Sünde und Bioethik: Warum eine liturgische Anthropologie als Grundlage unverzichtbar ist
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Dieser Aufsatz wurde mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers übernommen aus: Der Schmale Pfad Bd. 20, Juni 2007, 79-109. Der Herausgeber hat auch ein Glossar verfasst: Begriffe, die bei ihrem ersten Erscheinen mit * versehen sind, werden am Ende des Beitrags erklärt.*

1. Einleitung: Jenseits des Guten, des Richtigen und des Tugendhaften

Das Bemühen um eine rein weltliche Moral* ist auf naive Weise töricht, wenn es durch vernünftige und stichhaltige Beweisführung einen kanonischen* Regelsatz von Normen begründen soll, der einer globalen Bioethik* ausreichende Orientierung zu bieten vermöchte. Die entscheidende Schwierigkeit liegt darin, dass es keine allen Menschen gemeinsame Moral* gibt, die einen kanonischen moralischen Inhalt für eine säkulare Bioethik sichern könnte. Damit wird nicht behauptet, es gäbe überhaupt keine Kanones für das moralische Handeln, die für alle Menschen bindend wären (d. h. es wird nicht behauptet, es gäbe keine Moral samt Bioethik, die für alle Menschen gelten sollten). Es wird lediglich festgelhalten, dass im Rahmen einer nur immanenten*, stichhaltigen, vernünftigen Beweisführung nicht begründet werden kann, worin diese Kanones bestehen. Eben dies lehrt ja auch die Erfahrung, die wir mit unversöhnlichen Gegensätzen in der öffentlichen Diskussion weiter Bereiche der Moral und besonders der Bioethik gegenwärtig machen: Diese Gegensätze verweisen auf tiefe kulturelle Spaltungen in unseren westlichen Gesellschaften. Selbst dort, wo rein weltlich argumentiert wird, bestehen Meinungsverschiedenheiten über die gerechte Verteilung knapper Ressourcen, über das reproduktive Klonen beim Menschen und die Angemessenheit der Todesstrafe, - um nur drei Bereiche auszuwählen. Damit soll nicht geleugnet werden, dass an bestimmten Orten und zu bestimmten Zeiten bestimmte Verständnisse von Moral öffentlich vertreten wurden und somit eine gewisse Vorherrschaft und kulturelle Hegemonie erlangten, die ihrerseits die Illusion einer allgemeinen, gleichsam natürlichen Übereinstimmung „aller Menschen" hervorriefen. Ein solcher Schein wird noch weiterhin dadurch befestigt, dass selbst in Zeiten unbezweifelbar unausrottbarer und grundsätzlicher Meinungsverschiedenheiten in der Öffentlichkeit der Eindruck allgemeiner Einigkeit über moralische Grund-Werte und -Normen durch die emphatische Proklamation eines allgemeinen „Konsensus" heraufbeschwört wird  (Bayertz 1994; ten Have und Sass 1988). Es sind heute besonders die Ethikkommissionen und -komitees, die dazu neigen, die Illusion eines solchen moralischer Konsenses zu bestärken.1 Ungeachtet der in ihrer gesellschaftlichen Umwelt existierenden kulturellen Differenzen bemüht sich ein jeder, der über die Ernennung von Mitglieder in Ethikkommissionen und -komitees zu entscheiden hat, deren Diskussionsergebnisse als „Expertise" darzustellen, d.h. diese Ergebnisse als das natürliche und unbestreitbare Resultat eines vernünftigen Diskurses vernünftiger Personen zu „verkaufen".

Zudem finden wir uns nicht nur heute mit ungelösten moralischen Kontroversen konfrontiert, sondern es sollte nach ziemlich zwei Jahrtausenden solcher Kontroversen eigentlich für alle deutlich geworden sein, dass moralische Meinungsverschiedenheiten durch begriffliche Analyse und stichhaltige vernünftige Beweisführung nicht auszurotten sind.2 Moral und Bioethik sind unrettbar plural. Überdies gibt es, wie selbst Kant zugestand, ohne einen letzt-gültigen Orientierungspunkt, das heißt, ohne einen Gott, der verlässlich belohnt und bestraft, keine zuverlässige Grundlage dafür, warum man in jeder Lage sich nach der moralischen Vernunft richten sollte, anstatt Klugheitserwägungen den Vorzug zu geben.3 Denken wir uns zum Beispiel einen Beamten des Gesundheitsministeriums, der ein von der Regierung aufgelegtes Gesundheitsprogramm zu beaufsichtigen hat und zwischen zwei Möglichkeiten der Implementierung entscheiden muss. Die erste Möglichkeit würde eine leichte Verringerung der bürokratischen Kontrollen mit sich bringen, dabei aber zugleich eine geringfügig bessere medizinische Versorgung der Bevölkerung gewährleisten. Die zweite Möglichkeit brächte eine geringfügige Zunahme  bürokratischer Kontrollen mit sich, für die es eigentlich keinen guten Grund gibt, die aber auch keine klare Gesetzwidrigkeit bedeuten würden, wobei allerdings die Ergebnisse für den erreichten Gesundheitsstand unverändert bliebe. Doch diese zweite Wahlmöglichkeit würde die Karriereaussichten des Beamten deutlich verbessern, ebenso wie die seiner Mitarbeiter, und damit auch den Lebensstil ihrer aller Familien. Die moralische Vernunft würde die erste Möglichkeit bevorzugen, während die zweite Möglichkeit aufgrund von Klugheitserwägungen attraktiver erschiene.

Die Schwierigkeit besteht darin, dass in einer von Gott getrennten und im Horizont der Immanenz  eingeschlossenen Lebenswelt alles letztlich aus dem Nichts zu kommen und nirgendwohin zu gehen scheint - und dabei überdies ohne einsehbaren Grund. Es gibt keine letztgültigen Maßstäbe dafür, wie man die Rangordnung von Grundwerten oder auch jener Voraussetzungen festlegt, nach denen sich das Richtige vom Falschen unterscheiden ließe. Außerdem gibt es keinen zwingenden Grund, der einen absolut gültigen Vorrang des als „richtig" Erkannten über das als „gut" Empfundene sichern könnte, oder einen Vorrang moralischer über Klugheitserwägungen (und das Eigeninteresse). Nicht nur, dass es oft keine sichtbaren, zuverlässigen Sanktionen gegen jene gibt, die unmoralisch handeln; man findet überdies in sich keine klare Orientierung darüber, warum die eigene moralische Sichtweise unbedingt vorzuziehen und die der anderen zu verwerfen sei. Somit erscheinen alle moralischen Behauptungen relativ gegenüber den je zugrundegelegten Perspektiven, Lebensgeschichten oder Rechtfertigungen. Was für einen selbst in sittlicher Hinsicht wahr ist, lässt sich nicht als für andere gleichermaßen wahr behaupten. Für Menschen, die sich isoliert voneinander im Horizont der Immanenz und des Endlichen befinden, gibt es keine unzweideutig gültigen Bezugspunkte. Moralische Entscheidungsträger bleiben grundsätzlich Orientierungslos.

Nun könnte der überzeugte ‚Säkularist' erwidern, dass er mit dieser Des-Orientierung und Pluralität möglicher Standpunkte nicht schlechter gestellt ist als der Gläubige. Auch dem Gläubigen begegnet eine Pluralität religiöser moralischer Maßstäbe und der Mangel an Konsens darüber, welcher religiöse Maßstab wahr ist. Doch der entscheidende Unterschied liegt darin, dass der Säkularist seine Aufgabe, die richtige Moral zu bestimmen, innerhalb des Horizonts des Endlichen und Immanenten lösen muss. Angesichts der zahlreichen, miteinander im Wettstreit liegenden moralischen Sichtweisen fehlen ihm stichhaltige vernünftige Argumente, die das zu Erweisende nicht bereits voraussetzen, im Kreis argumentieren oder in einen unendlichen Regress führen. Im Gegensatz dazu kann der traditionelle christliche Gläubige5 den empirisch begründeten Anspruch erheben, dass angesichts der Pluralität religiöser und philosophischer Perspektiven die seine in der Tat die einzig wahre ist, weil sie erfahren und als wahr erkannt werden kann. Das traditionelle Christentum erhebt mithin einen ähnlich unbedingten Anspruch wie die empirischen Wissenschaften, dass es nämlich eine Wahrheit gibt, die erfahren und entdeckt werden kann. Hat man nur erst seine spirituellen Fähigkeiten genügend entwickelt, wird man in der Tat dieser einzigartigen Wahrheit des Christentums begegnen. Zuverlässiges religiöses Wissen erfordert, ganz so wie dies für das im weltlichen Sinne empirische Wissen gilt, eine besondere Disziplin und ein bestimmtes Training (hier, die Askese). Hier wie dort ist das gültige und wahre Wissen nicht jedem von vorneherein zugänglich.

Angesichts der Schwierigkeiten, die der säkularen Moral und säkularen Bioethik anhaften, erkundet dieser Aufsatz, was es bedeutet, die traditionelle christliche Sicht auf den Ort des Menschen im Universum ernst zu nehmen. Er geht von der Behauptung aus, dass das Gute, das Richtige und das Tugendhafte im Kontext eines richtig geordneten Verständnisses des Heiligen angesiedelt werden müssen, um ihren endgültigen und angemessenen Inhalt zu finden, denn eine angemessene moralische Orientierung kann nur gewonnen werden im Zusammenhang mit einer recht ausgerichteten Erkenntnis der Beziehung des Geschöpfes zu seinem Schöpfer. Da der beispielhafte gemeinschaftliche Ort des Menschen zur Erlangung der Heiligkeit die Liturgie ist, bildet die Göttliche Eucharistische Liturgie den entscheidenden Orientierungspunkt für alle Menschen [Hervorh. Übers]. Folglich sollte die Moral im Allgemeinen und die Bioethik im Besonderen im Zusammenhang mit den Bedingungen zur würdigen Teilnahme an der eucharistischen Liturgie gesehen kann. Darum ist auch die Anthropologie, die einer angemessenen Sicht auf die menschliche Moral zugrundeliegt, liturgisch, denn der Mensch wurde geschaffen um seinen Schöpfer anzubeten. Oder, anders gesagt, der Inhalt der Moral samt Bioethik kann vollständig und richtig verstanden werden nur im Hinblick auf das, was erforderlich ist, um würdig eucharistisch in die Liturgie einzutreten. Von daher werden Moral ebenso wie Bioethik begreiflich durch ihre Beziehung auf jene rituelle Reinheit, die zu einer würdigen eucharistischen Teilnahme an der Liturgie erforderlich ist. Die Zentralität der rituellen Reinheit spiegelt den liturgischen Charakter eines richtig geordneten menschlichen Lebens wider, das auf Gott, den Schöpfer, ausgerichtet ist. Der Begriff „rituelle Reinheit" wird gewählt, um zu betonen, dass das Streben nach Heiligkeit und das Vermeiden von Sünde für eine würdige Annäherung an Gott von grundlegender Wichtigkeit sind.

