Leben und Beten sind eins
„Steht morgens auf, stellt euch vor Gott und sagt: Herr, segne mich und diesen beginnenden Tag! Dann versucht den gesamten Tag wie eine Gabe Gottes zu begreifen und euch selbst als einen Boten Gottes, hinein in diesen noch unbekannten, beginnenden Tag. Das ist nicht sehr einfach, denn dies bedeutet verstehen zu lernen, dass alles, was auch an diesem Tag geschehen sollte - alles ohne Ausnahme – Umstände sind, in die Gott uns gestellt sehen wollte – denn nichts geschieht ohne Seinen Willen -,damit wir Ihn anwesend machen: mit Seiner Liebe und Seinem Mitleid, mit seinem schöpferischen Denken und Seinem Mut.“ – aus einer Predigt zum Thema Leben und Beten von Metropolit Antonij von Sourozh
Статья

2. 9. 1967

Man kann Leben und Beten nicht voneinander trennen. Leben ohne Beten ist ein Leben, dem seine wichtigste Dimension fehlt. Es ist ein Leben an der Oberfläche ohne Tiefe, ein Leben in nur zwei Dimensionen von Raum und Zeit, ein Leben, welches sich mit dem Sichtbaren und mit seinem Mitmenschen allein in seiner physischen Existenz zufriedengibt, ohne dessen wahrer grenzenlosen Größe und der Ewigkeit seines Schicksals gewahr zu werden. Die Bedeutung des Gebets besteht darin, mit dem Leben selbst jene Tatsache zu erfahren und zu bekräftigen, dass allen Dingen die Ewigkeit innewohnt und alles grenzenlos ist. Die Welt, in der wir leben, ist keine Welt ohne Gott, wir selbst drängen Ihn aus ihr heraus. In der Tat ist sie geschaffen von den Händen Gottes und von Ihm geliebt. Sie ist ihm sogar das Leben und den Tod Seines Eingeborenen Sohnes wert. Das Gebet bezeugt uns, dass dies so ist und dass wir darum wissen, dass jeder Mensch und jeder Gegenstand um uns herum in den Augen Gottes heilig ist. Und wenn dies alles von Ihm geliebt ist, dann begreifen auch wir, wie wertvoll alles ist. Nicht zu beten bedeutet, Gott draußen zu lassen, außerhalb der Grenzen allen Existierenden und nicht nur Ihn, sondern alles, was Er bedeutet für die von Ihm geschaffene Welt, der Welt, in der wir leben.

Oft scheint es uns, dass es schwer ist, Leben und Beten zu vereinbaren. Aber das ist ein Irrtum, das ist völlig falsch. Es rührt vielmehr daher, dass wir eine falsche Vorstellung haben, sowohl vom Leben, als auch vom Beten. Leben bedeutet für uns umher zu hetzen und Beten, sich irgendwohin zurückzuziehen und alles zu vergessen, sowohl seine Mitmenschen, als auch die Lage, in der wir Menschen uns befinden. Das ist jedoch falsch. Das ist eine Verleumdung des Lebens, sowie eine Verzerrung des Gebets.

Um Beten zu lernen, muss man sich zuallererst solidarisch erklären mit der gesamten Wirklichkeit des Menschseins, mit der Realität seines eigenen Schicksals und des Schicksals der gesamten Welt: und diese ganz auf sich nehmen. Dies ist seinem Wesen nach ein Akt, der dem der Menschwerdung Gottes gleichkommt. In ihm verkörpert sich all das, was mit Fürsprache für jemand anderen verbunden ist. Gewöhnlich halten wir das Beten für einen anderen für ein höfliches Erinnern Gottes daran, was Er vergessen hat zu tun. In der Tat besteht es aber darin, einen Schritt zu tun, der uns in das Zentrum einer tragischen Situation führt, einen Schritt, den auch Christus getan hat, als Er Mensch wurde, einmal und für immer. Auch wir sollten einen solchen Schritt gehen. Er führt uns jedoch in das Zentrum einer Situation, aus der wir nie wieder herauskönnen. Die Solidarität eines Christen entspricht der des Christus und sie ist gleichzeitig auf zwei entgegengesetzt liegende Pole gerichtet: der Menschgewordene Christus, der wahre Mensch und der wahre Gott, ist bis zum Schluss solidarisch mit dem Menschen, wenn dieser sich in seiner Sünde an Gott wendet. Er ist aber auch bis zum Letzten hin solidarisch mit Gott, wenn Dieser sich zum Menschen wendet. Diese zweiseitige Solidarität macht uns in einem bestimmten Sinne beiden Lagern fremd, gleichzeitig aber auch eins mit beiden. Darin besteht die Grundlage des Christseins.

