Gleichnis vom Zöllner und Pharisäer (Lk. 18,10-14)
„Und weil jener daran glaubt, weil das Leben selbst es ihm gelehrt hat, dass sich Unmögliches ereignet und dass nur das Unmögliche das menschliche Leben möglich macht, steht er da und zu ihm gelangt die göttliche Vergebung.“ – aus der Predigt zum „Sonntag des Zöllners und des Pharisäers“ von Metropolit Antonij von Suroz.
Статья

2. Februrar 1969

Wir sind gewöhnt den Pharisäer zu verachten und zu verurteilen. Es scheint uns, dass das Evangelium zum heutigen Tag uns das Recht dazu gibt. Hat Christus ihn nicht selbst ihn auch verurteilt? Doch wir vergessen dabei, dass die hochmütige Rechtschaffenheit des Pharisäers ihm und seines gleichen viel Mühe kostet. Diese Menschen waren Helden und voller Überzeugung. In der kurzen Beschreibung, die der eine Vers des Evangeliums von ihm gibt, heisst es: Er fastet zweimal pro Woche, d.h. er gibt Gott nicht nur das, wozu ihn das Gesetz verpflichtet, sondern mehr, über das allgemeine Maß hinaus. Er dient  Gott mit Fleiss und Eifer. Gleichzeitig gibt er einen bedeutenden Teil seines Einkommens denen, die in Not sind. Dass heisst auch Menschen gegenüber ist er bemüht, wenn auch in einer etwas kalten Weise. Deshalb kann man ihn nicht einfach nur verurteilen. Pharisäer waren Menschen, die bereit waren, sich abzumühen und die Lasten, die damit verbunden sind, zu tragen. Nur leider scheiterte diese mühevolle Suche Gott zu gefallen daran, dass der Pharisäer  aus seinen Bemühungen das Bewußtsein eigener, eingebildeter Selbstgerechtigkeit schöpfte, nicht aber Liebe.

Und so ist dieser in den Tempel getreten, ohne an der Schwelle halt zu machen, ohne gewahr zu werden, dass er den Tempel  des lebendigen Gottes betritt, ohne zu fühlen, dass es niemanden, kein einziges Geschöpf gibt, dem es nicht zukommt vor Gott in aller Ehrfurcht, mit Erschauern und  in Liebe zu Ihm auf die Knie zu fallen. Der Pharisäer betritt den Tempel in festem Schritt und geht geradezu auf seinen Platz. Auf diesen Platz hat er ein Anrecht, denn er führt ein rechtschaffendes Leben, den Regeln der Kirche entsprechend. Deshalb darf er auch dort stehen, wo er ein Recht hat zu stehen.

Ist das etwa nicht schrecklich und zu verurteilen? Aber sind nicht auch gleichzeitig wir diesem Menschen ähnlich? Wie oft empfinden wir, dass wir vor Gott und unter den Menschen unseren rechtmäßigen Platz haben? Ich spreche nicht von der Kirche, in der wir uns hier versammelt haben, sondern von der geheimen, unsichtbaren Kirche, die die gesamte Welt umfasst und die alle in Ehrfurcht um den Lebendigen Gott versammelt. Auch wir denken oft, mein Platz ist hier und der des anderen dort.

Und dort stand ein Mensch, für den es nach menschlichem Urteil wirklich keinen Weg nach vorn gab in die vorderen Reihen der Gerechten im Herrn. Jener trieb die Steuern und  Zölle ein. Aber ganz anders als wie es heute ist! Jener stand einfach im Dienst der römischen Besatzermacht, die das israelische Volk zu Sklaven gemacht hatte, es auf verschiedenste Weise bedrängte und gleichzeitig unter den Menschen immer wieder solche Leute suchte, die das Eintreiben der Abgaben besorgen sollten. Natürlich waren diese Leute bei allen verhasst, da sie in aller Härte, Grausamkeit und Erbarmungslosigkeit die Leute nötigten und erpressten.

