Zum neuen Jahr
„Das kommende Jahr liegt vor uns wie ... eine noch unberührte Zeit … wie eine schneebedeckte Ebene, weiss und makellos. Wir können diese Ebene betreten und auf ihr mit sicherem Gang des Glaubens nach vorne schreiten, d.h. mit grenzenlosem und völligem Vertrauen auf Gott und getragen von Hoffnung.  Lasst uns in das neue Jahr mit ... ehrlicher Buße gehen. Dies bedeutet nicht nur um das Vertane zu weinen, sondern vielmehr vor jeglicher Zerstörung, die wir in der Vergangenheit angerichtet haben, zu erschauern und sich Gott ganz zuzuwenden und zu Ihm zu treten, wie Petrus auf den Wellen Christus entgegengegangen ist. Er schaute nur auf Dessen Gesicht, nicht jedoch auf das unter ihm wütende Meer.“ – aus einer Predigt zum Jahreswechsel von Metropolit Antonij von Sourozh
Статья

31. Dezember 1967

Noch ein weiteres Jahr unseres Lebens haben wir heute bis zum Ende leben können, weil der Herr es uns gewährt hat. Wir gehen nun in ein neues Jahr und verkünden dabei nicht nur unseren Glauben an Gott ganz allgemein, sondern wir glauben auch an Sein Reich, welches kommen soll. Es wächst zuerst fast unbemerkt in unserer Seele, um dann jedoch als herrlicher Sieg für die gesamte Welt durch uns sichtbar zu werden.

Die Neujahrsandacht beginnt mit den Worten, die wir gerade gesungen haben: „Gepriesen ist das Reich des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes“. Wir gehen in das neue Jahr voller Glauben, dass dieses Jahr dem Reich Gottes gehören wird. Was bedeutet das? Wir blicken auf das vergangene Jahr zurück und die Gebete, die wir gerade gelesen und gesungen haben, sind getragen von Reue und Dank. Von Reue deshalb, weil wir uns im Verlaufe der vergangenen Jahre - jeder einzelne von uns - als unwürdig erwiesen haben, Mensch zu sein und Christ zu heißen. Ja, wir haben uns im Angesicht der Liebe Gottes und der Liebe der Menschen als treulos gezeigt. Jeder weiss, was er bereut, denn wir haben nicht immer und noch nicht einmal oft im vergangenen Jahr alles dafür getan, dass das Gottesreich, das Reich der jubelnden und ungeteilten und reinen Liebe, Wirklichkeit werde. Wir wissen, was es zu bereuen gilt, denn unter den Menschen sind wir Christen dazu berufen, mit Gott gemeinsam alles zu tun, dass auch die Menschen Seine Wege einschlagen mögen.

Doch es gibt auch etwas, wofür wir danken können. Ungeachtet der Tatsache, dass wir so oft nicht nach Seinen Maximen handeln, dass wir uns selbst und anderen mit so viel Schlechtem entgegentreten, behütet Gott uns trotzdem immer weiter durch Seine Gnade. Er hat unser Leben verlängert und uns darin unterstützt, wo wir stark sind. Er hat uns an Seinen Willen erinnert und uns darauf hingewiesen, uns um unser Heil zu sorgen. Es gibt also viel, wofür wir danken können. Er war uns in den kleinen und großen Dingen so nahe und hat uns so tatkräftig und voller Phantasie in unserem irdischen Leben begleitet. Danken können wir jedoch am besten indem wir uns anschliessen an den Dank, den die Kirche Ihm singt, an den Dank, der sich ausdrückt in der unheimlichen und zugleich wunderbaren Eucharistie der Göttlichen Liturgie, durch die wir schon jetzt beginnen können, das Leben der zukünftigen Welt zu leben.

Denn für wirklich alles Dank zu sagen - ohne das etwas ausgespart wird - zu danken für das ganze Leben, für den Kummer wie auch für die Freude, für das Leid ebenso wie auch für die Tröstungen, zu danken auch für alle die, die wir lieb haben, kann man nur, wenn man gelernt hat in allem den Sieg des Herrn sehen. Die Heilige Schrift sagt zu uns, dass eine Zeit kommen wird und die Märtyrer vor den Herrn treten werden um Ihm zu sagen: Ja, Herr, Du hattest recht. Alles läuft recht nach deinen Wegen.

Um aber auch für das Leiden danken zu können und für all den Kummer der Erde, muss man es lernen, diese mit dem rechten Lob zu betrachten - mit der Orthi Doxa. Man muss den Sieg des Herrn in allem vorraussehen können. Wenn dem nicht so ist, dann gerät der Dank schnell zu einer leeren Hülse, ja zu einer Gotteslästerung. Wir danken dann in keinster Weise, denn wir haben keine Kraft, wirklich Dank zu sagen, weil wir nicht in dem Reich leben, von dem unsere Gebete sprechen.

