da sie dem Gesetz und der frühjüdischen Tradition widerspreche, die deutlich besagt, dass das Kosten dieser Brote immer nur Priestern erlaubt war.

Mir fiel auf, dass - wenn es immer Ausnahmen gegeben hatte und auch heute gibt - dann ja auch die Einführung der Theotokos in den Tempel so eine Ausnahme gewesen sein könnte. Falls ja, wäre das Argument, vom dem ich so überzeugt gewesen war, nichts wert. Was die „zahlreichen Forscher“ betrifft, kann mit Sicherheit eins gesagt werden: das sind alles Menschen aus dem 20., bestenfalls aus dem 19. Jahrhundert, von denen keiner im Jerusalemer-Tempel des 1. Jahrhunderts v.Chr. dabei war, um authentisch zu bezeugen, was damals möglich war und was nicht. Alles, was den „zahlreichen Forschern“ zur Verfügung steht, sind vereinzelte Daten aus den schriftlichen Quellen und die eigene Fantasie. Dabei wird der Mangel an Ersteren immer mithilfe eines Überschusses von Letzterem überbrückt. Unkritisch wäre es, zu glauben, dass Historiker über jedes Ereignis und jede Handlung, die vor zweitausend Jahren in einer der Städte des Römischen Reiches stattfanden, Bescheid wüssten; dies könnte nur einer meinen, der von der historischen Wissenschaft überhaupt keine Ahnung hat.

Was aber mich betrifft, wusste ich, Gott sei Dank, auch schon vor zehn Jahren, dass die „zahlreichen Forscher“ bezüglich dermaßen zeitlich entfernter Ereignisse nur vereinzelte Daten zur Verfügung haben. Diese stammen aus sehr wenigen Quellen, aufgrund derer sie versuchen, mit einem gewissen Wahrscheinlichkeitsgrad theoretische Schlussfolgerungen über den Stand der Dinge in der gegebenen Epoche zu rekonstruieren. Dieses Verfahren funktioniert zwar bezüglich der üblichen Abläufe relativ gut, ist aber bei Ausnahmen ungeeignet, insbesondere wenn solche nicht das Glück hatten, in die historischen Quellen zu gelangen, die von Augenzeugen aufgezeichnet und bis heute erhalten worden sind.

Wäre Marias Einführung in den Tempel also nicht ein gewöhnliches Ereignis, sondern eine Ausnahme gewesen, wäre die Skepsis der „zahlreichen Forscher“ des 20. Jahrhunderts, wie zahlreich sie auch immer sein sollten, gelinde gesagt, nicht allzu viel wert. Was sie da betreiben, ist keine Wissenschaft, sondern Rätselraten. Im Gegensatz dazu erscheint eine historische Quelle des 2. Jahrhunderts (Protevangelium des Jakobus) über die Einführung Marias in den Tempel als realer Tatsache jedenfalls sehr viel vertrauenswürdiger.

So etwa waren meine Gedankengänge vor neun Jahren, und ich begann, die Historizität der Einführung der Theotokos in den Tempel für möglich zu halten. Dabei kam ich mir wiederum ziemlich schlau vor, obwohl ich nach wie vor unwissend war und nicht verstand, dass all das Unsinn ist und mit dem Wesen der Dinge überhaupt nichts zu tun hat.

Also will ich versuchen, endlich zum Wesentlichen überzugehen. Fangen wir von vorn an.

Warum wurde ich von der Behauptung der Nicht-Historizität des Ereignisses, dem dieses Fest gewidmet ist, so sehr betroffen? Warum habe ich das so einfach hingenommen? Was mich so niederdrückte, waren nicht die Argumente, die zum Beweis dieser Sichtweise angeführt worden waren. Die Ursache lagt darin, dass ich, so wie auch ihr Autor, auf dem selben Ausgangspunkt stand, der aus folgenden Axiomen bestand:

1.   „Diejenigen, die vor mir lebten, sind unwissender als ich“.

2.   „Mittels der Argumente meiner Vernunft kann und muss ich auch selbst bestimmen, was die Wahrheit ist“.

Eben deshalb stimmte ich dem Autoren so leicht zu, bei dem ich die Ideen über die Nicht-Historizität des Einführungsfestes gelesen oder gehört hatte. Wir beiden gingen von dem selben Ausgangspunkt aus; deshalb war es nur natürlich, dass wir zu dem selben Schluss kamen, d.h. Skepsis und Rechtfertigung dieser Skepsis. Seine Idee war für mich so ansteckend kraft dieser innerlichen Verwandtschaft und Einigkeit unserer Geisteshaltung. Das ist eben die Wurzel dessen, was „Modernismus“ genannt wird. Diese Wurzel wurde von Kindheit an jedem von uns eingepflanzt, und es bedarf vieler Bemühungen, sie auszureißen.

Nur wenn man auf den zwei oben genannten Axiomen besteht, kann man, ohne die ganze Absurdität dieser Kombination zu bemerken, sich für einen gläubigen Christ halten und gleichzeitig glauben, besser zu wissen, was der Jungfrau Maria geschah, als die Christen des 2. Jahrhunderts, als die Erleuchter Germanos und Tarasios von Konstantinopel, der Erleuchter Gregor Palamas und all die Anderen, die von diesen Ereignissen als realer Tatsache geschrieben haben, und sogar besser als die Kirche selbst, die dieses Fest festgelegt hat.

