Der Abschnitt aus dem Evangelium, den wir heute gelesen haben, erschließt sich besonders klar und deutlich, wenn wir uns klar machen, dass das Gespräch, in dem der Schriftgelehrte oder der Jüngling, die Christus nach dem Ewigen Leben fragten, sofort einer Unterweisung Christi folgt, in der Er davon gesprochen hatte, wer in das Himmelreich eingeht, das heißt, wer das Ewigen Leben erben wird.
Gerade waren Kinder zu Christus gekommen und drängten sich um Ihn. Seine Jünger wollte sie verjagen, doch Christus gebot ihnen: Haltet sie nicht auf, zu Mir zu kommen, denn solchen wie sie gehört das Himmelreich. Wenn ihr nicht werdet, wie die Kinder, dann könnt ihr nicht in es gelangen. … In diesem Moment erhob jemand seine Stimme und fragte: Was kann ich tun, um in das Himmelreich zu gelangen? Es schien doch schon alles gesagt zu sein! Doch darin besteht schon die erste Verfehlung dieses Menschen. Gerade hatte er eine Antwort gehört und schon sucht er einen Vorwand bzw. einen besonderen Fall, um dieses Gebot zu umgehen, das Christus gerade gegeben hatte.
Tun nicht auch wir immer genau das Gleiche? Wir hören etwas und fragen sofort noch einmal nach, in der Hoffnung, dass uns irgendetwas anderes gesagt wird, etwas, was uns genehmer ist und unseren Wünschen mehr entspricht. Die Worte Christi, die Er seinen Jüngern gesagt hatte, stehen quasi dem Gesprächs mit dem, der Ihn fragt, wie man in das Ewige Leben gelangen kann, entgegen. Christus verweist ihn noch einmal auf das Alte Testament. Erfülle die Gebote. „Ich habe alles erfüllt“ – ist die Antwort des Schriftgelehrten. „Ich stehe vor Gott und vor dem Menschen in völliger Rechtschaffenheit“. Sein Gewissen klagt ihn in Nichts an. Doch wonach fragt er dann noch? Er fragt deshalb, weil sein Gewissen spürt, dass er wohl dem Gesetz nach Rechtfertigung erlangen kann, dass aber hinter dem Gesetz eine viel größere und tiefere Dimension der Wahrheit steht, als die einfache Erfüllung des Gesetzes. Der Geist fehlt ihm noch. Der Geist des Gesetzes aber ist die Liebe, die im Evangelium erblüht.
Christus sagt zu ihm weiterhin: „Wenn du alles erfüllst hat, dann fehlt dir nur noch eines. Trenn dich von all deinem Reichtum und folge mir!“ Der Schriftgelehrte war materiell reich, doch noch „reicher“ war er in seiner Gewissheit, reich an Tugenden zu sein. Er hatte alles, was vor Gott nötig war, erfüllt. Er hatte alles getan, was ihn vor den Menschen rechtfertigt und ihn würdig sein ließ, von ihnen geachtet und geehrt zu werden. Auch darin war er reich. Doch wenn er sich von diesem Reichtum nicht trennen kann, wird er nicht in das Himmelsreich eingehen.
Und hier ersteht vor uns das Bild der Kinder, von denen kurz vorher berichtet wurde. Was für ein Unterschied besteht zwischen den Kindern und dem Menschen, der die Frage gestellt hat? Der Unterschied besteht darin, dass ein Kind nie auf seinen Reichtum verweist, sich nicht in seinen Tugenden sonnt, nicht weiß, dass es ein Recht hat auf das Himmelreich, bzw. es verdient. Ein Kind ist hilflos, es ist kraftlos, es kann sich auf nichts stützen in seiner Kraft- und Schutzlosigkeit, außer auf Barmherzigkeit und Liebe, auf Mitgefühl und Zärtlichkeit.
Ja, solchen gehört das Himmelreich, weil das Gottesreich das Reich der gegenseitigen Liebe ist. Die, die auf nichts rechnen können außer auf Liebe hoffen, vor denen öffnet sich wirklich das Reich Gottes. Die jedoch, die meinen, irgendein Recht auf das Gottesreich zu haben, bleibt es verschlossen, denn es ist kein Reich des Rechte, nicht das Reich des Gesetzes, sondern ein Geschenk: das Reich der Barmherzigkeit, dass uns aus Liebe geschenkt wird. Ein Reicher kann in das Gottesreich nicht gelangen und auch alle die, die meinen, dass sie ihre Rechtfertigung erlangt und ihr Recht darauf haben. Der jedoch, der kommt, wohl wissen, dass er nichts verdient und keinerlei Recht auf es hat und nur auf die Liebe hofft, weil er an die Liebe glaubt und auf sie rechnet als die einzige Rettung, der ist schon durch seine Erfahrung, durch sein Denken und Fühlen mitten im Gottesreich.
Und dies müssen wir lernen: Jegliches Denken in Kategorien des Rechts sollten vergessen und aufgeben! Vergessen sollten auch unseren Reichtum und im Geiste immer ärmer werden, um bis ins Letzte hilflos und schutzlos zu sein und uns ganz abhängig zu machen von der Liebe, die wir geben und empfangen. Denn dann ergießt sich das Gottesreich in der Tat in unsere Seelen und nimmt um uns herum Wirklichkeit an.
Amen