Vom Jüngsten Gericht
„Wie ich schon bemerkt habe, wird Seine einzige Frage darin bestehen, ob wir menschlich waren. Und dieses „menschlich“ gilt es im einfachsten Sinne dieses Wortes zu verstehen. So menschlich wie es auch ein einfacher Heide sein kann. Jeder, der ein Herz hat, ist fähig menschlich zu sein. Wenn wir wirklich ein Herz haben, dann sind für uns die Pforten zum Reich Gottes offen, um dort an ihm teilzuhaben. Dies wird eine Teilhabe sein, die tiefer ist als das Sakrament der Kommunion, durch welches wir uns ja auch mit Gott verbinden. Durch diese Teilhabe werden wir uns so mit Ihm vereinigen, dass wir zu einem Tempel des Heiligen Geistes werden, zum Leib Christi, zu einem Ort, an dem Er ganz Gegenwart ist.“ – aus einer Predigt zum Sonntag des Jüngsten Gerichts von Metropolit Antonij von Sourozh
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Nicht nur einmal warnt uns das Evangelium davor, dass einst über uns Gericht gehalten wird. Es sagt uns aber auch, wie man einer Verurteilung entgehen kann. An einer Stelle spricht der Herr: Nicht jeder der Mich ruft: „Herr! Herr!“ wird eingehen in das Himmelreich.  Einige werden kommen und sagen: Haben wir nicht in Deiner Kirche das Brot gebrochen? Haben wir nicht zu Dir gebetet? Haben wir Dich nicht in Hymnen besungen? Und Ich werden ihnen dann sagen: Geht von mir, die ihr Unrecht getan habt.

Nicht durch äußerliche Frömmigkeit erlangen wir das Heil. Das Evangelium, welches wir zum Sonntag des Zöllners und Pharisäers gelesen haben, hat uns schon einiges dazu gesagt. Der Pharisäer war in allen Äußerlichkeiten tadellos. Doch im Innern blieb er tot und kalt in Bezug zu dem, was wirklich zählt: zu der Liebe. Er hätte dem Herrn sagen können: Habe ich nicht oft in Deiner Kirche gebetet? Zur Antwort hätte er dann jene Worte bekommen, die ich soeben zitiert habe. Er hätte sich auch an den Teil des Alten Testaments erinnern können, wo es heißt, dass für Gott das Gebet dessen, der seinem Bruder nicht vergeben kann, ein Greul ist.

Und heute nun zeichnet uns das Evangelium ein Bild des letzten, des Jüngsten Gerichts. Es wird der Tag kommen – dies wird nicht unbedingt der Tag unseres Todes sein, es kann vielmehr jeder beliebige Augenblick sein, an dem wir völlig unerwartet aufwachen und uns fragen, worin das Heil besteht. Gibt es für mich eine Chance? Kann ich auf etwas hoffen? Eine erste Antwort auf diese Frage ist für uns das Bild des Zöllners. Es gab nichts, womit er sich hätte rühmen können. Er war ein Verräter seines Volkes. Er war auf seinen Vorteil bedacht. Er war seines Volkes unwürdig, unwürdig auch des Alten Testaments, des Gesetzes seines Volkes. Und er hatte begriffen, dass er es verdient hatte, verdammt zu werden und stand an der Schwelle des Tempels und wagte es nicht, auch nur einen Schritt weiter zu gehen, in den Tempel hinein, weil der Tempel der Ort war, in dem Gott wohnt, ein Ort von solcher Heiligkeit, wie ihn nur Gott schaffen kann. Er schlug sich an die Brust und sprach: „Verzeih mir! Ich bin ein Sünder.“ Dies ist der erste Schritt zur Vergebung, zum Heil unseres Lebens und unserer Seele.