 

II. Das Schlechte, das Falsche und das Sündige

Moral umfasst das Gute und Richtige, wobei das Gute gewisse Ziele einschließt (z. B. ein Überwiegen des Nützlichen über das Schädliche), und wobei das Richtige eine Konzentration auf Rechtfertigungs-Bedingungen verlangt, die dem Guten vorausgehen und nicht auf es reduzierbar sind. Moral umfasst weiterhin Fragen des Charakters, gefestigter Gewohnheiten und Neigungen, die Menschen moralisch auszeichnen sollen. In der Moderne ist es nicht mehr üblich, die Moral überdies an eine Wahrnehmung des Tatbestandes der  Sünde zu binden, und damit an die Wichtigkeit der Aufgabe, alles zu vermeiden was darauf hinauslaufen würde, sich auf falsche Weise Gott zu nähern. Die Moral im allgemeinen und die Bioethik im besonderen werden verstanden, als behielte Platos Sokrates im Euthyphron das letzte Wort: Gott muss das Gute, das Richtige und das Tugendhafte befürworten, nicht einfach deshalb, weil und insofern Gott dieses als Gutes, Richtiges oder Tugendhaftes will, sondern eher deshalb, weil das Gute, Richtige und Tugendhafte unabhängig und als solche bereits wertzuhalten und hochzuschätzen sind. Wenn Sokrates im Euthyphron recht hat, dann muss Gott so wollen, weil das von ihm Gewollte bereits unabhängig von Seinem Wollen gut, richtig und tugendhaft ist. Damit wird in der Tat der Gedanke an die Sünde moralisch überflüssig. Das gesamte Unternehmen einer Moral wird im Bereich lediglich immanenter Anliegen verortet. Eine adäquate Beschreibung des moralisch angemessenen Verhaltens kommt dann ohne Rücksicht auf die eigenen Pflichten gegenüber Gott aus. Moralische Anliegen werden als auf das Gute, Richtige und Tugendhafte reduzierbar betrachtet und vom Hinblick auf das Heilige getrennt.

All jene, die wissen, dass Gott existiert und dass Er der radikal transzendente und allmächtige Schöpfer ist, wissen auch, dass Beschreibungen des sittlichen Lebens, die nicht auf das Streben nach Heiligkeit und auf das Vermeiden von Sünde ausgerichtet sind, einseitig und unvollständig bleiben. Das Geschöpf und seine Anliegen lassen sich nicht sinnvoll begreifen, solange die Beziehung des Geschöpfes zum Schöpfer nicht berücksichtigt wird. Kurz gesagt, Moral lässt sich außerhalb ihrer zentralen Bezogenheit auf Sünde und Heiligkeit nicht auf stimmige Weise als sinnvoll verstehen. In der Theologie des Christentums der ersten tausend Jahre wird die grundlegende Macht und Zentralität Gottes anerkannt7, indem das Gute nicht einfach als von Gott bestätigt erscheint, weil es nun einmal an sich gut wäre, noch indem das Gute einfach deshalb gut ist, weil Gott es als solches bestätigt. Vielmehr lässt sich menschliches Verhalten moralisch nicht ohne tiefgreifende Verzerrung einschätzen, solange man den Schöpfer ausblendet. Genauso wie es unmöglich ist, die Bewegungen irgendwelcher Sterne zu kalkulieren ohne Bezug auf die Massen, um die herum sie sich bewegen, so ist es auch die Existenz Gottes, welche orientiert, Räume bereitstellt und allem Geschaffenen seinen Ort zuweist. Somit lautet die hier vertretene Behauptung: Das Gutsein des Guten, das Richtigsein des Richtigen und das Tugendhafte an der Tugend kann man nur einseitig und verzerrt verstehen, solange man sie als abgetrennt vom Schöpfer versteht. Oder anders ausgedrückt, man muss sich auf rechte Weise dem Schöpfer zuwenden, bevor man sich auf rechte Weise der Natur und anderen Menschen zuwenden kann. Das heißt, um auf richtige Weise zu handeln, muss man auf richtige Weise im Kosmos orientiert sein. Das Gute, des Richtige und Tugendhafte sind nur insofern begreiflich, als sie auf Gott abzielen. Jede Beschäftigung mit dem Geschöpf, die dieses nicht als Geschöpf erkennt und darum auch nicht all sein Handeln Hinblick auf die Natur und die Mitmenschen am Schöpfer ausrichtet, riskiert eine grundlegende Desorientierung anheimzufallen.

Diese moral-ontologische* Ausrichtung spiegelt sich wider in der Priorität des ersten der beiden großen Gebote: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deinen Gedanken (Mt 22,37), wie auch in Paulus' Warnung vor den verderblichen Folgen einer Anbetung der Geschöpfe statt des Schöpfers (Röm 1,25). Das Erste Gebot fordert, alle Energie zuerst und vor allem auf Gott auszurichten, weil dies für den Menschen als Geschöpf an und für sich notwendig ist, und weil im Rahmen dieser ersten und grundlegenden Orientierung jede andere Orientierung ihre angemessene Richtung erhält. Nur im Rahmen einer grundlegenden Orientierung des Geschöpfes auf den Schöpfer wird erkennbar, wie dieses Geschöpf auf richtige und nicht entstellte Weise seinen Nächsten wie sich selbst (Mt 22,38) lieben soll, nämlich mit einer Liebe, die eins ist mit der Liebe zu Gott, der seinerseits als Liebe erfahren wird (1 Jh 4,16). Folglich stellt nicht nur jede Gottesliebe ohne Nächstenliebe eine Lüge dar (1 Jh 3,16-18; 4,20-21), sondern ebenso bleibt auch jede Nächstenliebe ohne Gottesliebe in gewissem Maße fehlgeleitet (Röm 1,20).

Nehmen wir zum Beispiel die Bioethik der Betreuung Sterbender. Allgemein heißt es, Ärzte und Krankenschwestern seien verpflichtet zu versuchen, den Schmerz und die Qual sterbender Patienten zu lindern, dabei aber zugleich ihre Würde zu wahren. Die Vermeidung von Schmerz, Qual und Entwürdigung ist ein Gut, das ceteris paribus* verwirklicht werden soll. Christen jedoch wissen, dass das wahre Ziel nicht einfach darin besteht, den Patienten so schmerzlos und auf so würdige Weise wie möglich sterben zu lassen. In den Liturgien des Hl. Basileios und des Hl. Johannes Chrysostomos (wie auch in anderen Gottesdiensten) bitten wir um ein „christliches Ende unseres Lebens, schmerzlos und ohne Schande, und eine gute Verantwortung vor dem furchtbaren Richterstuhl Christi" („Fürbitten-Ektenie", Liturgikon 1989 S. 281, 299). Die zweite Hälfte dieser Fürbitte ist dabei wesentlich: Sie ordnet das Interesse an einem schmerzlosen, friedvollen Tod „ohne Schande" dem übergeordneten Interesse an „einer guten Verantwortung vor dem furchtbaren Richterstuhl Christi" unter. Christen stellen die immanente Sorge bezüglich Freiheit von Schmerz, Qual und Demütigung in einen Bezug zu der übergeordneten, Ewigkeits-bezogenen Sorge, Gott zu lieben und den Schmerz, die Qual und die Demütigung der Hölle zu vermeiden. Folglich muss eine christliche Bioethik der Betreuung Sterbender die übergeordnete Notwendigkeit betonen, dem Patienten zu helfen, sich zu bekehren, zu bereuen, Vergebung zu erlangen und an den Heiligen Gaben teilzuhaben.

Solche Bekehrung und Reue können zuweilen große Verzweiflung hervorrufen; zumindest bereiten sie die geistige Qual, anzuerkennen, dass man sein Leben als Ganzes oder zum Teil gründlich vergeudet hat. Es mag zuweilen nötig sein, die Verabreichung schmerzstillender Mittel einzuschränken oder sogar abzusetzen, um jene Trübung des Bewusstseins zu vermeiden, die eine Auseinandersetzung mit der eigenen Sündhaftigkeit erschweren könnte. Das Gut einer Bekehrung und Reue, um dadurch Vergebung zu erlangen und eucharistisch zu kommunizieren, überwiegt das Gut, lediglich zeitlichen Schmerz und momentanes Leiden zu vermeiden. Wo immer ein Patient, der noch keine Gelegenheit hatte zu bereuen, zu beichten und die Mysterien zu empfangen, im Sterben liegt und bereits bewusstlos ist, sollte man ihn - wenn dies nur irgend möglich ist und anderen nicht schadet - ins Bewusstsein zurückholen, damit er sich angemessen auf den Tod vorbereiten kann. Die christliche Bioethik der Betreuung Sterbender stellt das immanente Bemühen um eine Vermeidung von Schmerz, Qual und Demütigung in den übergeordneten Rahmen einer Orientierung auf Gott hin. Dabei wird das ganze System der Betreuung Sterbender neu strukturiert durch die Einbeziehung von Interessen, die den Horizont des Immanenten überschreiten. Da die christliche Bioethik (wie alle christliche Ethik) im Kern ein pastorales Anliegen verfolgt, zielt sie darauf ab, auch im Rahmen der Gesundheitsfürsorge Menschen zur Heiligkeit zu führen. Darum widmet sich die christliche Bioethik dem Ziel, Patienten in ihrem Fortschreiten bei der Erkenntnis darüber zu unterstützen,  wie sie sich in ihrer Krankheit, ihrem Gebrechen, ihrem Leiden und ihrem Weg zum Tod in Reue von ihren Sünden abwenden und sich Gott in rechter Anbetung und rechtem Glauben zuwenden müssen.

In dieser Orientierung auf einen die Immanenz übersteigenden Sinn entfaltet eine christliche Bioethik ihre Besonderheit. Das führt dazu, dass sie (1) bestimmte medizinische Eingriffe nicht befürwortet (und somit z. B. die künstliche Befruchtung durch Fremd-Spender, Abtreibung, Viagra für nicht mit einer Frau Verheiratete, ärztlich unterstützten Selbstmord und Euthanasie verbietet), (2) bestimmte Behandlungen aus Barmherzigkeit erlaubt (z. B. medizinische Eingriffe, die ursprünglich zur Gesundheits-Wahrung gedacht waren, toleriert, - allerdings nicht eine lediglich kosmetische Chirurgie, die nur aus Eitelkeit unternommen wird), wie auch (3) die Gewährung von Behandlungen an einen bestimmten Sinn bindet (z. B., soll die Behandlung im Namen und in der Liebe Christi geschehen). 8 Die wesentliche Eigenart einer christlichen Gesundheits-Fürsorge wird bestimmt durch das Bemühen um Heiligkeit, verstanden als derjenige Zustand eines Menschen, der es ihm erlaubt, in die Gegenwart Gottes einzutreten. Darüber hinaus wissen traditionelle Christen, dass die Bedingungen, unter denen sich die Annäherung an das Heilige vollzieht, den Anforderungen entsprechen, die für die Vorbereitung auf die Teilnahme an der Eucharistie in der Göttlichen Liturgie gelten. So entspringt mithin der Inhalt moralischer Grundsätze aus einer ganz bestimmten Beziehung eines Menschen zu einem ganz bestimmten Gott. Die eucharistische Teilnahme an der Liturgie erfordert, im Geist der Reue Heiligkeit anzustreben und sich von der Sünde durch Beichte und Absolution abzuwenden. Diese Teilnahme beinhaltet somit eine ausdrückliche moralische Orientierung. Da das Leben der Menschen als geschaffene Wesen auf ihren Schöpfer hin ausgerichtet sein muss, versteht man moralische Anforderungen nur dann richtig, wenn sie in Übereinstimmung mit den Erfordernissen zur vollen liturgischen Teilnahme stehen. Folglich kann Moral überhaupt zusammengefasst werden als das, was erforderlich ist zur würdigen eucharistischen Teilnahme, die den Kern der Göttlichen Liturgie darstellt. Indem die Anforderungen zur vollen eucharistischen Teilnahme das Gute, Richtige und Tugendhafte in Bezug zum Heiligen setzen, setzen sie diese moralischen Begriffe zugleich in den Rahmen der Erfordernisse, die für den Eintritt in die Gegenwart des Schöpfers gelten, der ein verzehrendes Feuer ist (Heb 12,29).

