Die Heilung der zehn Aussätzigen
„Lasst uns darüber nachdenken und es lernen zu danken.  Wenn wir es erst erlernen, jede auch noch so kleine Freude mit ganzem Herzen aufzunehmen, sie zum Anlass zu nehmen, Dank zu sagen und zu jubeln, dann wird unser Leben zur seiner wahren Schönheit erblühen, in dem die Freude wie Funken sprüht. Jeder von uns wird dann für den anderen zur Quelle von Freude und gibt ihm einen Grund zum Dank. Dann werden wir uns nicht weiter ständig beschweren wollen, dass uns alles zu wenig ist. Jedes Wort, jeder Blick, jede Bewegung, sei es von Gott oder von einem Menschen, wird uns dann zum Zeichen sein, dass wir alle eine große Familie sind. Und ich meine, eine größere Freude als diese gibt es nicht.“ – aus einer Predigt zur Heilung der zehn Aussätzigen von Metropolit Antonij von Sourozh
Статья

Am Schluss der heutigen Evangeliumslesung, die ganz dem Thema Dankbarkeit gewidmet ist, finden wir ein paar sehr kurze Worte Christi: Es sind doch zehn Aussätzige wieder gesund geworden, wo sind denn die restlichen neun? Wie konnten sie in sich keine warme Dankbarkeit empfinden, um so Gott die Ehre zu geben? Wie kann es sein, dass der Einzigste, der zu Christus zurückgekehrt war, um Gott zu preisen und Ihm zu danken, ein Fremder war, kein Hebräer?

Uns erscheint dies werkwürdig. Doch geschieht dies nicht auch so heute immer wieder in unserem persönlichen, gesellschaftlichen und auch kirchlichem Leben? Wie selten können wir Dank sagen. Um etwas bitten, Hilfe, Aufmersamkeit und  Zuwendung zu erwarten, ja das beherrschen wir. Uns beschweren, dass uns etwas nicht gegeben ist, obwohl  wir es doch gerne haben möchten, das können wir. Wenn Gott oder eine Mensch uns seine Aufmerksamkeit schenkt, dann scheint uns dies als etwas Selbstverständliches. Wenn Gott oder ein Mensch uns seine Güte erweist, dann freuen wir uns darüber, wir nehmen sie an, manchmal bewahren wir es eine Zeit lang, doch Dank zu sagen vergessen wir: Ist Gott etwa nicht dafür da, dass Er um uns sorgt? Existiert nicht genau dafür mein Nächster, dass er mich nicht vergisst? ... Nein, nicht dafür! Auch wir lassen ohne uns zu regen, viele Momente verstreichen, in denen unsere Seele aus Dankbarkeit voller Freude entflammen und glücklich sein könnte.

Es geschieht auch noch etwas anderes, eben das, wovon Christus spricht: Die eigenen Leute danken nicht, sie fassen alles wie selbstverständlich auf. Die Fremden danken voller Ehrfurcht und Rührung. In diesem Falle war es wahrscheinlich ein Samariter, einer, der nicht nur durch seinen Aussatz krank und von den Menschen verstoßen war, da diese Angst hatten sich von ihm anstecken zu können, sondern auch seiner Geburt nach jedem Hebräer  als fremd galt. Man hatte diesen Menschen nicht zu berühren, man wandte sich von ihm ab. Für ihn war die Tatsache, dass Christus sich seiner erbarmt hatte, nicht nur eine Wunderheilung, sondern auch ein Wunder von ganz anderer Art. Er hatte plötzlich begriffen, dass es für Gott keine Fremden gibt, dass, wenn sich die Leute auch von ihm abwenden und ihn nicht als einen der Ihren ansehen, er doch für Gott einer der Seinen war und es keinerlei Grenzen und Trennwände zwischen ihm und Gott gibt. Und so kehrte er zurück in seiner Freude und Dankbarkeit, weil er nicht nur geheilt worden war, sondern weil sich ihm in dieser Heilung wahre Liebe offenbart hatte. Gott hatte sich ihm offenbart.

Wie oft geschieht dies auch unter uns. Wie freut sich ein Mensch, der sich noch für fremd hält, der sich zu uns nicht dazugehörig fühlt, wenn er Zeichen der Aufmerksamkeit, von Wärme und Zuwendung erfährt! Er freut sich, dass ihm ein Augenblick wahren tiefen Gebetes wiederfahren ist, dass ihm ein Mensch zugelächelt hat, dass man ihm zur Kommunion gratuliert hat, dass man ihn wahrgenommen hat. All das ist für ihn wie ein Wunder. Die kleinste Güte, sei es nun menschlicher oder göttlicher Art, sind für ihn ein Wunder, bedeuten für ihn Freude und geben ihm Anlass, Dank zu sagen und dies manchmal auch voller Tränen, voller Ehrfurcht und Rührung. Dann jedoch wird der Mensch einer von uns. Er wird ein fester Teil unserer Gemeinde. Und wie traurig ist es dann mit ansehen zu müssen, wie der Mensch, anstelle sich über jede Kleinigkeit jedes Fünkchen Liebe, über jedes Gebet über jede Aufmerksamkeit ihm gegenüber zu freuen uns diese wie ein Wunder voller Jubel aufzunehmen, beginnt, alles für eine Selbstverständlichkeit zu halten und anfängt, Gott selbst und die Leute so zu betrachen, als ob diese ihm etwas schulden würden. Dank sagen – Nein! Alles ist ihm zu wenig. Das, was einst so wunderbar, selten und unerwartet war, ist nun für ihn etwas Gewöhnliches geworden, worauf er ein Recht hat und als sein Eigen betrachtet. Doch er will etwas neues, etwas anderes, immer noch etwas mehr. Und er entbrennt dabei an Geiz: geistigem und seelischem Geiz. Seine Dankbarkeit erstickt, so wie auch die Freude und die Rührung darüber, dass solche Wunder geschehen, dass man ihn wahrnimmt, dass Gott ihn wahrnimmt, dass sich plötzlich herausstellt, dass er weder für Gott noch für die Menschen  ein Fremder ist, sondern dazugehört.

Lasst uns darüber nachdenken. Es ist etwas Furchtbares, dem ich immer wieder begegne. Ein fremder Mensch freut sich über alles, einer von uns ist mit nichts zufrieden. Ist dies nicht schrecklich? Wie betrifft dies doch uns Menschen. Ja, man könnte sagen, wir haben nicht ausreichend geliebt, wie haben nicht ausreichend Aufmerksamkeit, Wärme, Fürsorge und Verständnis an den Tag gelegt und deshalb lösen wir bei niemandem das Gefühl von Dankbarkeit aus. Wenn wir aber von Gott sprechen, sind dann diese Erklärungen nicht mehr als fehl am Platze?

Lasst uns darüber nachdenken und es lernen zu danken.  Wenn wir es erst erlernen, jede auch noch so kleine Freude mit ganzem Herzen aufzumehmen, sie zum Anlass zu nehmen, Dank zu sagen und zu jubeln, dann wird unser Leben zur seiner wahren Schönheit erblühen, in dem die Freude wie Funken sprüht. Jeder von uns wird dann für den anderen zur Quelle von Freude und gibt ihm einen Grund zum Dank. Dann werden wir uns nicht weiter ständig beschweren wollen, dass uns alles zu wenig ist. Jedes Wort, jeder Blick, jede Bewegung, sei es von Gott oder von einem Menschen, wird uns dann zum Zeichen sein, dass wir alle eine große Familie sind. Und ich meine, eine größere Freude als diese gibt es nicht.

Amen

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