Nun mögt ihr sagen: „Was sollen wir tun?“ Das Gebet wird aus zwei Quellen geboren. Zum einen aus eine Gefühl begeisterter Rührung von Gott und Seinen Taten, von unseren Mitmenschen oder der Welt die uns umgibt, ungeachtet ihrer Schatten, oder aber aus einem Gefühl, dass etwas Tragisches passiert, mit uns oder mit jemand anderem.  Berdjajew hat einmal gesagt: „Wenn ich hungere, dann ist dies eine physische Wahrnehmung, wenn mein Nebenmann jedoch hungert, dann ist es eine ethische“. Dies ist die Tragik, die uns ständig umgibt, denn unser Nebenmann ist immer hungrig. Es geht hier nicht immer nur um Brot. Manchmal ist es der Hunger nach einer menschlichen Geste oder einem zärtlichen Blick. Und hier beginnt das Gebet: in dieser Offenheit für die Dinge, die uns von außen berühren, in der Bereitschaft für das Tragische. Solange wir diese Offenheit in uns verspüren, ist alles leicht. Im Zustand der Begeisterung lässt es sich leicht beten, sowie auch mit  dem Gefühl, dass sich etwas Tragisches ereignet.

Was ist jedoch in all den anderen Momenten, denn auch dann sollten Leben und Beten eine Einheit bilden? Ich habe keine Zeit, viel darüber zu sprechen, doch eins möchte ich euch sagen: Steht morgens auf, stellt euch vor Gott und sagt: Herr, segne mich und diesen beginnenden Tag! Dann versucht den gesamten Tag wie eine Gabe Gottes zu begreifen und euch selbst als einen Boten Gottes, hinein in diesen noch unbekannten, beginnenden Tag. Das ist nicht sehr einfach, denn dies bedeutet verstehen zu lernen, dass alles, was auch an diesem Tag geschehen sollte - alles ohne Ausnahme – Umstände sind, in die Gott uns gestellt sehen wollte – denn nichts geschieht ohne Seinen Willen -,damit wir Ihn anwesend machen: mit Seiner Liebe und Seinem Mitleid, mit seinem schöpferischen Denken und Seinem Mut. Begreift außerdem, dass jedes Mal, wenn ihr in die ein oder andere Situation geratet, ihr es seid, den oder die Gott dorthin gesandt hat, um dort als Christ dienend zu helfen, als ein Teil des Leibes Christi und im Auftrage Gottes. Wenn ihr so handelt, dann werdet ihr schnell sehen, dass wir uns in jedem Augenblick zu Gott wenden müssen, um Ihn bitten: „Herr, hilf und erleuchte meinen Verstand, stärke und lenke meinen Willen, gib mir ein flammendes Herz!“ In anderen Momenten könnt ihr sagen: „Herr, ich danke dir!“ Wenn ihr vernünftig danken könnt, dann könnt ihr einer großen Dummheit aus dem Wege gehen, nämlich der Eitelkeit, der Ehrsucht und dem Stolz, die daher rühren, dass wir uns einbilden, angeblich etwas getan zu haben, was wir auch nicht hätten tun müssen. Dabei hat Gott es getan! Denn Er hat uns die wunderbare Möglichkeit eingeräumt, dies zu tun. Wenn ihr euch dann am Abend erneut vor Gott stellt und im Gedächtnis den Tag noch einmal Revue passieren lasst, dann könnt ihr Gott dafür preisen und Ihm danken, aber auch weinen über sich und andere. Wenn ihr so beginnt, euer Leben mit eurem Gebet zu vereinen, dann wird sich zwischen ihnen nie wieder ein Abgrund auftun und euer Leben wird zu einem heißen nährenden Feuer, das jeden Moment erwärmt und an Kraft und Leuchten immer weiter zunimmt und euch selbst immer weiter in jenen Dornbusch verwandelt, von dem die Heilige Schrift spricht.

Amen

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