Da Gott der Mittelpunkt aller menschlichen Orientierung ist, bleiben das Gute, Richtige und Tugendhafte grundsätzlich unzugänglich, unvollständig und einseitig, solange sie abgetrennt bleiben vom Zusammenhang mit einem auf das Heilige hin ausgerichteten Verständnis menschlicher Existenz. Das Heilige bietet den letztendlichen Bezugspunkt. Diese Priorität des Heiligen ist eingefangen in der Selbstanklage des Königs David als Mörder und Ehebrecher: An Dir allein sündigte ich, und das Böse vor Dir tat ich (Ps 50,4 LXX). Oder anders gesagt, da Heiligkeit die grundlegenden Kategorie für Moral ist, und da Sünde bedeutet, das Ziel eines makellosen Strebens nach Heiligkeit zu verfehlen (gr. hamartia), bezeichnet „Sünde" jenes Verhalten, das - absichtlich oder unbeabsichtigt, wissentlich oder unwissentlich - eine Abwendung vom Heiligen zur Folge hat. Bereits Immanuel Kant erkannte, dass teleologische* Darstellungen der Moral [„Man soll das und das tun, weil es diese oder jene wünschbaren Resultate sichert"] ohne deontologische* Einschränkungen <"Man darf grundsätzlich nichts tun, was diesen oder jenen Verboten zuwiderhandelt"> an sich einseitig und unvollständig sind, so dass sie nicht einmal verdienen, als „moralisch" bezeichnet zu werden9. Ebenso sind auch alle Beschäftigungen mit dem Guten, dem Richtigen und dem Tugendhaften einseitig und irreführend, solange sie nicht in Bezug gestellt werden zum Streben nach dem Heiligen und der Vermeidung von Sünde. Wie der Hl. Johannes Chrysostomos in seinem Kommentar über das zweite Kapitel des Römerbriefes hervorhebt (siehe Homilie V über Römer), ist ein angemessenes Verständnis des Naturrechts oder des moralischen Natur-Gesetzes unmöglich ohne eine angemessene natürlich-theologische Beziehung zu Gott. Obwohl eine solche Beziehung außerhalb der christlichen Verherrlichung Gottes immer unvollständig bleiben wird, kann sie die Heiligkeit eines Melchisedek erreichen, der, obwohl weder Jude noch Christ, dennoch den wahren Gott anbetete. Dennoch, besonders nach der Fleischwerdung und Auferstehung Gottes, findet sich solche Gottesanbetung und Heiligkeit einzig in der eucharistischen Göttlichen Liturgie vollendet.10

Wenn mithin das moralisch Gute, Richtige und Tugendhafte im Hinblick auf das Heilige verstanden werden müssen und somit im Rahmen des Erfordernisses, das Geschöpf in rechter Weise auf Gott hin auszurichten, so lässt sich dieser Tatbestand wie folgt zusammenfassen:

1. Da alle endliche Wirklichkeit Schöpfung eines persönlichen Schöpfer-Gottes ist, läuft jeder Versuch, die Bedeutung der endlichen Realität ohne Bezug auf den Schöpfer zu erschließen, auf eine Entstellung hinaus.

 2. Da allein das Christentum vollständige Orientierung im Kosmos bietet, indem es die Geschichte des Universums von der Schöpfung und dem Sündenfall über die Fleischwerdung Christi und unsere Rettung bis zur letztendlichen Wiederherstellung der Welt enthüllt, laufen alle moralischen Theorien und sittlichen Handlungen, die nicht durch diese Geschichte geprägt sind, Gefahr, grundlegend sündhaft zu sein, das heißt, irregeführt und irreführend; sie verfehlen entscheidend ihr Ziel. (Z. B. wüsste man unabhängig vom Christentum nicht, dass die menschliche Natur eine gefallene ist, so dass und viele der Neigungen, die gegenwärtig den Zustand des Menschseins definieren, in Wirklichkeit unnatürlich und verdorben sind).

3. Da der Schöpfer, auf den sich alle Geschöpfe hin orientieren müssen, eine Person ist (d. h. der Vater, der den Sohn zeugt und vom dem der Heilige Geist ausgeht) muss auch der richtige Bezug, die richtige Beziehung und Ausrichtung des Geschöpfes zum Schöpfer hin eine persönliche sein.

4. Da der Schöpfer, auf den sich alle Geschöpfe hin ausrichten sollen, ehrfurchtgebietend und der Anbetung würdig ist, besteht die grundlegende Beziehung des Geschöpfes auf den Schöpfer in der Verherrlichung.

5. Da die Menschen soziale Wesen sind, die sich einstmals durch den Sündenfall vereinigt fanden und die nun auch durch ihre Erlösung vereinigt werden können, vollzieht sich die grundlegende gemeinsame Verherrlichung in der Göttlichen Liturgie, dem Werk von Menschen, die in ihrer Hinwendung zu Gott durch Gottes Gnade jenes menschliche Ritual erlangen, das zur liturgischen Epiphanie Gottes und zur Kommunion mit Seiner Gegenwart in der Eucharistie führt.

6. Da die angemessene Teilnahme an der Liturgie voraussetzt, dass man sich in Reue von sich selbst abwendet (z. B. durch die Beichte) und an erster und vorderster Stelle seine Ziele auf Gott hin ausrichtet (z. B. durch den asketischen Kampf des Gebets, des Fastens und der Mildtätigkeit), und da die Liturgie durch Gottes Hilfe die gemeinsame moralische Errungenschaft der an ihr beteiligten Menschen darstellt, muss alle Moral auf die Bedingungen hin verstanden werden, unter denen man wahrhaft in die Liturgie eintreten und an der Kommunion teilnehmen kann, um somit auf vollkommene Weise an Christi Erlösungstat teilzuhaben, welche ihrerseits die primäre menschliche Tathandlung: den Sündenfall.

7. Folglich kann das Gute, Richtige und Tugendhafte vollständig nur im Hinblick auf das verstanden werden, was erforderlich ist, um auf richtige Weise in die Fülle der eucharistischen Göttlichen Liturgie einzutreten: Es ist der würdige Eintritt in die Göttliche Liturgie, die die wahre und vollständige Bedeutung von Moral und Bioethik erschließt.

Darum muss auch eine angemessene Beschreibung der menschlichen Natur, oder eine gelungene philosophische Anthropologie, selbst Liturgie-bezogen sein. Sie muss der Tatsache Rechnung tragen, dass Menschen allein im Rahmen einer angemessenen Gottesanbetung ihr Handeln einrichten und ihr Leben ausrichten können, und damit im Rahmen einer Gottesverherrlichung, die in der Eucharistischen Göttlichen Liturgie gipfelt, -- in jenem wahrhaften Ritual, durch das sich die Einswerdung Gottes mit dem Menschen und des Menschen mit Gott vollzieht.

 

III. Das Ritual als Orientierung bei der Festlegung von Bedeutungen

Der Mensch ist ein Gottesdienst-haltendes Geschöpf: Er ist homo ritualis. Der Mensch ist ein geborener Symbol-Anwender. Nicht nur die Sprache ist reich an Symbolen, sondern auch das menschliche Verhalten. Der symbolische Charakter menschlichen Verhaltens stellt alles menschliche Handeln in ein Netzwerk stilisierter Verhaltensweisen, die vielfach in Verhaltensregeln und zeremoniellen Gepflogenheiten zum Ausdruck kommen. Auf diese Weise werden Vorstellungen, Ideen und Formen des Empfindens stilisiertem Verhalten eingeprägt, sie werden zu seinem Bestandteil. Die Eigenart dieses Verhaltens verweist somit auf komplizierte Bedeutungsgefüge, die selbst wiederum der Kultur und dem moralischen Leben einen Rahmen verleihen und sie darin festhalten. Begriffe allein sind selten genug. Da Menschen sich in vielfältiger Weise auf die Tiefenstrukturen ihrer Wirklichkeit beziehen und sich über das Wesen angemessenen Handelns wie über die Eigenart gedeihlicher sozialer Beziehungen Gedanken machen, lässt sich zumeist mit bloßen Begriffen nicht erschöpfend darstellen, was bei moralischen und sozialen Entscheidungen auf dem Spiel steht. Rituale verbinden Bewegungen, Umstände, Worte und oft auch Kostüme, um somit Handlungen eine dichte Botschaft einzuschreiben, die Bilder, Ideen und Gefühle vermitteln. Ritualisiertes Verhalten erlaubt es, das Problem einer präzisen Vermittlung, Bewahrung und Förderung verdichteter Gewebe metaphysischer, moralischer und sozialer Anliegen zu lösen. Rituelle Handlungen orientieren ihre Teilnehmer hinsichtlich der Bedeutung von Tatsachen, der Natur von Werten und der Eigenart sozialer Strukturen. Rituale enthüllen die Wirklichkeiten, schaffen Wirklichkeiten und laden Personen in eine bestimmte Lebenswelt ein, die durch jene Rituale zumindest zum Teil strukturiert und aufrechterhalten wird.

Da Menschen endliche und leibhaftige Wesen sind, verkapseln sie im Bemühen um Sinnorientierung ihre Wahrnehmung der Tiefenstruktur des Universums ebenso wie ihre Festlegung auf bestimmte Weisen der Realitätserkenntnis, ihre Billigung bestimmter Wertordnungen und moralischer Forderungen und ihre Annahmen über die angemessene Art, sich zur Natur, zu anderen Menschen, Dämonen, Engeln und zu Gott in Beziehung zu setzen, in reichhaltige, stilisierte Aktivitäten. Rituale wirken expressiv, beschwörend, erzieherisch, performativ und verwandelnd. In erster Linie bringen Rituale eine Sicht der Realität, gewisser Werte und sozialer Beziehungen zum Ausdruck oder verkünden sie: Sie stellen ein als selbstverständlich zugrundegelegtes Gefüge metaphysischer, axiologischer* und sozialer Strukturen dar. In zweiter Linie beschwören Rituale bestimmte Einstellungen, Haltungen und Verhaltensweisen herauf: Sie laden ihre Teilnehmer dazu ein, im Sinne bestimmter metaphysischer, axiologischer und sozialer Bedeutungsgefüge zu handeln und zu fühlen. Drittens wirken Rituale erzieherisch: Sie belehren ihre Teilnehmer über wichtige Werte und die Strukturen ihrer selbst. Viertens wirken Rituale sozial performativ: Sie bringen eine eigene soziale Realität hervor, die ihrerseits eine bestimmte Weltsicht voraussetzt, eine besondere Rangordnung wichtiger Werte und rechtfertigender Umstände und eine bestimmte umfassende Struktur sozialer Beziehungen. Fünftens wirken bestimmte Rituale in einem überdies metaphysischen Sinne verwandelnd: Sie schaffen nicht einfach eine soziale Realität, sondern transformieren die Tiefenstruktur dieser Realität, so dass ein besonderes Gerüst von Werten und sozialen Interaktionen dadurch Geltung erhält. Kurz zusammengefasst, Rituale orientieren ihre Teilnehmer, beziehen ihre Teilnehmer ein, gestalten die soziale Realität ihrer Teilnehmer, und in manchen Fällen verwandeln sie auch den Charakter dieser umgebenden Realität selbst.