Heute ersteht vor uns ein anderes Bild. Nicht durch die strenge Befolgung der Normen des Lebens, nicht durch Frömmigkeit, die man in Anführungszeichen setzen kann, nicht durch das Gebet, wenn es unwürdig ist, erlangen wir das Heil. Zum Jüngsten Gericht – und das ergibt sich eindeutig aus der heutigen Evangeliumslesung – wird uns der Herr nichts zu unserem Glauben fragen, nichts zu unseren Überzeugungen oder darüber, wie wir uns äußerlich bemühten, dem Herrn zu gefallen. Er wird uns fragen: Wart ihr menschlich? Oder wart ihr es nicht? Habt ihr euch, als ihr einen Hungrigen saht, ihm voller Mitleid im Herzen zugewendet und  ihm zu Essen gegeben? Hab ihr, als ihr jemanden getroffen habt, der kein Obdach hat, darüber nachgedacht, wie man ihm zu einem Dach über dem Kopf, zu einem Platz im Warmen, zu einem sicheren Ort verhelfen könnte? Habt ihr, als ein Bekannter von euch sich vergangen hatte und zu Gefängnis verurteilt wurde, eure Scham zu zeigen, dass er euer Freund ist, überwunden und ihn besucht? Habt ihr jemandem von eurem Überfluss abgegeben? Einen Mantel, den ihr eigentlich nicht tragt, oder irgendetwas anderes? Das ist alles, was der Herr uns beim Jüngsten Gericht fragen wird.

Wie ich schon bemerkt habe, wird Seine einzige Frage darin bestehen, ob wir menschlich waren. Und dieses „menschlich“ gilt es im einfachsten Sinne dieses Wortes zu verstehen. So menschlich wie es auch ein einfacher Heide sein kann. Jeder, der ein Herz hat, ist fähig menschlich zu sein. Wenn wir wirklich ein Herz haben, dann sind für uns die Pforten zum Reich Gottes offen, um dort an ihm teilzuhaben. Dies wird eine Teilhabe sein, die tiefer ist als das Sakrament der Kommunion, durch welches wir uns ja auch mit Gott verbinden. Durch diese Teilhabe werden wir uns so mit Ihm vereinigen, dass wir zu einem Tempel des Heiligen Geistes werden, zum Leib Christi, zu einem Ort, an dem Er ganz Gegenwart ist.

Doch wenn wir unmenschlich waren, wie können wir dann daran denken, göttlich zu werden, an der Göttlichen Natur teilzuhaben und vom Heiligen Geist durchglutet zu werden, um in der Ewigkeit zu leben? Das wird dann alles nicht gehen!

Heute steht klar und deutlich das Gericht Gottes vor uns. Gleichsam schauen wir auch auf Seine Barmherzigkeit, denn Gott ist barmherzig. Er warnt uns rechtzeitig. Ein einziger Augenblick reicht aus, um das ganze Leben zu verändern. Ein einziger Augenblick, keine Jahre. So kann auch der Älteste von uns in einem Augenblick all die Untaten, all das Furchtbare, all das Falsche in seinem Leben begreifen und sich voller Tränen zu Gott wenden, in der Hoffnung auf Barmherzigkeit. Auch der Jüngste von uns kann es jetzt lernen, solange noch Zeit ist, menschlich zu sein. Schritt für Schritt. Denn wenn wir menschlich sind, dann werden wir zu Freunden Gottes, denn ein Christ zu sein bedeutet, Gott sich zum Freund gewählt zu haben. Und ihr wisst was Freundschaft bedeutet: gegenseitige Solidarität und Loyalität. Sie bedeutet Treue und Eins zu sein in der Seele, im Herzen, in den Handlungen mit dem, der unser Freund ist. Diese Wahl haben wir alle einst getroffen. Doch  wir haben sie so oft vergessen!

Heute stehen wir vor dem Evangelium vom Gericht. Doch wir können etwas tun, quasi vor den Augen des Evangeliums. Nach dem Gottesdienst werden wir Geld sammeln für eine Organisation, die sich um jene kümmert, die kein Obdach haben, die gezwungen sind, auf der Straße zu leben, in den Hauseingängen zu schlafen, die abhängig sind von den Passanten, ob diese ihnen etwas zu essen geben, ob diese sich ihrer erbarmen. Steht nun aufrecht vor dem heutigen Evangelium, nicht nur emotional gerührt, sondern steht vor ihm mit eurer Tat, wenn ihr am Ausgang der Kirche den Teller sehen werdet.

Gebt. Gebt großzügig, gebt mit eurem Herzen, gebt so, wie ihr es gerne hättet, dass man euch gibt, wenn ihr auf der Straße leben müsstet, schutzlos, einsam, hoffend am Rande der Verzweiflung oder bereits ohne Hoffnung auf das Erbarmen der Menschen.

Wir haben die Möglichkeit, in einem kleinen Augenblick etwas sehr einfaches zu tun. Lasst es uns tun! Und möge der Segen Gottes mit jedem sein, der etwas tut. Nicht nur ein wenig, sondern so viel, wie man kann, damit ein anderer Mensch am Leben bleibt, dass er atmen kann und nicht im Verderben untergeht.

Amen
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