Zum Sonntag des Vergebens
„Lasst uns nun in die Fastenzeit hineingehen so wie man aus dichter Finsternis heraus in eine sich aufhellende Dämmerung eilt: mit Freude und Licht im Herzen. Lasst uns … alle Fesseln von uns reißen, die uns gefangen halten wollen, sei es der Kerker des Geizes oder des Neids, sei es das Verließ der Angst, des Hasses oder der Eifersucht, sei es das Gefängnis, dass wir uns einander nicht verstehen, dass wir ausschließlich auf uns selbst konzentriert sind. Denn meistens leben wir im Kerker unserer selbst, obwohl wir doch von Gott zur Freiheit berufen sind.“ – aus einer Predigt zum Sonntag des Vergebens von Metropolit Antonij von Sourozh
Статья

16. März 1986

Aus der „Fremde“ begeben wir uns nun in das Reich der Herrlichkeit, hin zur Begegnung mit dem Lebendigen Gott als Söhne und Töchter Seines Reichs. Auch diese Kirche kann uns als Bild dienen, um uns unsere Situation zu veranschaulichen: Wir stehen im Halbdunkel und sehen vor uns das Allerheiligste unseres Gottes, den Ort, wo Er zu Hause ist, den Altar, der umgeben ist vom Licht der Herrlichkeit. Wir wissen, dass Christus das Licht in die Welt gebracht hat, dass Er das Licht ist und wir die Kinder dieses Lichts sind. Und nun drängen wir aus der Finsternis ins Halbdunkel und aus diesem weiter zum Glanz der Herrlichkeit des ungeschaffenen Göttlichen Lichtes.

Am Beginn einer Reise ist man zunächst immer noch ganz erfüllt von den Dingen, den Gefühlen, den Erinnerungen und Eindrücken des Ortes, an den man gewöhnt war, bevor man diesen für die Reise verlassen hat. Dann jedoch beginnt all dieses allmählich zu verblassen, bis nichts anderes mehr übrigbleibt als nur noch das Bestreben, endlich ans Ziel der Reise zu gelangen.

Das ist der Grund, warum in der ersten Woche der Großen Fastenzeit der Bußkanon des Andreas von Kreta gelesen wird. Noch ein letztes Mal gehen wir dann in uns und denken über uns nach, noch ein letztes Mal schütteln wir den Staub von unseren Füßen, noch ein letztes Mal rufen wir uns all das, was wir in den vergangenen Jahren falsch gemacht haben, in Erinnerung.

Bevor wir das Fest der Orthodoxie begehen und des Sieges Gottes gedenken, dass Er zu uns gekommen ist und der Welt die Wahrheit gebracht hat - Er hat das Leben gebracht, das Leben in seiner Fülle (Joh.10,10), Er hat uns Freude gebracht und die Liebe – richten wir nun ein letztes Mal unsere Aufmerksamkeit auf uns selbst und auf die anderen, um einander um Vergebung zu bitten. Lass mich frei werden von den Schnüren, die ich durch mein unwürdiges Verhalten selbst festgezogen habe und die mich nun einengen. Lass mich frei werden von diesen Fesseln, die ich mir durch meine Sünden, durch meine schändliche Unachtsamkeit mir selbst gegenüber, selbst angelegt habe. Durch meine Sünden und all das, was ich anderen angetan habe oder aber für sie nicht getan habe. Dabei hätte ich ihnen doch so viel Freude bringen können und so viel Hoffnung. Dabei hätte ich  ihnen zeigen können, dass wir Christen es würdig sind, dass Gott an uns glaubt.

Deshalb lasst uns im Verlaufe der kommenden Woche ein letztes Mal in uns gehen. Lasst uns einander in die Augen sehen und Frieden stiften. Frieden und Versöhnung bedeutet nicht, dass damit alle Probleme nicht mehr existieren. Christus ist in die Welt gekommen, um uns Seinen Frieden zu bringen, denn in Ihm finden auch wir unseren Frieden mit Gott. Wir wissen, welchen Preis Er dafür gezahlt hat. Hilflos, verletzlich und schutzlos hat Er Sich uns ausgeliefert. Ja, als ob Er uns sagen wollte: Macht mit Mir, was ihr wollt. Wenn ihr das letzte Übel vollbracht haben werdet, dann werdet ihr sehen, dass sich Meine Liebe zu Euch in nichts verändert hat. Sie war immer voller Freude und von durchdringendem Schmerz. Sie ist dabei aber immer nur Liebe ….