Rituale stellen komplexe Inkarnationen von Bedeutungen dar, die ein reichhaltiges Symbolgefüge sichtbar machen und zur Teilhabe bereitstellen. In verdichteter und zentrierter Weise fassen Rituale die Begegnung mit metaphysischen, epistemologischen*, axiologischen und soziologischen Themen zusammen und verleihen diesen Themen Ausdruck. Die Wichtigkeit von Ritualen lässt sich an der indogermanischen Etymologie des Wortes „Ritus" ablesen, in der das „Rituelle" mit dem, was zu tun „recht" ist, mit dem gesetzlich Rechtmäßigen, und dem was „zur rechten Hand" liegt verknüpft, und damit mit dem Angemessenen, dem nicht „Linkischen". Das ritualistische Wesen der menschlichen Ausrichtung auf Gott hin und durch Gott auf alles Existierende hin erkennen bedeutet zugleich die wesensmäßige wechselseitige Durchdringung von Leib, Seele und Geist zu unterstreichen. So besitzt zum Beispiel der rettende Akt der Taufe im dreimaligen Untertauchen des Katechumenen (d. h. durch das völlige Ertränken des alten Menschen, wodurch der neue Christ nunmehr Christus selbst „anzulegen" vermag11) einen grundlegend ritualistischen Charakter. Ebenso befestigt die rituelle Myronsalbung den neuen Christen darin, in Christus (dem Gesalbten) zu leben. Die eucharistische Kommunion lässt Christus Selbst in den christlichen Teilnehmer eingehen. Die Mysterien der Kirche - jene Weisen, in denen die Kirche die Welt vom Fürsten dieses Äons (Jh 12,31; 14,30; 16,11) zurückfordert - beruhen auf einem komplexen Wechselspiel von Gebeten und körperlichen Bewegungen, die nicht nur ein Netzwerk an Bedeutungen und Unterweisungen in sich tragen, sondern auch die transformierende Kraft Gottes mit einbeziehen. Von den Gebeten über einer Frau, die soeben geboren hat, über die Namensgebung des Kindes am achten Tag, den Eintritt der Mutter in die Kirche am vierzigsten Tag, die Taufe/Myronsalbung/Kommunion des neuen Christen und die Krankensalbung bis hin zur christlichen Bestattung und dem jährlichen Totengedenken wird alles durch rituelle Handlungen als in Beziehung-Setzung von Körper, Seele und Geist in die Heiligung des Geschöpfes durch den Schöpfer eingebunden.12

Aufgrund ihrer komplexen symbolischen und verwandelnden Wirkungsweise enthüllen und bereiten Rituale moralische und ontologische Lebensräume. Die Erfordernisse ritueller Reinheit stellen somit die Summe jener moral-ontolgischen Bedingungen dar, die gefordert sind, um ein Ritual erfolgreich durchzuführen, oder, mit anderen Worten, das Ziel des Rituals zu erreichen: zum Beispiel eine würdige Teilnahme (an der Göttlichen Liturgie). Ein wesentlicher Bestandteil ritueller Reinheit ist hierbei die unerlässliche gültige Taufe und eine reuevolle asketische Vorbereitung. So kann man auch das Ritual der Wiedereinführung einer Frau [die ein Kind geboren hat] in die Kirche als heilende Antwort auf die Versuchungen sehen, die durch die Schmerzen der Geburt verursacht wurden.13 Die Taufe, Myronsalbung und Beichte sichern eine wirksame rituelle Reinigung, die erforderlich ist, damit die eucharistische Teilnahme an der Liturgie zur Rettung, nicht zur Verdammnis wird (1 Kor 11,23-34). In diesem Licht kann das Richtige, Gute und Tugendhafte, wenn es auf das Heilige bezogen wird, zusammengefasst werden als was den Erfordernissen ritueller Reinheit genügt. Diese Erfordernisse verleihen ihrerseits der Moral und Bioethik ihren angemessenen Inhalt durch den somit hergestellten Bezug auf Heiligkeit und Sünde.

Das grundlegende menschliche Ritual, die Göttliche Liturgie, dient nicht nur dazu, ihren Teilnehmern Orientierung über den Sinn des Universums zu verschaffen, sondern vereinigt diese Teilnehmer auch mit dem Garanten jenes Sinns. Jene Teilnehmer werden dabei durch diesen Sinn-Träger verwandelt. Wie Christen wissen, ist der Sinn des Universums ein Wer, nicht ein Was. Eben darum ist in der Tat das grundlegende Ritual die Kommunion in der Eucharistischen Göttlichen Liturgie: hier nämlich wird der Teilnehmer mit Gott, seinem Schöpfer, Selbst vereinigt. Wie Christus selbst andeutete: Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Wer von diesem Brot isst, wird in Ewigkeit leben... Wer Mein Fleisch isst und Mein Blut trinkt, der hat das ewige Leben, und ich werde ihn am jüngsten Tage auferwecken. Denn Mein Fleisch ist wirklich eine Speise, und Mein Blut ist wirklich ein Trank. (Jh 6,51 u. 54-55). Eine Anthropologie, die das eucharistische liturgische Ritual nicht ins Zentrum stellt, ist darum radikal unvollständig: immerhin sind die Inkarnation Gottes in Christus und die Verwandlung des Menschen durch sie darum sogar noch bedeutender für sein Dasein als selbst seine Schöpfung, weil durch jene beiden Geschehnisse [die Inkarnation und Verwandlung des Menschen] der Mensch mit Gott vereint wird. Die christliche Göttliche Liturgie ist somit das zentrale menschliche Unterfangen, denn indem man hierbei mit Gott zusammenwirkt, wird Gott an einem selbst aufgrund der Fülle Seiner Annahme unseres Fleisches zur Erlangung unserer Theosis (Vergöttlichung) wirksam.

Folglich bilden weder die Familie noch der Staat, sondern stattdessen die eucharistische liturgische Versammlung die primäre soziale Einheit des Menschen: die Kirche. Wie der Hl. Ignatios von Antiochia betont, stellt die Versammlung der Rechtgläubigen unter dem Vorsitz eines rechtgläubigen Bischofs die Katholische Kirche dar.14 „Dies sei eine gültige Eucharistie, die vom Bischof oder dem von ihm Ernannten zelebriert wird. Wo immer der Bischof erscheint, ist die Gemeinde anwesend, ebenso wie, wo immer Jesus Christus ist, sich die Katholische Kirche [katholike ekklesia]" befindet („Ignatios an die Kirche zu Smyrna, VIII.1" in Lake, 1965, Bd. 1, S. 261). Die Kirche ist der Leib Christi im Heiligen Geist (Röm 12,5; 1 Kor 6,15; 1 Kor 12,27)[1], und Christus Selbst ist anwesend in der Eucharistie, die den Kern der Liturgie bildet. In der Liturgie, dem Ort an dem sich Himmel und Erde berühren, wird das Reich Gott offenbart. Diese Epiphanie des Göttlichen findet sich mit großer Überzeugungskraft ausgedrückt im Bericht der Gesandten des Hl. Vladimir, des Großfürsten von Kiew (im Jahr 987 A.D.) über ihre Erfahrung während der Göttlichen Liturgie in der Hagia Sofia in Neu-Rom (Konstantinopel).

„... Wir wussten nicht, ob wir uns im Himmel oder auf der Erde befänden. Denn auf der Erde gibt es keinen solchen Glanz oder solche Schönheit, und wir sind unfähig, sie zu beschreiben. Wir wissen nur, dass Gott dort unter den Menschen weilt und dass ihre Gottesdienste vortrefflicher sind als alle Zeremonien der anderen Völker, denn wir können jene Schönheit nicht vergessen" (Zenkovskij 1963, S. 67-68).

Diese von den Gesandten des Hl. Vladimir beschriebene irdische Liturgie offenbart die erstaunliche Ähnlichkeit, die zwischen der himmlischen Liturgie besteht, wie sie vom Hl. Johannes dem Theologen in der Offenbarung aufgezeichnet wurde, und den ausgefeilten feierlichen Bischofsliturgien, die in Kontinuität mit der Kirche des ersten Jahrtausends bis heute gefeiert werden.16 Beide Liturgien haben sich durch eine rituelle Dichte an Gebeten, Verbeugungen, Weihrauch und sorgsam festgelegten Zeremonien gekennzeichnet.

Die Liturgie bezieht Leib und Seele ein, sie richtet alle Sinne auf das Göttliche aus. Eschatologisch* versetzt sie den Betenden in die Stadt Gottes, das Reich des Himmels.17 Zugleich hat das Reich Gottes, das in der Kirche offenbart wird, die Kraft, Leib und Seele zu heilen. In der Tat, wie traditionelle Christen wissen, „die Kirche hat die Kraft, das ganze Leben zu heiligen und zu reinigen, sowohl die Materie als auch den Geist, und wo immer und wann immer sie durch die sakramentalen Handlungen ihrer Mitglieder wirkt, empfängt die Materie die Gnade des Heiligen Geistes und wird zum Instrument Seines lebenspendenden und rettenden Einflusses" (Zernov 1961, S. 256). Diese Kraft drückt sich unmittelbar in der Kirche aus, und ebenso durch ihre Heiligen. Diese Kraft manifestiert sich seit der Zeit der Apostel, als sogar die bloße Gegenwart (z. B. des Schattens) des Hl. Apostels Petrus Krankheiten heilte (Apg 5,15), und als Gegenstände, die der Hl. Paulus berührte, Wunder wirkten (Apg 19,11-12). Wie es der Ökumenische Patriarch Bartholomäus I. ausdrückt: „Die Verwandlung des menschlichen Wesens, Vergöttlichung durch Gnade, ist eine Tatsache, die allen orthodoxen Gläubigen vertraut ist. Diese Gnade erhält man nicht nur durch die verwandelten Reliquien der Heiligen, die völlig unbegreiflich ist, solange man nicht das Göttliche annimmt. Diese Gnade geht auch von den lebenden Heiligen aus, die wahrhaft die Ähnlichkeit Gottes erlangt haben (Lk 8,46)" (Patriarch Bartholomäus, 1997). Es geht um einen empirisch erfahrbaren Zustand der Dinge, eine gegenwärtige Realität, nicht um einen bloß begrifflich erschlossenen Zustand, oder um die Konsequenz eines philosophischen Arguments. Zweifellos werden jene, die in einer entheiligten Welt unter dem Einfluss der Aufklärung leben, diese Kraft der Gnade und des Rituals als bloße Magie abtun. Demgegenüber haben Christen stets gewusst, dass alle scheinbaren Wunder entweder Sinnestäuschungen oder diabolisch sind, - oder aber Gottes Kraft selbst offenbaren. Das Zeugnis der ungeteilten Kirche Christi ist tatsächlich die Gegenwart des wundersamen Wirkens Gottes, Der ein Bollwerk gegen die endlichen Mächte des Bösen aufstellt und die Quelle aller wahren Heilungen wie auch aller dauerhaften Gesundheit darstellt.

