Die Vorfahren Christi – Zum Sonntag vor Weihnachten (Mt. 1,1-25)
„Und wie ist es, wenn wir selbst in unserem Leben durch dunkle Tiefen gehen und uns nur noch Finsternis umgibt, die sich in uns verfestigt hat? Wenden wir uns dann zu Gott und schreien aus dieser Tiefe und Dunkelheit zu Ihm: Dich, Herr, rufe ich? Zu Dir drängt der Schrei meiner Seele ... Ja, ich bin in einen dunklen Abgrund geraten, doch Du bist mein Gott! Du bist der Gott, der das Licht wie auch die Finsternis geschaffen hat und Du bist genauso auch in dieser Finsternis wie im strahlenden Licht. Du bist auch da, wo der Tod ist, so wie auch da, wo das Leben ist. Du bist in der Hölle und gleichzeitig auf dem Thron im Himmel. Wo auch immer ich sein mag, ich kann Dich rufen.“ – aus einer Predigt zum Sonntag vor Weihnachten vom Metropolit Antonij von Sourozh
Статья

3. Januar 1988

In jedem Jahr wird am Sonntag vor Weihnachten während der Liturgie die „Liste der Vorfahren“ Jesu Christi verlesen. Viele Jahre hindurch habe ich mich immer wieder gefragt: Warum? Wozu muss man alle diese Namen vorlesen, die uns doch so wenig bedeuten oder die uns vielleicht überhaupt nichts  sagen? Dann jedoch wurde es mir mit den Jahren immer klarer, welchen Sinn diese Namen für uns haben.

Zu aller erst sind diese Menschen die Famile unseres Herrn Jesus Christus, zu der Er Seiner menschlichen Natur nach gehört. Alle sie sind Seine Verwandten. Und das reicht eigentlich schon aus, dass ihre Namen für uns von Bedeutung sind. Sie sind mit Christus blutsverwandt. Christus ist ein Glied dieser Familie. Von der Gottesmutter könnten alle aus dieser Familie sagen, dass sie von ihnen abstammt und eine Tochter ihres Geschlechtes ist. Das gleiche gilt für Christus. Sie könnten auch von Ihm sagen: Er ist in unserer Familie geboren worden, obwohl Er gleichzeitig auch unser Gott ist und unser Heiland, durch Den Gott Selbst unter uns ist.

Einige Namen jedoch fallen in dieser Reihe besonders auf. Es sind die Namen von Heiligen, das heißt von denen unter ihnen, die für den Geist mit sich gerungen haben. Ebenso aber hört man auch Namen von Sündern.

Die Heiligen könnten uns lehren, was es bedeutet, zu glauben. Der Glaube ist nicht nur eine Überzeugung des Verstandes oder eine Weltsicht, die - in einer uns verständlichen Weise – der Sicht Gottes auf die Welt gleicht. Der Glaube ist vielmehr ein völliges Vertrauen auf Gott, ein grenzenloses Hingegeben Sein an Ihn wie auch gleichzeitig die Bereitschaft, sein Leben ganz dafür zu leben, was wir von Gott wissen, für all das, was Ihm lieb und teuer ist und was Er ist. Es ist ein Leben aus Dank dafür, dass Er mit uns ist.

Erinnert euch an Abraham, dessen Glauben auf das Heftigste auf die Probe gestellt wurde. Wie schwer fällt es uns jedoch für Gott auf etwas, was uns gehört, zu verzichten. Abraham war es sogar  geboten, sein eigenes Kind als blutiges Ofer darzubringen. Er hat dabei nicht ein einziges Mal an Gott gezweifelt. Und Isaak? Er hat sich ohne Widerstand und im völligen Vertrauen seinem Vater untergeordet und durch diesen ebenso Gott.

Ebenfalls können wir uns den Kampf Jakobs mit dem Engel in der Finsternis ins Gedächtnis rufen. Eine Finsternis, die der unseren gleicht, wenn wir im Dunkel mit unseren Zweifeln ringen. Eine Finsternis, die uns manchmal von allen Seiten umgreift, wenn wir um unseren Glauben kämpfen, um ihn zu bewahren, um nicht unsere Unversehrtheit zu verlieren oder untreu zu werden.

