Gleichnis vom Reichen und Lazarus (Lk. 16,19-31)
„Wir alle sind sowohl arm als auch reich und von uns selbst hängt es ab, wie wir vor dem Angesicht Gottes stehen werden. Vernebeln uns Wohlstand, Ruhe, Stille ... den Blick dafür, dass auch vor unserer Tür ein Lazarus vor Hunger stirbt, physisch oder auch aus Durst nach Barmherzigkeit? Verdeckt unser Erfolg uns den Blick in die Tiefe des Lebens, die Frage nach seinem Sinn, seinem Ziel und davor, dass wir eigentlich auf dem Weg sind hin zu einer Begegnung mit Gott und dass diese Begegnung die wichtigste sein wird in unserem Leben . ... Müssen etwa auch wir so viel Leid ertragen wie Lazarus, um zu Gott zu gelangen? Muss etwa über uns erst ein extremes Leid hereinbrechen, damit wir zu uns kommen, in uns gehen und uns im Zusammenhang  eines  großen und bedeutsamen menschlichen Schicksals zu sehen beginnen?" - aus einer Predigt zum Gleichnis des Reichen und Lazarus von Metropolit Antonij von Sourozh
Статья

2. November 1969

Worin besteht die Schuld des Reichen und worin die Rechtfertigung des Armen? Aus der heutigen Evangeliumsperikope könnte man schliessen, dass das Gericht Gottes den Reichen allein deshalb bestraft, weil dieser reich war und sich auf der Erde des Lebens erfreute und dass Lazarus nur allein zum Trost für all das Leid, das er auf der Erde erfahren hatte, Freude und Ruhe im Schoße Abrahams gewährt wurde.

Doch so einfach ist es nicht. Es ist nicht die Schuld eines Menschen, dass er reich ist und ebenso ist es kein Verdienst für einen Menschen, wenn er arm ist. Im Evangelium treffen wir eine ganze Reihe von materiell gut gestellten Menschen, aus der Geschichte der Kirche kennen wir noch viele viele mehr. Die meisten von ihnen waren aufgrund ihres Überflusses an allem sogar eine Freude und ein Segen für viele andere, weil sie barmherzig waren, voller Mitleid und Milde. Auf der anderen Seite kennen wir viele Menschen, die wegen ihrer Armut verbittern und hartherzig sind, die keinerlei Mitleid für die zeigen, die ebenso wie sie in Not sind. Nicht darum geht es. Weder Armut ist ein Unterpfand für unser Heil, noch führt uns Reichtum als solcher zum Verderben.

Wenn wir jedoch genauer hinsehen, wie Christus uns in wenigen Worten den Reichen und den Armen beschreibt, dann sehen einen Menschen, der reich war, der alles hatte, der mehr hatte, als er brauchte und dessen Leben nur aus Festmahlen und Belustigungen bestand, vor dessen Tor jedoch ein Armer lag. Scheinbar hat sich sein Herz nie erweichen lassen während all dieser Festgelage. Er hat alles genossen, was ihm das Leben bot, doch dabei nie Mitleid für jene empfunden, die von all dem nichts hatten. Ihm stand der Sinn nur nach Spaß haben, doch in ihm war keine Freude. Freude will teilen, so wie es die Wärme und das Licht tun. Ein Spass ist immer nur ein Vergnügen für den, der ihn macht wie auch nur für die, die mit ihm in einer lustigen Runde sich die Zeit vertreiben. Der Reiche verlebte seine Tage, ohne überhaupt einmal daran zu denken, warum er lebt und wie andere leben. Zugleich jedoch hungerte und litt vor seiner Tür ein Mensch.

Dieser Mensch wiederum war nicht deshalb geistig reich, weil er litt, sondern weil sein ganzes Leben ein einziger Schrei um Hilfe war, ein Flehen um Mitleid und Barmherzigkeit. Und so wie der Reichtum im Bewußtsein des Hausherren die Frage nach dem Sinn des Lebens, wie er sterben wird und was danach kommt, vernebelt hat, so hat der Arme sein ganzes Leben im Angesicht dieser Fragen verbracht. Warum? Wozu? Wofür all dieses Leid, all diese Entbehrungen? Und was kommt alles noch?