In diesem Licht besehen gewährt das recht ausgerichtete religiöse Ritual nicht einfach eine äußere symbolische Form, sondern eine Begegnung mit den verwandelnden Energien Gottes. Das recht ausgerichtete religiöse Ritual bricht durch den Horizont der Immanenz und verwandelt so die endlichen Teilnehmer wie auch die Welt selbst. Indem das Ritual seine Teilnehmer mit dem Heiligen verbindet, mit den ungeschaffenen Energien Gottes, verwandelt es die Wirklichkeit selbst.  Ein recht ausgerichtetes Ritual hat die Kraft, nicht nur (1) durch seinen symbolischen Reichtum innere Einstellungen zu verwandeln, wie auch (2) die Beziehungen zu anderen endlichen Personen und/oder zur Natur in das wahre Sinn-Gefüge einzuordnen, um somit (3) endliche Teilnehmer für  ihre Verwandlung durch das Göttliche zu öffnen, indem es als eine Tür zu Gott fungiert18 und daher (4) den ontologischen und politischen Ort der Teilnehmer verlagert, - sondern ein solches Ritual verwandelt (5) die Materie selbst und heiligt sie.19 Heiligkeit wirkt nicht nur durch den Geist verwandelnd, sondern auch durch die Materie, und bringt Reliquien, wundertätige Ikonen und wundersame Heilungen hervor. Ebenso zeitigt auch die Sünde (sowohl jene Adams als auch die Sünden seiner Kinder) weitreichende zerstörerische Folgen, einschließlich Krankheiten und Gebrechen. Darum muss in der Bioethik die Diagnose des Vorhandenseins von Sünde im Mittelpunkt stehen, so dass von daher eine Ermutigung zur Reue und Hilfe bei der von ganzem Herzen vorgenommenen Abkehr von der Sünde gewonnen werden kann.

 

IV. Sünde, Ritual und Bioethik   

Die Unbestimmtheit, begrenzte Autorität und Defizienz der säkularen Moral samt ihrer Bioethik lässt sich an ihren endlosen Disputen, an der Relativität ihrer moralischen Forderungen gegenüber den drängenden Ansprüchen der Lebensklugheit (z. B. bei der Wahl zwischen einem unmoralischen Handeln, das zugleich klare und bedeutende Vorteile für all jene sichert, für die man Sorge zu tragen hat, und einem moralisch korrekten Handeln, das zugleich all unseren Lieben und Schutzbefohlenen klare und bedeutsame Nachteile bringt), und an ihrer Inhaltsarmut ablesen. Diese Schwierigkeiten lassen sich nur vermeiden, wenn man die Moral in der Beziehung des Geschöpfes zum Schöpfer verankert, Der den Einklang zwischen dem Guten und dem Richtigen, die Priorität der Forderungen der Moral über jene der Lebensklugheit und einen bestimmten Inhalt der Moral absichert. Die Forderungen einer wohlgeordneten Beziehung zwischen dem Geschöpf und seinem Schöpfer fügen die innere Kohärenz, den Inhalt und die Priorität der Moral in die liturgische Aufgabe ein, sich Gott würdig zu nähern. Wird rituelle Reinheit im Hinblick auf die Anforderungen zum würdigen Eintritt in die Eucharistie der Liturgie verstanden, dann verknüpften diese Anforderungen die ganze Moral und Bioethik mit dem Streben nach Heiligkeit und dem Vermeiden von Sünde. Im Zentrum der Moral im allgemeinen und der Bioethik im besonderen steht die liturgische Natur des Menschen als eines Wesens, das seinen Schöpfer verherrlichen soll, und diese Anthropologie begründet die Anforderungen ritueller Reinheit, welche ihrerseits den Inhalt der Moral angeben.

Zusammengefasst, der Inhalt der Moral im allgemeinen und der Bioethik im Besondern kann angemessen nur im Hinblick auf das Streben nach dem Heiligen und das Vermeiden von Sünde bestimmt werden.

1. Solange eine angemessene Beziehung zum Schöpfer-Gott nicht gesichert ist, bleibt die Moral samt ihrer Bioethik plural.

2. Solange eine angemessene Beziehung zum Schöpfer-Gott nicht gesichert ist, bleiben die Erfordernisse des Guten und des Richtigen zumeist in unauflösbarer Spannung.

3. Solange eine angemessene Beziehung zum Schöpfer-Gott nicht gesichert ist,  Dem Ursprung alles Guten, Richtigen und Tugendhaften und Garanten der letztendlichen Rechtfertigung für jedes Interesse am Guten, Richtigen und Tugendhaften wie auch der eigentlichen Motivation zum moralischen Handeln, können dringliche Erfordernisse der Lebensklugheit die Forderungen der Moral in den Hintergrund drängen.

4. Solange eine angemessene Beziehung zum Schöpfer-Gott im Streben nach Heiligkeit und dem Vermeiden von Sünde nicht gesichert ist, kann man den wahren Inhalt der Moral nicht erkennen (d. h. außerhalb der Erfahrung der Gnade, der ungeschaffenen Energien Gottes, bleibt es häufig unklar, dass z. B. Abtreibung in jedem Fall auf Mord hinausläuft, dass alle sexuellen Beziehungen außerhalb der Ehe zwischen Mann und Frau moralisch verboten sind und dass jeder ärztlich unterstützte Selbstmord zutiefst falsch ist20).

5. Da eine angemessene Beziehung der Menschen zu Gott die notwendige Voraussetzung für die Gewinnung eines recht geordneten moralischen Wissens ist, und da eine solche Beziehung zu Gott in ihrer Fülle nur in der würdigen eucharistischen Teilnahme an der Göttlichen Liturgie erlangt wird, legen die Anforderungen für die rituelle Reinheit zur würdigen eucharistischen Teilnahme die Bedingungen fest, unter denen sich der volle und korrekte Inhalt der Moral und der Bioethik erkennen lässt (wobei diese Anforderungen letztlich um das Vermeiden von Sünde und Streben nach Heiligkeit kreisen). Der Hinblick auf jene Anforderungen dient somit als Augenöffner für eine angemessene Erkenntnislehre der Moral. Dies ist der Fall, weil die rechte Gottesanbetung den Teilnehmer nicht nur durch ihre pädagogische Kraft und ihren Inhalt verwandelt (d. h. dadurch, dass sie den Teilnehmer im Kosmos orientiert) und ihn zur Askese anleitet (d. h. dadurch, dass sie die Leidenschaften diszipliniert, so dass die Konzentration auf die Liebe zu Gott und zum Nächsten nicht beeinträchtigt wird, mit der Folge, dass das Gewissen den vollständigen und korrekten Inhalt der Moral und der Bioethik aufzuweisen vermag), sondern auch - und dies ist am wichtigsten - dadurch, dass sie den Teilnehmern die Möglichkeit einer Erfahrung Gottes und Seines Willens eröffnet (Selig, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen, Mt 5,8).21

6. Da die würdige eucharistische Teilnahme an der Göttlichen Liturgie Vorbereitungen erfordert, die richtige Absichten und richtiges Handeln umfassen, stellen die Erfordernisse ritueller Reinheit nicht nur die Summe der Bedingungen zur Erlangung vollständiger und korrekter Erkenntnis über den Inhalt von Moral und Bioethik dar, sondern in ihnen offenbart sich ebenso die Summe dieses vollständigen und korrekten Inhalts selbst. Die Erfüllung so verstandener Erfordernisse von Moral und Bioethik in der Vermeidung von Sünde und dem Streben nach Heiligkeit gestattet mithin zugleich einen würdigen Empfang der eucharistischen Einheit mit Gott in der göttlichen Anbetung.

7. Da die rechte Gottesanbetung somit einerseits ein Erfordernis für die rechte Kenntnis des angemessenen, mithin des moralischen Handelns darstellt, und da andererseits die rechten Absichten und Taten (d. h. wiederum das moralische Leben) Bedingungen darstellen für die volle Teilnahme an der rechten Gottesanbetung, mag es scheinen, als liege hier ein hoffnungsloser Zirkel von wechselseitig abhängigen Bedingungen vor. Die verwirklichte Moral scheint ja ihrerseits eine Voraussetzung für gültiges Wissen über Moral zu bilden. Doch dieser Zirkel wird durchbrochen durch Reue und Gnade. Indem man sich reuevoll Gott zuwendet und von der Sünde abwendet, kommt man durch die Energien Gottes in die Lage, auf noch würdigere Weise in die rechte Gottesanbetung einzutreten, so dass man in der rechten Gottesanbetung durch Gnade ein wiederum vollständigeres Wissen über die Grundlage für noch vollständigere Reue im Erlangen von Heiligkeit und die Vermeidung von Sünde gewinnt.

Aus alledem wird klar, warum das Unternehmen einer säkularen Moral und Bioethik nicht nur radikal einseitig und unvollständig bleiben muss, sondern dass sich ihre Vervollständigung und Fülle nur aus einer auf rechte Weise aufgefassten liturgischen Anthropologie ergibt. Eine angemessene Anthropologie erkennt die Menschen als Geschöpfe an, die auf rechte Weise ihren Schöpfer anbeten sollen. Diese Wahrheit liegt jener rituellen Reinheit zugrunde, die die Moral samt Bioethik als Bedingungen dafür erkennen lässt, dass man sich auf angemessene Weise zur Heiligkeit hinwendet und von der Sünde abwendet.

Darum muss auch die Bioethik liturgisch verstanden werden. Jeder Versuch, die Moral, das moralische Leben und die Bioethik abgetrennt von der grundlegenden Verpflichtung der Menschen, ihren Schöpfer auf rechte Weise anzubeten, zu verstehen, entstellt und verdirbt die behauptete Moral und das gelebte moralische Leben. Insbesondere muss das moralische Leben betrachtet werden in bezug auf die Möglichkeit, würdig in die eucharistische Kommunion innerhalb der Göttlichen Liturgie einzutreten, so dass die Menschen als Geschöpfe erfolgreich in die Einheit mit ihrem Schöpfer gelangen können. Das moralische Leben samt Bioethik muss verstanden werden in bezug auf die Erfordernisse der rituellen Reinheit.  

 

Literatur:

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Johannes von Damaskus, An exact Exposition of the Orthodox Faith, Book III, chap. xxix, im Internet auf Englisch verfügbar unter http://www.orthodox.net/fathers/index.html (übernommen 4. April 2007).  

Kant, Immanuel (1781/7) Critik der reinen Vernunft. Hartknoch, Riga

Lake, Kirsopp (trans.) (1965) Apostolic Fathers. Harvard University, Cambridge, MA, 2 vols.

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Neusner, Jacob (1988) Ideas of History, Ethics, Ontology, and Religion in Formative Judaism. University Press of America, New York.

Palmer, G.E.H., Sherrard, Philip, and Ware, Kallistos (trans. and eds.) (1988) "Glossary" in Sts. Nikodimos and Makarios. The Philokalia. Faber and Faber, Boston.