Wir können jedoch auch etwas lernen von jenen, die als Sünder in die Geschichte eingegangen sind und die uns aus der Heiligen Schrift bekannt sind. Sie waren zerbrechlich und diese Zerbrechlichkeit hat sie schwach sein lassen. Ihnen hat die Kraft nicht ausgereicht, um den Reizen des Körpers oder der Seele und all den Fängen der menschlichen Leidenschaften zu widerstehen. Gleichzeitig aber glaubten auch sie an Gott und dies mit der gleichen Glut ihrer Leidenschaftlichkeit. Einer dieser Sünder ist der König David und er hat dies mit besonderer Kraft in einem seiner Psalmen ausdrücken können: Aus der Tiefe, Herr, rufe ich zu dir! Aus der Tiefe der Verzweiflung, aus der Tiefe der Scham, aus der Tiefe der Entfremdung von Gott, aus den dunkelsten Tiefen seiner Seele hat er sich trotzdem mit seinem Hilfeschrei an Gott gewandt. Er versteckt sich nicht vor Gott, er läuft nicht von Ihm davon, sondern eilt zu Ihm mit einem Schrei der Ausweglosigkeit eines verzweifelten Menschen. Mit genau so einer Wirklichkeit haben auch andere Männer und Frauen in die Bibel Eingang gefunden: Raab die Hure und viele viele andere.

Und wie ist es, wenn wir selbst in unserem Leben durch dunkle Tiefen gehen und uns nur noch Finsternis umgibt, die sich in uns verfestigt hat? Wenden wir uns dann zu Gott und schreien aus dieser Tiefe und Dunkelheit zu Ihm: Dich, Herr, rufe ich? Zu Dir drängt der Schrei meiner Seele ... Ja, ich bin in einen dunklen Abgrund geraten, doch Du bist mein Gott! Du bist der Gott, der das Licht wie auch die Finsternis geschaffen hat und Du bist genauso auch in dieser Finsternis wie im strahlenden Licht. Du bist auch da, wo der Tod ist, wie ebenso auch da, wo das Leben ist. Du bist in der Hölle und gleichzeitig auf dem Thron im Himmel. Wo ich auch immer sein mag, ich kann Dich rufen.

Und noch ein letztes, worüber es sich lohnt nachzudenken. Für uns sind es nur Namen, die wir verlesen haben. Von einigen wissen wir etwas mehr aus der Heiligen Schrift. Von anderen wissen wir nichts. Doch alle sie waren wirkliche und konkrete Menschen, Männer und Frauen, die uns in all unserer Zerbrechlichkeit gleich waren, die mit der gleichen Hoffnung wie wir gelebt haben, einen ebenso wankelmütigen Willen hatten und so wir schwankten. Auch in ihnen war die Liebe in Keimen vorhanden und führte oft nur ein Schattendasein. Trotzdem aber ist sie - auch wenn nur im Keim vorhanden - Licht und Feuer. Diese Menschen waren ganz real und konkret. Wir können deshalb ihre Namen mit Wärme verlesen, denn auch, wenn wir sie nicht kennen, bilden sie doch die menschliche Familie Christi. Und sie sind dabei eine ganz reale und konkrete Familie. Und ungeachtet aller inneren und äußeren Irren und Wirren des Lebens, gehören sie zu Gott. In den konkreten Umständen unseres Lebens, ob wir nun in einer gegebenen Minute stark oder schwach sind, können auch wir versuchen zu lernen, uns als Gottes eigene Menschen zu begreifen.

Deshalb lasst uns noch weiterhin gedanklich bei dieser Namensliste verweilen und das nächste Mal, wenn diese Aufzählung erklingt, versuchen, diese mit einem Fünkchen Freude und mit einem warmen Gefühl im Herzen zu vernehmen. Wir können auf diese Namen jedoch nur mit einem warmen Herzen reagieren, wenn Christus für uns immer mehr an Wirklichkeit gewinnt. In Ihm und durch Ihn bemerken wir dann, dass sie alle wirkliche und lebendige Menschen sind, die uns genauso gleich waren wie sie auch zu Gott gehörten.

Amen   

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