Doch eines hatte der Zöllner in diesem grauenhaften, furchtbaren Leben, das er unter seines Gleichen und unter der Opfern menschlicher Verrohung führte, offensichtlich gelernt. Er hatte erkannt, dass ein Mensch in einer solch schonungslosen menschlichen Gesellschaft nicht überleben kann, wenn nicht wenigstens für einen Augenblick das „Gesetz des Lebens" aufgehoben wird, wenn nicht wenigstens für einen Moment Mitgefühl und Barmherzigkeit aufscheinen.

Wenn alles so vor sich geht, wie vorgeschrieben, alles so gemacht wird, wie es das Recht vorsieht, dann kann kein Mensch das Heil erlangen.

So stand jener an der Schwelle, wohl wissend, dass er nach menschlichem wie auch nach göttlichem Recht dieselbe erbarmungslose Grausamkeit verdient hat, die er selbst Tag für Tag zur Anwendung bringt. Jener stand dort, schlug sich an die Brust, denn er wußte, dass es für ihn keine Hoffnung auf Barmherzigkeit gab. Barmherzigkeit kann man nicht verdienen, kann man nicht kaufen, ihrer kann man nie würdig sein. Man kann auf sie nur hoffen und um sie beten. Es gibt sie nur als Wunder, als ein unverständliches, völlig unerwartetes Wunder, wenn sich Rechtschaffenheit vor Sünde beugt, wenn Mitleid plötzlich dort hereinbricht, wo eigentlich das Recht entscheiden sollte: das erhabene schonungslose Recht. Jener steht da in seiner Sünde ohne es zu wagen, in die Sphäre göttlicher Wahrheit einzutreten, denn dort gibt es für ihn kein Verzeihen. Er steht an der Schwelle in der Hoffnung, dass bis zum Rand dieses Tempels, bis zum Rand der Rechtschaffenheit, über den Rand hinaus Milde, Mitleid, Mitgefühl und Barmherzigkeit hinüberschwappt, dass etwas Unmögliches passieren wird für ihn, mit ihm, ohne es verdient zu haben.

Und weil jener daran glaubt, weil eben das Leben selbst es ihn gelehrt hat, dass sich Unmögliches ereignet, dass nur das Unmögliche das menschliche Leben möglich macht, steht er da und zu ihm gelagt die göttliche Vergebung.

Christus sagt zu uns, dass jener in größerem Maße als gerechtfertigt in sein Haus ging als der andere. Er hat den Pharisäer nicht einfach verurteilt: Bis zur Todestunde gilt es auf Vergebung zu hoffen. Er  war ein Gerechter, er war ein Fleißiger, er bemühte sich mit Geist und Körper um seine eigene Rechtschaffenheit.  Doch diese war fruchtlos, ihr entsprang nicht mal ein Fünkchen Mitleid und Liebe ...

Dem Unrechtmäßigen jedoch wurde verziehen.

Lasst uns darüber nachdenken! Erstens: Sind wir selbst wenigstens ein Stück Pharisäer? Gibt es in uns wenigstens ein Stück Rechtschaffenheit vor den Menschen und Tugenden? Gibt es in uns ein Stück Wahrhaftigkeit vor Gott, g.h. geben wir Ihm, was wir Ihm schuldig sind, das,  worauf Er selbst einfach ein Recht hat? Und dann stellen wir uns die Frage: Sind wir, selbst ohne auch nur einen Teil der Rechtschaffenheit des Pharisäers aufweisen zu können, nicht selbst so wie dieser? Ohne Liebe, ohne Herz, die Seele erstorben? Wie schauen wir auf unseren Nächsten? In der Kirche, außerhalb der Kirche, im Leben, in der Familie, auf der Arbeit, auf der Straße, in der Zeitung - überall? Unser Nächster allein für sich oder im Kollektiv? Wie schauen wir auf sie, wie urteilen wir über sie ohne uns auf wirkliche eigene, und nicht einmal auf eine tote Rechtschaffenheit des Pharisäers stützen zu können?

Amen 

http://www.metropolit-anthony.orc.ru/inname/in_80.htm

Комментарии ():
Написать комментарий:

Другие публикации на портале:

Еще 9