Was können wir also im nächsten Jahr tun, damit das Gottesreich auch in unseren Herzen erstrahlen möge und in unserem Leben erscheinen, um sich weiter über dessen Rand in das Leben der anderen zu ergießen, um immer breitere Bögen zu schlagen und sich auszubreiten auf die uns umgebende Welt wie ein Feuer oder wie die Morgenröte in der Früh? Wir sollten in den Geist dieses Reiches eintreten und all das noch einmal überdenken, was wir zusammen mit der Welt, die nicht für das Gottesreich lebt, für wichtig halten. Solange wir noch gemeinsam mit der Welt in Angst leben und  voller Gier und Hass sind, solange wir noch danach suchen, was uns Freude bringt, nicht aber danach, was anderen Menschen Leben schenkt, bauen wir noch nicht wirklich das Gottesreich, denn dieses ist das Reich der Liebe.

Liebe gibt es unter uns nur wenig. Deshalb ist es auch verständlich, warum all das, was für die frühen Christen so charakteristisch war, uns so fremd ist. Das Leben der frühen Christen zeigt uns aber auch gleichzeitig auf prophetische Weise die letzten Zeiten und eine Erwartung des Todes voller Liebe, Freude und voller Hoffnung. Wie der Apostel Paulus sagt: „Das Leben ist für mich Christus und der Tod ein Gewinn“. Solange wir dies noch nicht zu sagen vermögen, müssen wir mit Sicherheit und unter Tränen bekennen, dass wir noch immer ein Leben ohne Gott leben, auf einer Erde, die Gott nicht kennt, und dass unser Herz nicht da ist, wo unsere Zukunft ist, sondern da, wo unsere Knochen liegen werden, da, wo es nur Vergangenheit gibt.

Und noch etwas: Die frühen Christen haben mit großer Inbrunst und Sehnsucht den Tag des Herrn erwartet, den lichten Tag Seiner Wiederkunft, den Tag des Jüngsten Gerichtes, den Tag der großen Abrechnung, an dem sich alles vollendet. Wir stellen uns diesen Tag meist furchtbar vor und  wiederholen in unseren Herzen - wenn auch nicht in unseren Gedanken - jene Worte aus den kirchlichen Gesängen, die den Tag des Herrn mit Dunkelheit und Schrecken beschreiben. Wird uns dies etwa so durch den Herrn offenbart? Nein! Solange wir noch nicht gemeinsam mit der Kirche sagen können: Ja, Herr Jesus, komm! - müssen wir uns voller seelischem Schmerz und unter Tränen eingestehen, dass wir noch nicht begriffen haben, wie kostbar das Gottesreich ist. Wir müssen bekennen, dass es uns immer noch fremd ist.

Das kommende Jahr liegt vor uns wie eine neue Zeit, eine noch unberührte Zeit, die sich vor uns auftut, wie eine schneebedeckte Ebene, weiss und makellos. Wir können diese Ebene betreten und auf ihr mit sicherem Gang des Glaubens nach vorne schreiten, d.h. mit grenzenlosem und völligem Vertrauen auf Gott und getragen von der Hoffnung, dass alles, was geschieht, nicht nach unserem Willen geschieht, sondern nach dem Willen Gottes. Lasst uns in das neue Jahr mit einer unseren Kräften angemessenen Liebe gehen, sowie ebenso mit ehrlicher Buße. Dies bedeutet nicht nur, um das Vertane zu weinen, sondern vielmehr vor jeglicher Zerstörung, die wir in der Vergangenheit angerichtet haben, zu erschauern. Dies bedeutet gleichzeitig aber auch, sich Gott ganz zuzuwenden und zu Ihm zu treten, so wie Petrus auf den Wellen Christus entgegengegangen ist. Er schaute nur auf Dessen Gesicht, nicht jedoch auf das unter ihm wütende Meer.

Lasst uns mit Dankbarkeit in das neue Jahr gehen und es lernen, wirklich für alles Dank zu sagen, denn alles dient uns, von Gott gegeben, zum Heil. Alles ist eine Gabe. Das Lichte wie ebenso auch das Dunkle, das Bittere gleichfalls wie das Süße, der Kummer genauso wie die Freude. So werden wir dann immer weiter gehen, sodass das Gottesreich auf der Erde endlich heimisch wird. Das Reich der Liebe. Das erste Opfer für das Gedeihen dieses Reiches sollte jedoch unser Egoismus sein. Ich sollte meine Knochen am Rand dieses Reiches ablegen, in mir sollte all das sterben, was ihm entgegensteht. Denn nur dann, wenn das Reich im Herzen eines jeden von uns siegt, beginnt es auch um uns herum hell zu strahlen. Der Ruf des Herrn dazu ist streng und ohne Erbarmen. Gleichzeitig ist er aber auch voller Licht. Lasst uns deshalb in dieses neue Jahr als Kinder Gottes gehen, um die Welt Gottes zu erbauen, damit der Herr in dieser kalten, bitteren und zu einer Waise gewordenen Welt wieder gepreisen wird und Seine Freude wieder unter uns erblüht.

Amen

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