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Schaff, Philip and Wace, Henry (eds.) (1994) Nicene and Post-Nicene Fathers, Second Series. Hendrickson Publishers, Peabody, MA.

Symeon the New Theologian, St. (1995) On the Mystical Life, trans. Alexander Golitzin. St. Vladimir's Seminary Press, Crestwood, NY.

ten Have, Henk A. M. J. and Sass, Hans-Martin (eds.) (1998) Consensus Formation in Healthcare Ethics. Kluwer, Dordrecht.

Vitoria, Francisco de (1991) Political Writings, eds. Anthony Pagden and Jeremy Lawrance. Cambridge University Press, New York.

Zenkovsky, Serge A. (ed. and trans.) (1963) "Stories from the Primary Chronicle § 11 [The Tale of Bygone Years]," Medieval Russia's Epics, Chronicles, and Tales. Meridian, New York.

Zernov, Nicholas (1961) Eastern Christendom. G. P. Putnam's Sons, New York.

 

Glossar:

axiologisch:

(von gr. axios „würdig") würdigend, wertend, Wertgefüge und -hierarchien erzeugend

Bioethik:
"Der Begriff ‘Bioethik' wurde 1970 zum ersten Mal verwendet. In der jetzigen Form datiert er von 1971. [...] Bioethik wurde ins Leben gerufen, um zwei miteinander verwandte Ziele zu erreichen: ein theoretisches und ein praktisches. Das erste Ziel bestand darin, eine theoretische Aufstellung richtigen moralischen Verhaltens für Ärzte, Krankenschwestern und biomedizinische Wissenschaftler zu liefern. Ihr zweites Ziel bestand darin, ein Genre säkularer Priester zu schaffen - Menschen, die in Krankenhäusern, medizinischen Schulen und Forschungszentren beraten könnten. Es gab ein theoretisches Element mit dem Ziel, eine Aufstellung dessen zu erarbeiten, wie man handeln sollte. Und dann gab es das Projekt, Menschen zu trainieren, die im Licht dieses intellektuellen oder ideologischen Standpunkts Ratschläge geben konnten. [...] Als Folge ist nun, zumindest in den Vereinigten Staaten, in jedem Krankenhaus ein Bioethiker, der Rat erteilen kann." (Prof. H. Tristram Engelhardt in einem Interview in der Zeitschrift Pemptousia, Nr. 20, 2006 April-Juni (gr.), Hg. Kloster Vatopaidi, Hl. Berg Athos.) Im Gegensatz zur westlichen säkularen Bioethik, die davon ausgeht, es könne eine moralische Perspektive unabhängig vom Verhältnis des Menschen zu Gott geben, steht die orthodoxe Bioethik auf dem Standpunkt, dass eine korrekte Bioethik nur aus dem richtigen Verhältnis des Menschen zu Gott und Seinen Geboten erwachsen kann.     

ceteris paribus:

(lat.), unter (sonst) gleichen Umständen.

deontologisch:

(gr.), von Deontologie: von J. Bentham geprägte Bezeichnung für die Lehre von den Verbindlichkeiten und Pflichten; in der neueren Logik befasst sich die deontische Logik oder Deontik mit den formalen Zusammenhängen von Sollaussagen bzw. Imperativen in Ethik, Rechtsprechung usw.

epistemologisch:

(gr.), erkenntnistheoretisch, bezogen auf die Lehre vom Erkennen.

eschatologisch:

(gr.), bezogen auf die Lehre von den „letzten Dingen": Tod, Auferstehung von den Toten und Gericht, Weltende und Kommen des Reiches Gottes.

Ethos:

(das; gr. „Sitte, Brauch"), ein die menschliche Haltung bestimmendes System moralischer Normen, wertbestimmte Gesinnung bzw. Typus wertgerichteten Verhaltens.

Ethik:

(die; gr. ethika, „Sittlichkeit", „Sittenlehre"), Lehre v. rechten, sittlichen Handeln, zumeist gleichbedeutend mit Moralphilosophie bzw. schon in der Antike ganz oder z.T. zusammenfallend mit praktischer Philosophie. Ethik umfasst die Beschreibung der herrschenden Vorstellungen von Sittlichkeit und Tugenden sowie die Bestimmung der sittlichen Klugheit oder der ethischen Wahl, der später so genannten Moral.

Heuristik:

(gr.), die (methodische) Kunst der Wahrheitsfindung nach heuristischen Prinzipien: Regeln, Hypothesen, versuchsweisen Annahmen, die nur vorläufig, im Hinblick auf das zu Findende aufgestellt, aber nicht als endgültig oder tatsächlich betrachtet werden.

immanent:

(lat. „darin bleibend"), innewohnend, darin enthalten, seine Systemgrenzen einhaltend. Gegensatz: transzendent. Im rel. Sinn: diesseitig, der zeitlichen, vergänglichen, materiellen Welt verhaftet.

kanonisch:

(gr. kanónas, „Regel", „Vorschrift", „Richtschnur"), maßstäblich gültig, verbindlich.

Moral:

(die; lat. mores, „die Sitten"), 1. Sittlichkeit im Allgemeinen, auch Ethos; 2. Sittenlehre. Im modernen Sprachgebrauch in Abgrenzung zur Ethik bezieht sich M. eher auf die tatsächliche Verwirklichung einer sittlichen Handlung.

Moral:

nach I. Kant die bewusste Übereinstimmung des Willens mit der Idee der Pflicht (Ausdruck der Gesinnungsethik).

ontologisch:

(gr.), von Ontologie: „Lehre vom Seienden", daher „seinsmäßig", auf das Seiende bezogen.

teleolisch:

(gr. telos, das Ziel), von Teleologie: Lehre von den Zwecken, der Zweckmäßigkeit und Zielstrebigkeit. Das teleologische Denken interpretiert das Geschehen der Wirklichkeit nach den Zweck- oder Endursachen, im Gegensatz zu den wirkenden oder Anfangsursachen. In der neuzeitlichen, meist mechanistisch ausgerichteten Naturwissenschaft wird das Vorhandensein von Zweckursachen verneint.  

Vernunft:

Ratio, Erkenntnisvermögen, das nicht wie der Verstand auf die Erkenntnis einzelner Vorgänge oder Dinge gerichtet ist, sondern auf den totalen Zusammenhang der Erscheinungen und das einzelne aus diesem Gesamtzusammenhang oder aus universellen, systematisch geordneten Prinzipien heraus begreift. Nach Kant das Vermögen, aus eigenen Grundsätzen zu urteilen (theoretische Vernunft) oder zu handeln (praktische Vernunft). 
 


* Dieser Aufsatz erschien zuerst mit dem Titel "Sin and Bioethics: Why a Liturgical Anthropology is Foundational,"  in Christian Bioethics 11.2 (August 2005), S. 221-239. Er wurde übersetzt von Johannes Wolf und Corinna Delkeskamp-Hayes wird mit Genehmigung von Christian Bioethics, Inc. hier abgedruckt.

Begriffe, die bei ihrem ersten Erscheinen mit * versehen sind, werden im Glossar am Ende des Beitrags erklärt.

1 Normalerweise werden Mitglieder von Ethikkomitees und -kommissionen von vorneherein so ausgesucht, dass sie in ihrer ideologischen Ausrichtung nicht allzuweit auseinanderliegen. Wer immer die Macht besitzt, solche Mitglieder zu ernennen, will schließlich, dass aus den Beratungen konkrete Empfehlungen oder Richtlinien mit einer bestimmten Ausrichtung hervorgehen (d.h. häufig im Sinne dessen, der die Mitglieder zu diesem Zweck berufen hat), und will andererseits endlose Debatten vermeiden. Der Schein allgemeiner Übereinstimmung wird weiter durch den Umstand befördert, dass viele, wenn nicht die meisten der Ernannten hoffen, sich der Früchte einer gedeihlichen Zusammenarbeit zu erfreuen, statt jene Feindseligkeit zu erdulden, die oftmals durch einen beharrlichen Dissens entsteht. So kann man sich kaum eine Ethikkommission vorstellen, die politische Entscheidungen in bezug auf Verteilungsgerechtigkeit empfehlen soll und sich gleichermaßen zusammensetzt aus engagierten Sozialisten, klassischen Liberalen und Vertretern der freien Marktwirtschaft. Die Diskussionen wären lebhaft, aber endlos. (Alle Anmerkungen vom Verf.)       

2 Schon im frühen dritten Jahrhundert n. Chr. erklärte Agrippa, ein Mitglied der Akademie, es sei unmöglich, fundamentale philosophische Dispute durch stichhaltige vernünftige Argumentation zu entscheiden. Er nahm diese Position ein, weil es schon damals den Philosophen seit Jahrhunderten nicht gelungen war, irgendeinen Konsens zu erzielen. Jeder dieser Philosophen legte bei seinen Argumenten eine ganz bestimmte theoretische Perspektive zugrunde, was die miteinander im Streit liegenden Ansichten in gewissem Maße miteinander unvereinbar machte. Zudem, und noch entscheidender, setzen philosophische Argumente entweder durch die Auswahl ihrer jeweiligen Grundlagen das Entscheidende immer schon voraus, oder argumentieren im Kreis oder schließlich geraten sie in einen unendlichen Regress. Obwohl man die Haltbarkeit der Argumente Agrippas in bezug auf die Philosophie im Allgemeinen anfechten kann, besteht tatsächlich in der Moralphilosophie die Schwierigkeit darin, dass unterschiedliche Wertehierarchien und/oder unterschiedliche Rangordnungen grundlegender moralischer Prinzipien im Ergebnis auch unterschiedliche Moral-Theorien begründen. Jede besondere Rangordnung von Werten oder Rechtfertigungsbedingungen hängt ihrerseits von besonderen Hintergrund-Annahmen und Regeln der Beweisführung ab, die notwendig sind, um jene Rangordnung zu beglaubigen, - und diese Hintergrundprämissen und Regeln der Beweisführung hätten ebensogut anders ausfallen können. So findet man sich bei der Begründung jeder besonderen Moral-Theorie mit dem Problem konfrontiert, dass man die jeweils vorausgesetzte Beglaubigungs-Grundlage ihrerseits rechtfertigen müsste, wollte man das Behauptete rational absichern. Aber auch eine solche Rechtfertigung geht von bestimmten Prämissen aus, usw. ohne dass jemals ein sicherer und nicht wiederum bestreitbarer Beweisgrund erreicht würde. Agrippas Ansichten wurden von Diogenes Laertius (Lives of Eminent Philosophers IX.88) und von Sixtus Empiricus („Umrisse des Pyrrhonismus" I.164) geschildert. Weitere Überlegungen zu diesen Schwierigkeiten finden sich bei Engelhardt 1996, 2. Kap.            

3 Kant betont die Notwendigkeit einer zumindest Als-ob-Anerkennung Gottes und menschlicher Unsterblichkeit, um die rationale Stimmigkeit eines konsistent durchgehaltenen sittlichen Verhaltens zu garantieren. „"Ohne also einen Gott und eine für uns jetzt nicht sichtbare, aber gehoffte Welt sind die herrlichen Ideen der Sittlichkeit zwar Gegenstände des Beifalls und der Bewunderung, aber nicht Triebfedern des Vorsatzes und der Ausübung, weil sie nicht den ganzen Zweck, der einem jeden vernünftigen Wesen natürlich und durch eben dieselbe reine Vernunft a priori bestimmt und notwendig ist, erfüllen." (Kant 1781/1787, A813=B841).