Einer lebte am Leben vorbei, der andere schaute tief ins Mark des Lebens. Der eine starb, ohne dass andere es groß bemerkten und die Engel des Herrn trugen seine Seele zu einem Ort der Ruhe. Der andere starb und wurde während einer pompösen Trauerfeier beigesetzt, seine Seele jedoch, völlig leer, konnte schon nicht mehr lachen, denn es gab nichts mehr, wovon sie sich nähren sollte. Sie war gewohnt sich allein von irdischen Dingen zu nähren. Deshalb geriet sie an einen Ort, der für sie ebenso leer war, wie sie selbst. Nicht deshalb nur, weil er sich belustigte, nicht nur, weil er reich war, war ihm jener Ort des Leides bestimmt, sondern weil er bei all dem nichts tat, um dieser furchtbaren Tatsache, dass ein Bettler vor seiner Türe hauste,  Abhilfe zu schaffen. Und so vermochte  er auch an jenem Ort, an dem der Mensch im vollen Angesicht die Liebe Gottes schaut, nichts anderes tun, als sich zur Finsternis zu kehren.

Unter uns gibt es wenige Reiche und ebenso wenig Arme in den Ausmaßen wie es Lazarus war, wenn wir auf der einen Seite den Hausherrn, vor dessen Schwelle Lazarus sein ganzes Leben hungerte, und jenen selbst  auf der anderen Seite, betrachten. Doch wir alle sind sowohl arm als auch reich und von uns selbst hängt es ab, wie wir vor dem Angesicht Gottes stehen werden. Vernebeln uns Wohlstand, Ruhe, Stille, die nur von kleinen Stürmen ab und an gestört wird, den Blick dafür, dass auch vor unserer Tür ein Lazarus vor Hunger stirbt, physisch oder auch aus Durst nach Barmherzigkeit? Verdeckt unser Erfolg uns den Blick in die Tiefe des Lebens, die Frage nach seinem Sinn, seinem Ziel und davor, dass wir eigentlich auf dem Weg sind hin zu einer Begegnung mit Gott und dass diese Begegnung die wichtigste sein wird in unserem Leben und dass sie ganze real ein grausames Gericht  sein wird, wenn sich dann in uns kein Fünkchen Liebe, reine, wahre Liebe finden lassen wird? ... Wie können wir etwas von jenem Lazarus lernen, der vor den Toren des Reichen hungerte und fror, wenn wir ständig über alles klagen? Jener hat sich gefunden. Hunger und Kälte, Einsamkeit und Not haben ihn in sich kehren lassen und in dieser inneren Tiefe stand er vor dem Angesicht Gottes. Müssen etwa auch wir so viel Leid ertragen wie Lazarus, um zu Gott zu gelangen? Muss etwa über uns erst ein extremes Leid hereinbrechen, damit wir zu uns kommen, in uns gehen und uns im Zusammenhang  eines  großen und bedeutsamen menschlichen Schicksals zu sehen beginnen? ...

Lasst uns in diese zwei Figuren hineinschauen. Wir können uns nicht aus der Verantwortung ziehen bei dem kommenden Gericht. Wir wissen zu viel. Wir kennen den Willen Gottes, wissen Seine Liebe, vor uns werden alle Evangelien aufgeschlagen werden und sie werden uns dann entweder Wegweiser oder aber auch Gericht sein. Wer sind wir? Lazarus oder der Reiche? Wenn wir uns eher als Reicher fühlen, den die Leidenschaften schon aufzufressen begonnen haben, dann lasst uns inne halten solange wir noch in diesem Leben sind, solange es noch irgendeine Kraft in der Seele oder im Körper gibt! Lasst uns jetzt umkehren und neu aufleben!

Amen             

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