Gleichnis vom Verlorenen Sohn (Lk. 15,11-32)
„Der Vater nimmt den einen wie den anderen in gleicher Liebe an. Mit Kummer den einen, den Rechtschaffenden, mit Freude den anderen, der in seiner Seele bewahrt hatte, dass er einen Vater hat, dass er zum Vater zurückkehren kann, dass er ein Haus hat, was für ihn offen steht. ... Auch auf uns wartet der Vater. Doch wie furchtbar ist es, dass neben Ihm oft auch ein steinerner, verhärteter und scheinbar seelenloser älterer Bruder steht ..." - aus einer Predigt zum Sonntag des Verlorenen Sohnes von Metropolit Antonij von Sourozh
Статья

1969

Wie wunderbar und zugleich auch wie grausam ist dieses Gleichnis vom Verlorenen Sohn, welches wir so gut kennen, an welches wir uns so gut erinnert und welches uns in all seiner Größe jedes Jahr immer wieder neu in der Kirche begegnet und uns neue Kraft gibt, die geboren wird aus den neuen, noch bitteren und qualvolleren Erfahrungen unserer eigenen Sündhaftigkeit sowie auch aus dem in uns immer tiefer angerührten Bewusstsein, dass Gott uns in Seiner Barmherzigkeit immer wieder annimmt und neu aufrichtet.

Dieses Gleichnis erzählt auf der einen Seite von der Vielgestalt der Sünde, auf der anderen Seite berührt es jedoch auch den Kern jeder Sünde. Das Gleichnis zeigt uns die Sünde ganz nackt, genau so, wie sie ist, grausam und schonungslos. Der jüngere Sohn tritt an seinen Vater heran. Er ist voller Kraft und Elan, er dürstet nach Leben. Dieser Wunsch nach Leben, diese Gier will jedoch den Rahmen eines normalen häuslichen Lebens sprengen. Er kann deshalb nicht länger warten und bittet den Vater: „Vater, du hast dein Leben gelebt. Bis du jedoch sterben wirst, werden in mir die Lebenskräfte versiegt sein. All die Jahre hindurch, die du noch leben wirst, leben und noch nicht sterben, wird mein Lebensgeist verwelken. Stirb für mich, stirb und sei schon wie ein Toter. Ich brauche dich nicht, ich brauche nur das, was ich von dir erben werde. Gib es mir doch jetzt schon! Das, was du später zusammengespart haben wirst, brauche ich nicht, das jedoch, was du schon jetzt durch Liebe und Seelenmühe zusammengetragen hast, das teile auf und gib mir schon jetzt meinen Anteil. Danach soll mir alles andere egal sein. Wirst du am Leben sein oder nicht, das ist mir egal. Ich habe das ganze Leben noch vor mir."

So ist auch unser Verhältnis zu Gott. Vielleicht nicht so grob und direkt, doch ebenso grausam. Wir empfangen alles von Gott und sofort bringen wir es in jenes ferne Land, um es dort zu verjubeln und zu verprassen. Wir vergessen sehr schnell, dass es Ihn gibt, Er ist für uns praktisch wie tot, nachdem wir von Ihm alles bekommen haben, was wir brauchen, um in jenem fernen, leeren Land zu leben. Und so vergehen die Jahre und schreiten voran und sind vielleicht auch einige Zeit reich. Dann jedoch verarmen wir und alles versiegt, was wir aus dem Himmelreich davongetragen haben, verprasst und sinnlos vergeudet. Solange wir uns noch reich fühlen mit dem, was uns unser Vater gegeben hat, sind wir umgeben von ebensolchen Menschen wie wir, denen es jedoch gar nicht um uns geht, sondern die nur auf unsere Kosten leben wollen, sei es durch unsere Liebe zu ihnen, sei es durch unsere materielle Sicherheit, unsere menschliche Wärme, unseren Verstand, unsere Herzlichkeit, durch alles, was wir haben, was es auch sein mag.

Wenn es aber aufgebraucht sein wird, all das, was wir vom Vater erhalten haben, wenn es verbraucht sein wird, was wir von Gott empfangen haben, dann werden auch die Menschen beginnen uns zu meiden, weil so, wie wir mit dem Vater verfahren sind, die Leute auch mit uns verfahren werden. Es gilt das gleiche Gesetz. Wir empfanden nichts besonderes für unseren Vater, wir wollten einfach nur bekommen, was er uns geben konnte. Ebenso empfinden auch die anderen nichts besonderes für uns, auch sie brauchten uns nur, um durch uns all das nutzen zu können, was uns an Reichtum aus dem Vaterhause geschenkt wurde. So geben wir oft das Kostbarste für einen Groschen her. Dinge, die es in unserem Herzen als das Wertvollste, was wir im Leben besitzen, zu hüten gilt, geben wir voller Leichtferigkeit von uns, um Spass zu haben, um Freude zu machen und zu trösten. Hier steckt die Sünde.