Wie es Elizabeth Anscombe ausdrückt: Ohne Gott ist die Moral so viel wert wie ein Gesetz, nachdem Polizei und Gerichte abgeschafft wurden (Anscombe 1958).  

4 Wenn man eine bestimmte Moral als ein Gefüge aus festgelegten moralischen Urteilen betrachtet, zu denen auch allgemein akzeptierte moralische Empfindungen und Intuitionen gehören, dann teilen ganz offensichtlich nicht alle Menschen dieselbe Moral. Es mag Familien-Ähnlichkeiten zwischen verschiedenen Moralen geben, sofern sie alle Stellung nehmen zur Bedeutung der Wahrhaftigkeit, des Lebensschutzes und der Unverletzlichkeit des Eigentums usw. Doch selbst wenn alle Moralen sich darin ähnlich wären, dass sie bestimmte Festlegungen treffen hinsichtlich der Erlaubtheit des Tötens menschlicher Wesen, des Lügens, der Übertragung von Eigentum und sexueller Beziehungen, so blieben doch wesentliche Unterschiede zwischen ihnen darüber erhalten, unter welchen Bedingungen solche Handlungen erlaubt oder verboten sind.

5 „Traditionelles Christentum" wird in diesem Essay mit jenem Christentum identifiziert, das sich in Übereinstimmung und Kontinuität mit den Traditionen und Auffassungen des Christentums der ersten sieben Ökumenischen Konzile befindet.

6 Religiöses Wissen gründet nicht in einer Zusammenstellung philosophischer Argumente oder in sinnlicher Wahrnehmung. Obwohl sich ein Wissen über Gott aus der Lektüre der Bibel gewinnen lässt, die eine primäre Aufzeichnung von Offenbarungen darstellt, gewährt solche Lektüre nicht an sich schon (außer insofern, als die Bibel eine Ikone, ein Fenster zu Gott, öffnet) eine Erfahrung Gottes oder eine direkte Kenntnis Gottes. Eine solche Erkenntnis wird erlangt in der geistigen Erfahrung Gottes, wobei „geistig" (noetic) jenes Wissen bedeutet, das aus der Kommunion mit Gott herrührt, - einer Kommunion, die durch den Sündenfall verlorenging, jedoch durch Gnade wiederhergestellt werden kann. Wie Golitzin in seinen Ausführungen über den Hl. Symeon den Neuen Theologen (949-1022) bemerkt, ist der nous, die Fähigkeit des geistigen Erkennens, „für ihn [den Hl. Symeon] ein Äquivalent für das biblische Wort 'Herz' (kardia), das er ebenfalls verwendet und das das 'Zentrum' des menschlichen Wesens darstellt, das höchste Vermögen, den eigentlichen Punkt, worin sich Gott und der Mensch begegnen sollen" (Symeon 1995, Bd.1, S. 14). In diesem Wissen bewegt man sich über das Gute hinaus zum Heiligen oder Heiligmäßigen. Wie Metropolit Hierotheos hervorhebt, sind Heilige gemäß dem Hl. Symeon dem Neuen Theologen „jene, die den ganzen Christus in sich vollständig durch Werk und Erfahrung und Wahrnehmung und Kenntnis und Schau Gottes erlangt haben". Aus diesem Zeugnis scheint klar, dass Heiligkeit keine abstrakte oder ethische Bedeutung hat. Heiligkeit ist die Teilnahme an der ungeschaffenen vergöttlichenden Energie Gottes, und die vergöttlichte Person ist ein Heiliger. Heilige sind jene, die die Erfahrung und Kenntnis und Wahrnehmung und Schau Gottes haben. Sie sind nicht einfach die guten Menschen (Hierotheos 1998, S. 136). Siehe auch Engelhardt 2000, Kap. 4.    

7 Die Väter des ersten Jahrtausends unterstrichen die grundlegende Macht und den transzendenten Charakter Gottes, wobei sie jegliche Analogie zwischen dem geschaffenen und dem ungeschaffenen Sein bestritten. Sie erkannten, dass Gott nicht nur im letzten Sinn wirklich ist, sondern auch im letzten Sinn transzendent. Folglich kann „Sein" nicht synonym verwendet werden, wenn wir von Gott und vom geschaffenen Sein sprechen. Siehe zum Beispiel die Homilien des Hl. Johannes Chrysostomos (354-407 A.D.) Über die unbegreifliche Natur Gottes und Hl. Dionysios Areopagitos, Die Göttlichen Namen. Diese Würdigung Gottes wurde von den Konzilen zu Konstantinopel in den Jahren1 341, 1347 und 1351 bestätigt, die in ihrer Autorität und Akzeptanz durch die rechtgläubigen und recht anbetenden Christen den Status eines ökumenischen Konzil innehaben und somit als das 9. Ökumenische Konzil gezählt werden sollten.

8 Hierbei geht es darum, medizinische Behandlungen auf eine Weise durchzuführen, die den Behandelten hilft, die Liebe Gottes zu erfahren, sich zu bekehren, zu bereuen und gerettet zu werden.

9 Zum Beispiel unterscheidet Kant zwischen pragmatischen und moralischen Imperativen. Siehe Grundlagen der Metaphysik der Moral, AK IV 412-420.

10 Das Streben der Gerechten vor der Auferstehung, das Einssein mit Gott zu gelangen, wurde durch das Erlösungswerk Christi vervollständigt (siehe hierzu 1. Petr. 3,19 und 4,6). Wie der Hl. Johannes Damaskenos bemerkt: „Die vergöttlichte Seele [Christi] stieg hinab in den Hades, damit, ebenso wie für jene auf Erden die Sonne der Gerechtigkeit aufgegangen war, auch jenen unter der Erde das Licht leuchte, die in Finsternis und Todesschatten saßen; und damit, ebenso wie Er die Gute Botschaft des Friedens jenen auf Erden gebracht hatte, den Gefangenen die Botschaft der Befreiung und den Blinden das Augenlicht, dabei jenen, die glaubten, zum Urheber der ewigen Rettung werdend, jenen aber, die nicht [geglaubt] hatten, zur Widerlegung ihres Unglaubens, ebenso auch jenen im Hades..." (Johannes von Damaskus, An exact Exposition of the Orthodox Faith, Book III, chap. xxix, im Internet auf Englisch verfügbar unter http://www.orthodox.net/fathers/index.html (übernommen 4. April 2007).  

11 Wisst ihr denn nicht, dass wir alle, die wir auf Christus getauft sind, auf Seinen Tod getauft worden sind? Wir wurden mit Ihm begraben durch die Taufe in den Tod; und wie Christus durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt wurde, so sollen auch wir als neue Menschen leben. Wenn wir nämlich Ihm gleich geworden sind in Seinem Tod, dann werden wir mit Ihm auch in Seiner Auferstehung vereinigt sein. (Röm 6,3-5)

12 Das Orthodoxe Christentum, dem Christentum des ersten Jahrtausends treu bleibend, hat, anders als viele westliche Konfessionen, nicht versucht, scholastische Unterscheidungen durchzusetzen, um Sakramente von Sakramentalien zu unterscheiden. Vielmehr erkennt das orthodoxe Christentum, dass die Kirche ein Mysterium darstellt in dem durch Gnade, d.h. durch die ungeschaffenen Energien Gottes, mittels vielfältiger Rituale Menschen aus der Welt herausgeführt und in das Reich Gottes hineingeführt werden. Für eine zumindest teilweise Zusammenfassung der Rituale der Orthodoxen Kirche siehe St. Tikhon's Monastery 1998-99. 

13 Das orthodoxe Ritual der Wiedereinführung einer Frau in die Kirche stellt die Vollendung des entsprechenden Tempelrituals dar, welches seinerseits berücksichtigt, dass Frauen häufig, wenn nicht üblicherweise, im Schmerz des Gebärens Versuchungen ausgesetzt sind, die zumindest zu unwillentlichen Sünden geführt haben können. Diese Zwecksetzung wird von Jacob Neusner erwähnt in seinen Überlegungen über die Satzungen des Moses im Licht des Babylonischen Talmud, worin gesagt wird: „Wenn sie kniet beim Gebären, schwört sie unbesonnen, dass sie keinen Geschlechtsverkehr mit ihrem Mann mehr haben wird. Die Tora ... gebietet, dass sie [deswegen] ein Opfer bringen soll." (Neusner 1988, S. 97, Talmud Nidda 31b) 

14 In diesem Aufsatz bezeichnet „katholisch" die Fülle und Vollständigkeit der Versammlung der Rechtgläubigen. Das griechische „Kat'holon" umfasst ein viel weiteres Spektrum: Integrität, Ganzheit, das Zusammenstimmen verschiedener Teile; es steht im Gegensatz zu jeder Form von Einseitigkeit, Sektierertum, Exklusivität. Die Katholische Kirche bedeutet für die Orthodoxen eine Gemeinschaft, die sich durch Einheit in der Freiheit auszeichnet und aus vielen Rassen und Nationen die Familie der Geretteten erschafft. Das Kirchenslawische ersetzt „katholisch" durch „sobornost", abgeleitet vom Verbum „sobirat", das sich als „zusammen versammeln" übersetzen lässt (Zernov, 1961, S. 228).

[1] Der Heilige Ignatius von Antiochien verknüpft die Gegenwart des Bischofs mit der Gegenwart Christi. „Darum ist es klar dass wir den Bischof wie den Herrn Selbst ansehen müssen" (Ignatius an die Epheser, VI, 1, Lake, 1965, Bd. 1, S. 181). „Bemüht euch, alles in Übereinstimmung mit Gott zu tun, wobei der Bischof den Platz Gottes einnimmt und die Presbyter den Platz des Rats der Apostel, und die Diakone, die mir besonders lieb sind, mit dem Dienst Jesu Christi betraut sind, der von Ewigkeit beim Vater war und uns am Ende der Zeiten erschienen ist" (Ignatius an die Magnesier, VI.1, BD. 1, S. 201, 203). „Denn wenn Ihr Euch Eurem Bischof wie Jesus Christus unterordnet, dann kann ich bestätigen, dass Ihr nicht nach Menschenweise lebt, sondern nach der Weise Jesu Christi, Der um unseretwillen starb, damit Ihr, indem Ihr an Seinen Tod glaubt, dem Tod entkommt" (Ignatius an die Trallianer, II.1, Bd. 1, S. 213, 215).

