Von der Heilung der blutflüßigen Frau und der Auferweckung der Tochter des Jairus (Lk. 8,41-56)
Wir jedoch sind dazu berufen dieses Wort zu sprechen. ... Bis ein Mensch das Evangelium zur Hand nimmt und die Worte des Heilandes hört, wie Er sie dort selbst spricht, kann sehr viel Zeit vergehen. Alles ist dort aufgeschrieben, gedruckt und deshalb für einen Menschen, der Christus in seinem Leben nocht nicht begegnet ist, nicht sehr lebendig. Wenn aber ... einer von uns, die gleichen Worte spricht, und dies aus der Tiefe seiner mitfühlenden Seele, mit blutendem Herzen und voll lebendigen Mitfühlens tut, dann überzeugt er mit seinem Mitleid den anderen davon, dass Gott die Liebe ist.“ – aus einer Predigt zum Thema der Auferweckung der Tochter des Jairus von Metropolit Antonij von Sourozh
Статья

16. November 1980

Wir haben heute erneut eine Erzählung von zwei beeindruckenden Wundern Christi gehört: von der Heilung einer Frau und der Auferweckung eines verstorbenen Mädchens. Erfüllt sich nicht etwa jedesmal, wenn wir diese Geschichten hören, unser Herz mit Dankbarkeit und Freude?  Ich meine, wenn wir uns bewußt machen, dass damals unser Lebendiger Gott, der Große Gott vom Himmel, als gewöhnlicher Mensch auf der Erde gelebt hat und dass die Göttliche Liebe und Barmherzigkeit so voller Zärtlichkeit und Kraft auf die Nöte aller Menschen eingegangen ist: auf Hunger, Krankheit, Tod oder Sünde? Es scheint uns oft, dass diese Zeit lange zurückliegt und dass so etwas heute nicht mehr passiert. Doch darin irren wir uns, und zwar auf zweifache Weise.

Einerseits sehen wir, dass in der Tat überall auf der Erde Menschen im Namen Christi von körperlichen Leiden befreit werden. Wie oft ist es schon vorgekommen, dass irgendeine unheilbare Krankheit plötzlich von der Erde verschwunden ist, dass ein Mensch wieder gesund geworden ist und sich voller Kraft wieder dem Leben zugewandt hat. Sehr oft ist es so, dass durch diese Heilungen, wie auch hier in der Geschichte von der blutflüßigen Frau und der Tochter des Jairus, neben der Erlösung von den körperlichen Leiden auch noch der Schleier den Augen der Menschen genommen wird und sie beginnen Dinge zu sehen, die sie früher nicht sehen konnten: das Antlitz der unendlichen und grenzenlosen Göttlichen Liebe und die Kraft Gottes, von der sie berührt worden sind.

Andererseits berichten uns diese Erählungen auch davon, dass dies alles so hätte weiter gehen können bis in unsere heutige Zeit. Nicht nur was die körperlichen Heilungen anbetrifft, sondern viel mehr die  seelischen, d.h. das, was das wichtigste und bedeutsamste in einem Menschen ist. Es hätte so weiter gehen können, wenn wir uns nur der Verantwortung bewußt wären, die der Heiland uns aufgetragen hat für die gesamten Welt und alles in ihr. Lasst uns noch einmal diese zwei Erzählungen kurz betrachten.

Jairus war nicht nur besorgt, sondern voller seelischen Schmerzes und Erschrecken darüber, dass seine kleine Tochter im Sterben lag. Christus reagierte sofort auf dessen seelische Trauer und Not. Er liess alles, womit Er gerade beschäftigt war, liegen, um zu Jairus zu eilen. An einer Stelle im Evangelium sagt uns der Heiland: Ich habe euch ein Beispiel gegeben, wie ihr leben sollt, damit ihr diesem Beispiel folgen möget. Das ist das erste. Wenn du auf einen Menschen gestoßen bist, der in Not ist, wenn du den Schrei einer gequälten Seele gehört oder davon erfahren hast, dann geh, lass alles liegen, was du auch gerade für dich selbst tun magst. Sei es, dass du mit jemandem sprichst oder etwas liest, dass du ausruhst oder etwas wichtiges tust. Du wirst von jemandem anderen gebraucht. Deshalb geh!