Diesem Beispiel können und sollten wir folgen, wenn wir zu Christus gehören möchten. Wir vergeben einander in dem Moment, wenn wir einander sagen: Ich weiß, wie unausgeglichen du bist. Ich weiß aber auch, wie tief du mich verletzen kannst und genau deshalb, weil ich verletzt bin, weil ich das Opfer bin – manchmal aus eigener Schuld, manchmal jedoch auch ohne Schuld -  kann ich mich zu Gott wenden und aus der Tiefe des Schmerzes und des Leids, der Scham und manchmal sogar der Verzweiflung zu Gott rufen: Herr, Verzeih! Er weiß nicht, was er tut! Wenn er doch nur wüsste, wie viel Verwüstung er in mein Leben trägt, würde es dies nicht tun. Doch er ist wie blind, er hat es noch nicht gelernt richtig zu sehen, er ist in seinem Verhalten noch so unbedarft. Ja, ich nehme es auf mich,  ich bin bereit, ihn oder sie so zu tragen, wie der gute Hirte das verirrte Schaf auf die Schulter genommen hat, denn wir alle sind wie verirrte Schafe der Herde Christi. Oder ich ertrage ihn oder sie so, wie Christus das Kreuz getragen hat, bis in den Tod hinein, bis zum Kreuzestod aus Liebe. Denn dann ist uns alle Macht gegeben, um den Menschen zu vergeben, weil wir dann nämlich einverstanden sind, alles zu ertragen und alles zu vergeben, was man uns auch antun möge.

Lasst uns nun in die Fastenzeit hineingehen so wie man aus dichter Finsternis heraus in eine sich aufhellende Dämmerung eilt: mit Freude und Licht im Herzen. Lasst uns den Staub von den Stiefeln schütteln, alle Fesseln von uns reißen, die uns gefangen halten wollen, sei es der Kerker des Geizes und des Neids, sei es das Verließ der Angst, des Hasses oder der Eifersucht, sei es das Gefängnis, dass wir uns einander nicht verstehen, dass wir ausschließlich auf uns selbst konzentriert sind. Denn meistens leben wir im Kerker unserer selbst, obwohl wir doch von Gott zur Freiheit berufen sind.

Dann werden wir begreifen, dass wir uns Schritt für Schritt wie über ein großes Meer bewegen, weg von den Ufern der Finsternis und der Dunkelheit hin zum Göttlichen Licht. Auf dem Weg dorthin werden wir auch an der Kreuzigung vorbeikommen und am Ende des Weges wird der Tag kommen, an dem wir vor der Göttlichen Liebe stehen werden in ihrer tragischen Vollendung, bevor sie für uns in ihrer unaussprechlichen Herrlichkeit und Freude erstrahlt. Zuerst die Leiden, zuerst das Kreuz und dann erst die Auferstehung. Wir sind dazu berufen, sowohl das eine wie auch das andere zu durchschreiten. Zusammen mit Christus durch Seine Leiden, zusammen mit Ihm auch in die Große Ruhe und in den Glanz des Lichts Seiner Auferstehung.

Ich bitte euch mir zu vergeben für alles, was ich hätte tun sollen, aber nicht getan habe, dafür, dass ich Dinge oft nicht richtig anpacke und für all das, was hätte getan werden müssen, aber liegen geblieben ist.

Lasst uns einander voller Liebe beistehen auf diesem Weg der gegenseitigen Vergebung und uns daran erinnern, dass uns auf einem schwierigen Weg, in einem Moment der Krise, sehr oft ein Mensch die Hand zur Hilfe entgegenstreckt, von dem wir eigentlich nichts Gutes erwartet hatten, den wir eigentlich für einen Fremden hielten oder sogar für einen Feind. Es kommt oft vor, dass dieser plötzlich begreift, wie sehr wir in Not sind und uns entgegenkommt. Lasst uns deshalb Herz und Augen öffnen, um bereit zu sein für andere, um sie und ihre Nöte zu sehen.

Lasst uns nun zuerst vor die Christusikone treten, vor unseren Gott und Heiland, Der mit einem teuren Preis dafür bezahlt hat, dass Er uns vergeben darf. Lasst uns vor die Gottesmutter treten, die ihren Einziggeborenen Sohn hingegeben hat für unser Heil. Wenn sie für uns bittet, wer kann uns dann die Vergebung verweigern? Dann lasst uns auch gegenseitig um Vergebung bitten. Während wir auf alle zugehen, werden wir Gesänge hören, die schon nicht mehr von Buße erfüllt sind, sondern uns quasi von der von Ferne bereits auf uns wartenden Auferstehung künden, von der wir noch lauter singen werden, wenn der Weg zur Hälfte geschafft ist, wenn wir das Kreuz verehren werden. Am Ende jedoch wird sie die gesamte Kirche erfüllen und die ganze Welt – in jener Nacht, in der Christus auferstanden ist und den Sieg errungen hat.

Amen                 

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