Vom Verlorenen Sohn
„Wir alle gleichen dem Verlorenen Sohn. Wir alle sind von Gott beschenkt worden: Er hat uns das Leben geschenkt: die natürlichen Kräfte unseres Verstandes, unseres Herzens und unseres Willens. Er lässt unseren Körper stark sein und hat uns Freundschaften, eine Familie, all das, was uns reich macht, gegeben. All das … haben wir genommen und es in jenes ferne Land getragen, wo wir mit all dem tun und lassen können, was wir wollen, ohne Rechenschaft ablegen zu müssen, wo wir uns vor dem Angesicht Gottes verbergen und es uns, wenn wir es denn so wollen, gut gehen lassen und alles verschwenden können. … Doch es kommt irgendwann der Augenblick, in dem wir zu hungern beginnen. Ich spreche hier nicht vom Hunger nach Nahrung, sondern nach Zärtlichkeit, die man dann nicht kaufen bräuchte, nach Liebe, die man als reine Gabe fühlen könnte, nach menschlichen Beziehungen, die durch nichts zu erschüttern wären.“ – aus einer Predigt zum Gleichnis vom Verlorenen Sohn von Antonij von Sourozh
Статья

Wie einsam, furchtbar und kalt fühlte sich der blinde Bartimäus, bevor Christus an ihm vorrüberging und ihn zu neuem Leben berief. Wie schrecklich war für Zachäus der neugierige und zu furchtbaren Qualen fähige Lästermund der Menschen, als er sich entschieden hatte, kost es, was es wolle, Christus zu begegnen. Ihr erinnert euch auch daran, wie der Zöllner an der Schwelle des Tempels stand, wie er vor sich den Tempel  erblickte: den Ort, an dem Gott wohnt, jenen Heiligen Ort, zu dem jegliche Lüge, alle Unreinheit keinen Zugang haben. Er sah sich plötzlich im Spiegel seines Gewissens. Wie er dort stand und es nicht wagte, die Schwelle zum Tempel zu überschreiten. Er schlug sich an die Brust und seufzte: Herr sei mir Sünder gnädig! Diese Worte drücken aber nicht nur die Einsicht in die eigene Sündhaftigkeit aus, sondern auch Hoffnung. Hoffnung darauf, dass Mitleid, Barmherzigkeit, Liebe und Vergeben über Gerechtigkeit und Wahrheit, ja über unerbittlicher Wahrheit, stehen. Dies hatte er selbst wahrscheinlich in seinem sittenlosen Leben gelernt. Er hatte es tausende Male gesehen, wie ein Mensch, der dem Gesetz nach zu verurteilen war - durch das herzlose, kalte menschliche Gesetz -  von Menschen plötzlich bemitleidet wird. Also ist es möglich, auf Erlösung zu hoffen. Dann wird alles herum licht sein, dann ist alles möglich. Und so stand er in der Hoffnung auf ein Wunder, dass das Unmögliche möglich wird, dass man sich seiner, der in den Augen  der Menschen verhasst war, verachtet von seinem Gewissen und verurteilt vom Gericht Gottes, trotz dem noch erbarmt, dass ihm vergeben wird und er sogar noch auf Zärtlichkeit hoffen kann.

Heute nun haben wir noch von jemand anderem gelesen, vom Verlorenen Sohn, an dessen Beispiel wir klar und deutlich sehen können, was mit einem Menschen geschieht, der bereut, der nach Hause zurückkehrt, tief erfasst von Gedanken über sein Leben vor dem Angesicht der Heiligkeit Gottes. Ihr habt wahrscheinlich vernommen, dass heute im Evangelium gesagt wurde, dass der Vater,  als der Sohn noch weit vom Vaterhause entfernt war, diesen schon gesehen hatte und ihm nun entgegenlief, ihn umarmte, küsste, mit Zärtlichkeit überhäufte und sich seiner erbarmte.

In der Person des Zachäus können wir uns wiedererkennen vor dem Gericht der Menschen. In der Erzählung vom Zöllner sehen wir uns vor dem Gericht des eigenen Gewissens. Jetzt betrachten wir unser Schicksal vor dem Angesicht Gottes. Wir alle gleichen dem Verlorenen Sohn. Wir alle sind von Gott beschenkt worden: Er hat uns das Leben, die natürlichen Kräfte unseres Verstandes, unseres Herzens, unseres Willens, ja unsere körperliche Stärke, unsere Freundschaften, unsere Familie, all das, was uns reich macht, gegeben. All das, jedoch, obwohl wir es aus der Hand Gottes erhalten haben, haben wir genommen und es in jenes fernes Land getragen, wo wir mit all dem tun und lassen können, was wir wollen, ohne Rechenschaft ablegen zu müssen, wo wir uns vor dem Angesicht Gottes verbergen und es uns, wenn wir es denn so wollen, gut gehen lassen und alles verschwenden können.