Doch ist Stolz, selbst wenn er in solch grotesken Formen auftritt, immer noch weniger schlimm als die Kleingläubigkeit oder, einfacher gesagt, fehlender Glaube.

Nennst du dich einen orthodoxen Christen, bedeutet dies, dass du glaubst, dass es den ewigen Gott gibt, DER ein Augenzeuge aller Ereignisse der menschlichen Geschichte ist; DER Seine Wahrheit sowohl ehemals als auch in den letzten Zeiten den heiligen Menschen offenbart; du glaubst auch, dass ER die Kirche errichtete, die „ der Pfeiler und die Grundfeste der Wahrheit “ ist  (1 Tim 3,15), und die „des Hades Pforten nicht überwältigen werden“ (Mt 16,18), in der der Heilige Geist lebt, von DEM gesagt ist: „jener wird euch alles lehren“ (Joh 14,26) und der „euch in die ganze Wahrheit leiten“ wird (Joh 16,13). Folglich anerkennst du, dass die „Kirche weder sündigen noch sich irren noch anstatt der Wahrheit Lüge sagen kann; denn der Heilige Geist, DER durch die treu dienenden Väter und Lehrer der Kirche immer wirkt, behütet sie vor jeglichen Irrnissen“ (Sendschreiben der Ostpatriarchen über den orthodoxen Glauben, Teil 12). Folglich glaubst und anerkennst du in der Kirche das, was von ihr als Wahrheit festgelegt und gepredigt wird, einschließlich der Historizität der Festlegung des Festes der Einführung der Allheiligen Gottesgebärerin in den Tempel.

Bist du aber der Meinung, die Geschichte über die Einführung der Allheiligen Gottesgebärerin in den Tempel sei ein Mythos und Lüge, bedeutet dies also, du bist der Meinung, dass die Kirche anstatt der Wahrheit Lüge spricht. Denn hier ist alles eindeutig; es ist nicht bloß eine Behauptung irgendwelcher Einzelnen, keine „persönliche Meinung“, sondern eins der gesamtkirchlichen Zwölf Feste mit im gesamtkirchlichen Text des Gottesdienstes, mit einer Sammlung patristischer Predigten zu diesem Ereignis usw. Weiterhin bedeutet dein Nicht-Glauben an dieses Ereignis, dass der Heilige Geist die Kirche weder vor Irrtümern behüte noch sie in die ganze Wahrheit leite, was aber dann auch bedeuten würde, dass  Gott entweder gelogen hätte oder es IHN gar nicht gäbe.

Entweder  das eine oder das andere. Entweder glaubst du Gott oder eben nicht.

Glaube ist es, wenn du Gott mehr als dir selbst vertraust. Wenn du die Wahrheit nicht durch deinen eigenen Verstand festlegst, sondern sie von Demjenigen, DER sie innehat, erfährst. Wenn du von Seinem Wort, das entweder durch die Heilige Schrift oder durch die Kirche offenbart ist, nur all das akzeptierst, was du mit deinem eigenen Verstand verstehen kannst und was du für vertrauenswürdig hältst, dann gibt es in dieser Position für den Glauben keinen Platz; du glaubst dann also nicht Gott, sondern nur dir selbst. Und das ist kein Glauben, sondern  Betrug.

Wenn man schon glaubt, dann bitte auch richtig.

Wenn es Gott gibt, dann ist ER der Augenzeuge von allem, und wenn ER die Kirche errichtete und ihr die Wahrheit offenbarte, bedeutet das, dass man die Bezeugungen dieses Augenzeugen glauben muss, auch wenn dies in den Augen der Welt unmodisch und unpopulär ist, und auch, wenn „zahlreiche Forscher“ das Gegenteil behaupten.

Nicht zufällig lässt der Herr zu, dass allerlei modernistische Ideen über die die Nicht-Historizität der Einführung der Theotokos in den Tempel usw. existieren und sich verbreiten. All das ist zu unserem eigenen Nutzen. Die Popularität dieser Ideen hilft sowohl dazu, einen Gläubigen von einem Kleingläubigen zu unterscheiden, als auch einem Menschen zu entscheiden, wo er in Bezug zu Gott steht. Ähnlich ist es mit der Evolutionstheorie: Die Welt betont immer wieder, dass die Menschen von den Affen abstammen sollen, während Gott in der Bibel sagt, dass ER die Menschen aus Erde erschuf. So kannst du wählen und schauen, woran dein Herz hängt – an Gott oder an der Welt.

Aber wenn du beginnst, richtig zu glauben, wenn du dich Gott vollkommen, ohne jegliches „Ja, aber“ öffnest, nur dann geschehen eben Wunder, und es beginnt das wirkliche Leben, im Vergleich zu dem alles Vorherige wie bloße schlafwandlerische Existenz erscheint.

Quelle: http://www.pravoslavie.ru/43312.html

Комментарии ():
Написать комментарий:

Другие публикации на портале:

Еще 9