So ist auch Christus gegangen. Er betrat das Haus des Jairus und dort lag die Tochter, die bereits gestorben war. Alle wussten, dass sie schon tot war und sprachen zu Ihm: Warum bist Du gekommen? Wir wissen doch, dass Du nichts mehr ausrichten kannst. So kommt es sehr oft vor.  Nicht irgendwo, sondern mitten unter uns. Da ist ein Mensch in seelischer Not und jemand möchte sich um ihn kümmern. Und wie oft bekommt dieser dann zu hören: Warum? Siehst du denn nicht, dass hier schon nichts mehr zu machen ist, dass du diesem Menschen mit Nichts mehr helfen kannst? Wieviel Jahre willst du mit ihm arbeiten, um dann endlich einsehen zu müssen, das alles nichts hilft und sinnlos ist? So haben die Leute auch zu Christus geredet. Wozu bist Du gekommen? Warum hälst du dich für etwas besonderes? Das Mädchen ist doch gestorben! Wir wissen das ganz genau, sehr wahrscheinlich jedenfalls. Und Christus antwortet ihnen mit wunderbaren Worten: Sie ist nicht gestorben, sie schläft nur, ihre Seele ist entschlafen.

Dies gleiche kann man auch von einer Unmenge anderer Menschen sagen, die wir treffen und von denen wir behaupten, dass in ihnen alles erstorben sei: jede Feinfühligkeit und Menschlichkeit, alles,  was einen Menschen schön macht. Und so bleibt diesem armen Wrack von Mensch nichts anderes übrig, als zwischen uns dahinzuvegiteren. Wir sollten uns dann jedoch der Worte des Heilandes erinnern: dieser Mensch ist nicht gestorben. Er schläft nur. Seine Seele ist eingeschlafen und erstarrt. Doch Du, Herr, sprich nur ein Wort und sie wird wieder erwachen.

Wir jedoch sind dazu berufen dieses Wort zu sprechen und niemand anderes. Bis ein Mensch das Evangelium zur Hand nimmt und die Worte des Heilandes hört, wie Er sie dort selbst spricht, kann sehr viel Zeit vergehen. Alles ist dort aufgeschrieben, gedruckt und deshalb ohne Leben für einen Menschen, der Christus in seinem Leben nocht nicht begegnet ist. Wenn aber die gleichen Worte jemand spricht, der ebenso Mensch ist und lebendig, einer von uns, und dies aus der Tiefe seiner mitfühlenden Seele, mit blutendem Herzen und voll lebendigen Mitfühlens tut, dann überzeugt dieser Mensch jenen anderen mit seinem Mitleid davon, dass Gott die Liebe ist. Dann wird auch jener Mensch zu neuem Leben erwachen. Lasst uns deshalb auf niemanden hören, der uns sagen will: Warum beunruhigst du Gott und den Meister: Sie ist doch gestorben! ... Denn dies ist nicht wahr!

Noch etwas möchte ich sagen: Unter Leuten, die in seelischer Not sind, sind oft solche, die an die Kirche nicht gewöhnt sind und nicht wissen, wie man sich in ihr verhält und in ihr lebt. Sie schlagen sich zu Gott oft auf sehr ungewöhnlichen und manchmal auch unschicklichen Wegen durch, so wie auch die Frau, die unter Blutfluss litt und den Heiland in der Menge berührte, was zu der damaligen Zeit unerhört war, denn sie hatte Ihn quasi mit ihrer Berührung befleckt. Der Heiland sprach zu ihr: Sei mutig! Dein Glaube hat dir geholfen! Wie vorsichtig müssen deshalb auch wir sein, damit wir nicht ebenso wie die Pharisäer und Schriftgelehrten - die Leute des toten Buchstabens - einem Menschen zu sagen wagen: Bleib du nur in deiner Not, wenn du nicht zu Gott gelangen kannst. Zu uns komme nur, so wie es sich gehört. Wie kannst du es wagen, zu Gott zu wollen in einer solchen Weise, wie sie die unsere beleidigt?

Das ist es, was mir in den Sinn kommt bei diesen beiden Erzählungen. Die dankbare Freude für Gott, der Jubel des Herzens über Ihn und jene strenge Warnung, dass Christus uns sein Beispiel gegeben hat, dass wir ihm folgen sollen. Denn wir können von Ihm lernen, wie wir denen begegnen sollen, die Weise und Erfahrenen als schon tot bezeichnen und wie wir uns denen gegenüber verhalten sollen, die sich aus Verzweiflung zu Gott stürzen und dies manchmal auf eine für uns sehr ungewöhliche Weise. Lasst uns all dies lernen, damit auch zwischen uns der Geist Christi herrschen möge.

Amen      

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