Sind wir nicht alle so? Reißen wir nicht immerfort all das an uns, was Gott gehört und heilig ist, um es zu unserem Vergnügen in unserem Leben zu gebrauchen? Und ebenso auch all das, was uns die Menschen geben, und all die Liebe, die uns geschenkt wird? Halten wir dies alles dann in acht wie ein Heiligtum? Wir alle entfernen uns immer wieder in jenes ferne Land, wo wir ohne Gott und ohne das Gericht der Menschen alles verprassen können.

Doch es kommt irgendwann der Moment, in dem wir zu hungern beginnen. Ich spreche hier nicht vom Hunger nach Nahrung, sondern nach Zärtlichkeit, die man dann nicht kaufen bräuchte, nach Liebe, die man als reine Gabe fühlen könnte, nach menschlichen Beziehungen, die durch nichts zu erschüttern wären und in denen sich beide immer bewusst sein würde, wie wertvoll der andere für einen ist. Dann heißt es für uns, uns auf dieses Gleichnis Christi zu besinnen. In diesem Gleichnis wird die Geschichte eines Jungen erzählt, der quasi Gott aus seinem Leben gestrichen und seinem Vater den Rücken gekehrt hatte, sich aber plötzlich erinnert, dass er ja einen Vater hat. Das erste Wort, mit dem er sich an seinen Vater wendet, ist: „Mein Vater!“ Aber womit kann er zu ihm zurückkehren? Mit irgendeiner Rechtfertigung? Nein. Die gab es für ihn nicht. Er konnte jedoch zurückkehren, weil er wusste, dass sein Vater, obwohl er selbst sich vergangen hatte und seiner, weil er ihn verraten hatte, unwürdig war, ihm treu blieb und ihn als Vater immer liebt. Mit diesen Gedanken eilt er nach Hause zurück, in das Haus seines Vaters. Und er bereitet sich vor, seinem Vater alles zu beichten. Er ist zu allem bereit, wenn er doch nur wieder nach Hause zurückkehren dürfte. Er ist bereit, selbst als Knecht bei seinem Vater zu arbeiten.  … Doch der Vater lässt sich auf eine solche Abmachung nicht ein. Er ist der Vater und er bleibt es auch, wie schäbig das Verhalten seines Sohnes auch gewesen sein mag. Als der Sohn nun begann, seine Unwürdigkeit zuzugeben, nimmt der Vater ihn wie seinen Sohn auf, der aus dem Tod der Sünde auferstanden ist, der erneuert zurückgekehrt war und freut sich und mit ihm das gesamte Haus.

Alle diese Bilder und Personen sind in den letzten Wochen vor uns getreten, Schritt für Schritt. Auf der einen Seite zeigen sie uns unsere eigene Blindheit, das Gericht durch die Menschen und das unseres eigenen Gewissens, doch gleichzeitig erinnern sie uns daran, wie wertvoll wir für Gott sind. Wie es in der heutigen Epistel heißt, sind wir für einen teuren Preis erkauft. Durch die Liebe Gottes, durch das Leben und den Tod Christi. Das ist der Preis, den Gott bezahlt hat, das sind wir Ihm  wert. Sollten wir uns nicht deshalb zu Gott aufmachen und voller Hoffnung und Glauben und Freude sein, dass Er uns annehmen wird, wie wir sind, weil wir ihm doch so viel bedeuten?

Das nächste Mal ersteht vor uns das Bild des Jüngsten Gerichts. Lasst uns uns deshalb die Frage stellen, wie es denn möglich sein kann, dass Gott, der Vater, Der uns grenzenlos liebt, für uns zum grauenvollen Richter werden kann? Was wird dann so schrecklich sein an diesem Gericht? Etwa die Strafe, etwa die Pein? Es ist nichts schrecklicher als einsehen zu müssen, wie man Liebe mit Füßen getreten hat … Lasst uns darüber nachdenken, wie der Herr uns nun zu Sich ruft, wie Er möchte, dass wir Ihm begegnen. Doch womit werden wir dann zu Ihm gehen können? Mit Liebe? Oder werden wir uns dann, wenn wir ins Angesicht der Göttlichen Liebe, in die Augen des grenzenlosen göttlichen Mitleids schauen werden, eingestehen müssen, dass wir das einzig wirklich Wahre auf der Welt – die Liebe – verloren haben?

Amen
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