Weiter sehen wir einen anderen Menschen, schon nicht mehr den jüngeren Sohn, sondern den Sohn, der es erst gar nicht verstanden hatte, was sein Vater für ihn war. Er war immer der wohlerzogene, er übertrat nie den Willen des Vaters, wie er es selbst von sich sagt: „Mein ganzes Leben war ich dir wie ein Sklave und habe dir mit allem gedient". Das slavische Wort „rabotat‘", welches arbeiten bedeutet, kommt vom Wort „rab", was mit Sklave übersetzt wird. Das ganze Leben fühlte er sich als einfacher Diener seines Vaters, um ein Dach über dem Kopf zu haben, etwas zu essen haben, menschlichen Umgang zu pflegen sowie auch einige Privilegien zu haben, die ihn wegen seiner Verwandschaft zum Vater über die Sklaven heraushoben.

Der jüngerere Sohn kehrt zerlumpt zum Vaterhaus zurück. Er hat alles verloren: seine Freude ebenso wie das Recht sich Sohn zu nennen. Auch wir meinen oft, alles verloren zu haben. Aber an der Türschwelle wartet auf ihn der Vater und ist voller Liebe. Als jedoch der ältere Sohn, der, der immer zum Haus gehörte, der immer beim Vater geblieben war und nie die Regeln dieses Hauses verletzt hatte, hörte, dass ein fremder, hungriger, erfrorener und verarmter Mensch ins Haus gekommen war, der einst auch zu diesem Hause gehörte, geht er fort und denkt für sich: Er hätte doch auch bleiben können, wo er war, in diesem fernen Land. Nun ist er zurückgekehrt und hat das halbe Vermögen des Vaters verprasst. Und nun? Was will der nun noch? Hat der es jetzt auch noch auf den anderen Teil abgesehen? Und er nennt ihn, wie auch wir uns öfter ausdrücken: „Dieser dein Sohn". Er sagt nicht, „mein Bruder", nein, er ist für ihn kein Bruder mehr, sondern ein Fremder. „Dieser dein Sohn, der alles, was er hatte, mit Dirnen durchgebracht hat, ist zurückgekehrt und Du willst ein Fest bereiten und freust Dich, dass irgendein Fremder zurückgekehrt  ist? Für mich wird dann viel weniger übrigbleiben!" Und der Vater wendet sich an seinen älteren Sohn voller Zärtlichkeit: „Dein Bruder ist zurückgekehrt. Er war tot, doch jetzt lebt er wieder. Er ist verschollen gewesen, doch jetzt haben wir ihn wieder. Sollten wir etwa deshalb nicht fröhlich sein und jubeln?

Lasst uns auch auf uns schauen. Wem sind wir ähnlich? Dem verlorenen Sohn oder dem rechtschaffenden? Voller Kummer werden wir feststellen müssen, dass wir beiden ähnlich sind in allem, was an ihnen nicht rechtens ist. Können wir die Rechtschaffenheit des älteren Sohnes aufweisen? Haben wir das vertrauensvolle Gefühl, Sohn zu sein, wie der Jüngere es hatte? Der Jüngere hätte den Älteren bei sich aufgenommen, er hätte sich nicht abgewandt, er wäre ihm kein Fremder gewesen. Der Vater nimmt den einen wie den anderen in gleicher Liebe an. Mit Kummer den einen, den Rechtschaffenden, mit Freude den anderen, der in seiner Seele bewahrt hatte, dass er einen Vater hat, dass er zum Vater zurückkehren kann, dass er ein Haus hat, was für ihn offen steht. Der Jüngere hatte nicht angenommen, dass der ältere Brüder ihm die Tür vor der Nasen zuschlagen würde, er hatte nur gedacht, dass der Vater, der bereit war, für ihn zu sterben, ihm Leben geben wird. Dies gilt auch für uns: „Kommet zu mir, die ihr Mühe habt und beladen seid und ich werde euch Ruhe schenken". Auf uns wartet der Vater. Doch wie furchtbar ist es, dass neben Ihm oft auch ein steinerner verhärteter und scheinbar seelenloser älterer Bruder steht, der immer im Hause des Vater weilte und der nun nicht bereit ist einen Fremden aufzunehmen.

Amen       

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