16 Die Offenbarung des Hl. Johannes bietet folgende Schilderung der himmlischen Liturgie: Danach sah ich, und siehe: Eine Tür war geöffnet am Himmel; ... und rings um den Thron standen vierundzwanzig Throne, und auf den Thronen saßen vierundzwanzig Älteste in weißen Gewändern, ... und die vier Lebewesen ... ruhen nicht, bei Tag und bei Nacht, und rufen: Heilig, heilig, heilig ist Gott der Herr, der Allherrscher, Der war und Der ist und Der kommt. Und wenn die Lebewesen Dem, der auf dem Thron sitzt ..., Herrlichkeit und Ehre und Dank erweisen, dann werfen sich die vierundzwanzig Ältesten vor dem, der auf dem Thron sitzt, nieder und beten Ihn an... Und ich sah, und ich hörte die Stimme von vielen Engeln rings um den Thron und die Lebewesen und die Ältesten; die Zahl der Engel war zehntausendmal zehntausend und tausendmal tausend. Sie riefen mit lauter Stimme: Würdig ist das Lamm, das geschlachtet wurde, Macht zu empfangen, Reichtum und Weisheit, Kraft und Ehre, Herrlichkeit und Lob. Und alle Geschöpfe im Himmel und auf der Erde, unter der Erde und auf dem Meer, alles, was in der Welt ist, hörte ich sprechen: Ihm, der auf dem Thron sitzt, und dem Lamm gebühren Lob und Ehre und Herrlichkeit und Kraft in alle Ewigkeit. Und die vier Lebewesen sprachen: Amen. Und die vierundzwanzig Ältesten fielen nieder und beteten an. ... Und ein anderer Engel kam und trat mit einer goldenen Räucherpfanne an den Altar; ihm wurde viel Weihrauch gegeben, den er auf dem goldenen Altar vor dem Thron verbrennen sollte, um so die Gebete aller Heiligen vor Gott zu bringen. Aus der Hand des Engels stieg der Weihrauch mit den Gebeten der Heiligen zu Gott empor (Offb 4,1;8-10, 5,11-14, 8,3-4).  

17 Das orthodoxe Christentum, in Treue zum Christentum des ersten Jahrtausends, hat die in der alten Kirche zentrale Rolle der Liturgie bewahrt. Diese Rolle kommt besonders deutlich in den Briefen des Hl. Ignatios von Antiochien zum Ausdruck, der Schüler des Hl. Johannes des Theologen war und in dessen Schriften der Geist der Apostel-Kirche lebendig wird. Einerseits unterstreicht der Hl. Ignatios die Zentralität der Eucharistie. „Achtet daher darauf, eine Eucharistie zu verwenden (denn das Fleisch unseres Herrn Jesus Christus war eines, und einen Kelch zur Einswerdung mit Seinem Blut, einen Altar, denn es gibt einen Bischof mit der Priesterschaft und den Diakonen, meinen Mitknechten, [kursiv v. Übers.]) damit ihr das, was immer ihr tut, Gott gemäß vollbringt" (Ignatios an die Philadelphier IV.1, Lake 1965, Bd. 1, S. 243). Andererseits betont Ignatios, dass eine gültige Eucharistie nur dort gefeiert wird, wo dies unter der Autorität eines Bischofs geschieht, der mit der ganzen Kirche eins ist. „Es täusche sich keiner: Solange ein Mensch nicht im Heiligtum ist, mangelt es ihm am Brot Gottes, denn wenn eines oder zweier Gebet solche Macht hat, wie viel mehr hat sie das Gebet des Bischofs in Verbindung mit der ganzen Kirche?" (Ignatios an die Epheser V.2, Bd. 1, S. 179). Zu den vielen bemerkenswerten Aspekten dieser Mahnung gehört das Fehlen jeden Verweises auf den Papst von Rom oder auf die Einheit mit diesem besonderen Bischof als notwendige Bedingung für eines Bischofs Verbindung und Einheit mit der ganzen Kirche. Richtungweisend ist ebenfalls die Betonung der Kirche als Gemeinschaft rechter Gottesverherrlichung. Wie Zernov feststellt: „Für die Orthodoxen ist die Kirche primär eine anbetende Gemeinschaft. ... [Orthodoxe Christen, Einf. Verf.] betrachten nur das als einer dogmatischen Festlegung bedürftig, was sich direkt auf den Gottesdienst bezieht. Das Glaubensbekenntnis ist für sie Teil der Doxologie" (Zernov 1961, S. 230). Für orthodoxe Christen ist „die Eucharistie die Pforte zum Himmel. Sie führt die Gläubigen in eine Welt jenseits von Raum und Zeit..." (Zernov 1961, S. 244). Das Dogma des orthodoxen Christentums umschreibt, was unerlässlich ist für ein Leben, das zur Verwandlung des Menschen in einen Heiligen hinführt. 

18 Wie eine Ikone, jedoch in viel vollkommenerer Weise, ist die Liturgie ein Fenster zum Himmel: ein beidseitig offenes Fenster. Durch Gottes Gnade kann man durch eine Ikone hindurch die Wirklichkeit schauen, die es abbildet, nämlich Gott, Der Seinerseits jene ergreift, die sich durch diese Ikone Ihm zuwenden. Dies ist umso mehr der Fall in der Ikone der Ikonen, der Göttlichen Liturgie, die die himmlische Liturgie abbildet.  

19 Seit der Zeit der Apostel hat das Christentum erkannt, dass „die Materie zum Gnaden-Träger werden kann und wenn sie einmal in Berührung mit der göttlichen Kraft gekommen ist, für den Menschen zur heiligen und geweihten Materie wird" (Zernov 1961, S. 265). Man denke zum Beispiel an den Bericht der Apostelgeschichte über die Verwandlung von Taschentüchern und Schürzen durch die Berührung des Heiligen Paulus in Wunder-wirkende Gegenstände. Der Heilige Paulus, der sich selbst gestorben war und Christus angezogen hatte, war seinerseits durch die ungeschaffenen Energien Gottes verwandelt worden.

20 Francisco de Vitoria (1485-1546), der berühmt wurde als treibende Kraft der Zweiten Scholastik der römischen Katholiken, erkannte, dass eine Reihe von Übeln, die von einigen Christen als solche erkannt werden können, nicht durch das Naturrecht in ihrer Unerlaubtheit erklärbar sind, wie zum Beispiel dass „gewisse Dinge im Evangelium offenbart wurden, auch wenn sie nicht anhand des Naturrechts bewiesen werden können, so wie Wucher und Unzucht und Lüge Übel sind" („Über die Regeln der Ernährung oder über Selbstbeschränkung 1.5", Vitoria 1991, S. 221). Hier ist wichtig festzuhalten, dass, obwohl traditionsbewusste Christen immer wussten, dass Unzucht unbedingt verwerflich ist, sie dies nicht in derselben Weise für die Lüge als gültig ansahen. Anders als jene, die von den Neuerungen des Seligen Augustinus von Hippo beeinflusst wurden, haben traditionsbewusste Christen das Lügen nicht als kategorisch verboten angesehen, wie schon Augustinus' Kritiker, der Hl. Johannes Cassian der Gerechte Römer (360-432 A.D.) feststellte. In der Tat ist es die Position traditioneller Christen, dass „heilige Menschen und jene, die Gott aufs höchste wohlgefällig waren, Lügen verwendeten, wodurch sie sich nicht nur keine Sündenschuld zuzogen, sondern sogar größte Güte erlangten; und wenn Täuschung ihnen größte Ehre einbrachte, was anderes als Verdammnis hätte ihnen die Wahrhaftigkeit gebracht?" (Hl. Johannes Cassian, „Zweite Konferenz des Abtes Joseph", in Schaff und Wace 1994, Bd. 11, S. 465). Man sollte auch festhalten, dass, wie immer alle dazu aufgefordert sind, anderen, besonders rechtgläubigen Christen, ohne Zins zu leihen, die Kanones der Kirche nur Bischöfen, Priestern oder Diakonen, verbieten, Zins zu nehmen. Siehe Die 85 Kanones der Heiligen und Ruhmreichen Apostel, Kanon XLIV; Nikäa I, Kanon XVII; und Qunisext Konzil, Kanon X. Im Zusammenhang mit der irreführenden Wirkung einer philosophischen Begründung der Moral durch das Naturrecht sollte man noch hinzufügen, dass es eben jene Verhaftung im Naturrecht war, die es den römischen Katholiken zwischen 1234 und 1869/1918 unmöglich machte zu begreifen, dass Abtreibung vom Moment der Empfängnis an mit Mord gleichzusetzen ist. Siehe hierzu der Hl. Basileios, Brief 188. Zur Entwicklung der römischen Position bis 1918, siehe Thomas Aquinas, Summa Theologica I Q 118, Art. 12, und Corpus Juris Canonici Emendatum et Notis Illustratum cum Glossae: decretalium d. Gregorii Papae Nini Compilatio (Rom 1585), Glossae ordinaria a bk. 5, Titel 12, Kapitel 20, S. 1713. Die naturrechtliche Unterscheidung zwischen geformt und ungeformt, beseelten und unbeseelten Föten verschwand schrittweise. Erst im Jahre 1869 belegte Pius IX. die Taten der Abtreiber mit Exkommunikation wie Morde, unabhängig vom Entwicklungsstadium des Fötus; er exkommunizierte die Mütter nicht. Erst mit der Erklärung Codes Juris Canonici durch Benedikt XV. im Jahre 1917 (er erlangte Wirksamkeit am Pfingsttag, dem 19. Mai, 1918) wurde die Unterscheidung zwischen geformten und ungeformten Föten völlig beseitigt. (Der Genauigkeit halber sollte man noch hinzufügen, dass in einer Zeitspanne von drei Jahren, nämlich zwischen 1588 und 1591, die philosophische Unterscheidung zwischen geformten und ungeformten, beseelten und unbeseelten Föten aus dem römisch-katholischen kanonischen Gesetz gestrichen worden war. Siehe Papst Sixtus V. Contra procurantes, Consulentes, et Consentientes, quorunque modo Abortum Constitutio, Florenz: Georgius Marescottus 1588).            

21 Das Christentum des ersten Jahrtausends wusste, dass der Sündenfall drei grundlegende Folgen zeitigte: (1) böse Neigungen, (2) Schwäche des Willens, und (3) der Verlust der Kommunion mit Gott. Alle drei Mängel können durch die Gnade geheilt werden. Mit der Wiederherstellung des dritten Aspekt, der Kommunion mit Gott, wird Theologie möglich, nicht auf Grundlage diskursiven Denkens, sondern auf Grundlage der geistigen („noetischen") Erfahrung, so dass jene, die zu dieser Kommunion wiederhergestellt wurden, „auf Schwingen schweben können in den Reichen der Körperlosen und die Tiefen der unbegreiflichen See berühren, staunend über die wunderbaren und göttlichen Werke, durch die Gott die geistigen und körperlichen Geschöpfe führt" (Hl. Isaak 1984, Homilie 52, S. 261). Entscheidend ist hierbei die Unterscheidung zwischen diskursiver Rationalität und noetischer Erfahrung. „Vernunft, Verstand (dianoia): das diskursive, begriffsbildende und logische Vermögen im Menschen, deren Funktion darin besteht, Schlussfolgerungen zu ziehen oder Begriffe zu formulieren, die aus Daten gewonnen werden, die entweder durch Offenbarung oder durch spirituelles Wissen oder durch sinnliche Beobachtung geliefert werden. Das Wissen der Vernunft ist folglich von einer niedrigeren Ordnung als das spirituelle Wissen und beinhaltet nicht jenes direkte Erfassen oder jenen direkten Zugriff auf das im Inneren Erfahrene, die die Funktion des Geistes [nous] sind, denn diese vollziehen sich jenseits der Vernunft" (G.E.H. Palmer et al. 1988, Vol. 1, S. 364).     

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