29. 10. 1978
Die Evangeliumsepikope des heutigen Tages, ein Abschnitt aus dem sechsten Kapitel des Lukasevangeliums zeigt uns ein solch genaues Bild von dem, was einen Christen ausmacht, dass es gut wäre, darauf immer wieder zurückzukommen.
Wenn wir Söhne oder Töchter Gottes sein wollen, jenes Gottes, Den wir als unseren Vater anrufen, wenn wir wirklich Seine Kinder sein wollen, dann sollten wir uns an Ihm ein Beispiel nehmen und von Ihm selbst das, was für einen Menschen vielleicht das Schwierigste ist, nämlich das Geben, lernen. Geben ohne etwas dafür zu erwarten, Geben einfach nur aus der Fülle des Herzens heraus, Geben einfach nur aus Liebe.
Charakteristisch für alle Heiligen und alle wirklichen Christen ist, dass sie alle fähig sind ihre Aufmerksamkeit ganz von sich selbst abzuwenden, quasi zu sich selbst zu sagen: Steh mir nicht im Weg, du verschliesst mir die Welt Gottes, du verdeckst mir den Blick zu Gott selbst und zu meinen Nächsten. Wir sollten es lernen, uns nicht nur für einige Minuten zu vergessen, sondern Menschen zu werden, die sich völlig und ganz von sich abgewandt und sich Gott, der Welt und den Menschen zugewandt haben, die fähig sind so zu geben, wie Gott selbst gibt, zu geben einfach nur deshalb, weil in unseren Herzen die Liebe jubelnd wohnt, zu geben und dabei in keiner Weise an sich zu denken, weder in der Minute des Gebens noch später, um uns gewahr zu werden, dass wir etwas Gutes vollbracht haben, zu geben, ohne von dem, dem wir etwas gegeben haben, weder ein Lächeln der Dankbarkeit noch eine Gegengabe als Antwort zu erwarten. Wenn wir es nicht wenigsten in einem geringen Maße gelernt haben in einer solchen Weise zum Leben, zu Gott und zu den Menschen zu stehen, dann haben wir noch nicht einmal begonnen, Christen zu sein.
In der Tat: Wer von uns kann von sich voller Stolz behaupten, dass er Gott immer nur voller Liebe entgegentritt und nicht eher meistens nur dann, wenn er etwas braucht oder weil er vor ihm beten muss, nachdem er für sich und sein Leben nur noch Scham empfindet? Wer von uns kann sagen, dass er beständig und jedem mit offenem Herzen und voller Freude gibt ohne jegliche Hintergedanken, dass der, der etwas von uns bekommt, sich kleiner fühlen möge, sich durch unser Geschenk verletzt fühlen soll, dass der sich in der Pflicht sieht, früher oder später das zurückzugeben, was ihm gegeben wurde.
Man muss es lernen so zu geben, dass der, der das Geschenk erhält, sich einfach nur freut, dass sich durch das Geschenk - ob es nun ein gutes Wort ist oder eine materielle Unterstützung - eine neue Tiefe des Verhältnisses, eine neue Tiefe der Liebe zwischen den Menschen auftut.
Lasst uns darüber nachdenken. Mit Kummer denke ich schon den ganzen gestrigen und heutigen Tag daran, dass ich noch nicht einmal begonnen haben ein Christ zu werden. Vielleicht besinnt sich ja jemand ... Ich oder einer von euch, die ihr zuhört? Lasst uns nie vergessen: Gott gibt immer ohne Maß, Er gibt ohne Neid, Er gibt aus freien Stücken und gratis. Er gibt, ohne etwas für Sich als Gegengabe zu erwarten. Findet sich denn in uns nicht wenigsten ein Stück Dankbarkeit, um Ihm mit jener Liebe zu anworten, aus der Seine Gaben geboren werden und um diese Liebe unter all jene zu säen, die von Gott selbst geliebt sind?
Amen