Über das Gebet des Ephrem von Syrien
„Aus der Schau der Größe des Menschen und der Herrlichkeit Gottes wird im Menschen die Demut geboren. Nicht aber aus dem ständigen Sich Bewusstmachen der eigenen Misserfolge oder der eigenen Unwürdigkeit. … Demut, im englischen humility, kommt vom lateinischen Wort humus. Fruchtbarer Boden. Dies ist ein sehr passendes Bild. Die Erde, der Boden ist immer da. Auf ihm gehen wir und er lässt mit sich machen, was wir wollen. Er nimmt unseren Müll auf, aber auch lebendigen Samen und Sonnenstrahlen und Regen. Er  kann alles aufnehmen und daraus Früchte hervorbringen. Man denkt nicht an ihn. Er schweigt. Er hält alles aus und bringt doch Frucht.  Darin besteht Demut.“ – aus einer Gespräch über das Gebet von Ephrem dem Syrer von Metropolit Antonij von Sourozh
Статья

Ich wollte noch einiges sagen über das besondere Gebet der Großen Fastenzeit, über das Gebet des Ephrem von Syrien, denn wir habe uns an den Wortlaut des Gebets zu sehr gewöhnt uns einiges verstehen wir nicht recht. In beidem liegt eine Gefahr. 

Der Beginn: Herr und Gebieter meines Lebens – ist ein Bekenntnis zur Existenz Gottes, ist ein Ausdruck dafür, dass wir Ihn als unseren Herrn ansehen, als Schöpfer aller Dinge, dass Er alles durch seine Vorsehung lenkt, dass Er es ist, der uns alles gibt, dass auch Er die Menschen richten wird, dass Er allmächtig ist und in der Herrlichkeit lebt. Wir sehen auf den Herrn in seiner Größe. Der Bezug zu Gott als Herr und Gebieter verstand Ephrem aber  nicht nur auf dieser objektiven Ebene. Gott ist für ihn nicht nur formal der Herr und Gebieter. Ephrem hatte sich seinen Herrn selbst gewählt, als geistlichen Wegweiser, dessen Spuren er folgen wollte. Wenn er auch uns dazu aufruft, Christus als Herrn zu bekennen und Ihn Gebieter zu nennen, meint er wirklich manchmal noch mehr, als wir bereit sind, darunter zu verstehen. Wenn wir Christus unseren Gebieter nennen wollen, ohne dass uns dies einmal zur Last gelegt werden kann, reicht es nicht aus: „Herr! Herr!“ zu rufen. (davor warnt uns Christus selbst). Es kommt darauf an, Seinen Willen zu tun und nicht nur Seine Worte zu verkündigen.

Wenn wir diese Worte aussprechen, wenn wir über sie nachdenken, dann sollten wir uns die Frage stellen, was diese Anerkennung Gottes als Herrn über unser Leben für unsere Leben bedeutet. Heißt dies, dass ich Ihn ganz objektiv als meinen Herrn ansehe? Erkenne ich an, dass wirklich alles in Seiner Hand liegt? Gebe ich zu, dass ER es war, Der uns aus dem Nichtsein in unsere Existenz berufen hat und wird deshalb irgendwann einmal vor Ihm Rechenschaft ablegen müssen, dass ER der Geber von allen ist und der Richter aller Menschen? Doch auch auf der Ebene der menschlichen Gesellschaft behauptet jeder Verbrecher, dass alle irdische Macht nur relativ ist. Wenn wir von Christus sprechen als unseren Gebieter, dann sollten wir uns der vollen Verantwortung unserer Worte bewusst sein und daran denken, dass wir irgendwann einmal für diese Worte einstehen müssen. Niemand hat uns gezwungen, Jesus Christus als unseren Herrn zu bekennen, Ihn Gebieter zu nennen. Wir sind frei, dies zu tun aber auch zu lassen. Doch wenn wir es für uns so entschieden haben, dass Jesus Christus unserer Herr ist, dann tragen wir dafür auch unsere Verantwortung.

Gib mir nicht einen Geist der Faulheit, der Verzagtheit, der Machtgier und der Schwätzerei.

Der Geist der Faulheit (man kann dieses Wort im Original sehr verschieden übersetzen) hat in erster Linie mit dem Zustand unserer Seele zu tun, wenn in ihr kein Leben ist, wenn sie so vor sich her schlummert und erkaltet ist. Er ist ein Ausdruck für Leere in uns. Es ist die Leere, die das Evangelium mit einem leeren Haus bezeichnet, aus dem der böse Geist vertrieben worden ist. Es ist aufgeräumt, sauber und bereit, Gäste zu empfangen. Und doch ist es leer. Und das Evangelium sagt weiter, wie dann der vorher vertriebene böse Geist zurückkehrt und, wenn er nun sieht, dass es sauber und aufgeräumt ist, andere sieben noch furchtbarere Geister ruft und diese sich wieder in dieses leere Haus einnisten (Mt. 12,43-45). Das ist eine Warnung an uns. Wenn unsere Seele leer ist, wenn unser Herz leer ist und unser Verstand, wenn unsere Worte leer sind, ohne Geist und Leben - das doch eigentlich Dem gehört, Den wir als unseren Herren und Gebieter bekennen - dann ergreift sie, dann erfüllt sie etwas anderes. Deshalb ist das erste, wovor uns der Herr bewahren soll, der Geist der Faulheit, der Schläfrigkeit, der Leere – wie viele Wörter bezeichnen ein dasselbe – der der Grund für jegliche Zerstörung ist.

Das nächste: die Verzagtheit. Wenn wir in uns diesen Zustand, den ich gerade beschrieben habe, feststellen, dann sollten wir irgendwie handeln. Dafür bedarf es Entschiedenheit und Mut. Doch wir verzagen. Es ist so einfach auf etwas Besseres zu hoffen und doch so schwer, sich von der Stelle zu rühren. Es ist viel einfacher auch weiterhin in einer Welt der Illusionen zu leben, als wirklich aufzuwachen. Doch ein wirklicher Held ist der, der aufgewacht, der von sich schüttelt alle Schläfrigkeit, wer wirklich wachsam ist. Es ist derjenige, der nach den Worten vom Heiligen Serafim von Sarow entschlossen ist, lieber seine Ruhe und alles, was ihm teuer ist, entbehren zu müssen, als ohne Gott zu leben. Darin besteht der einzige Unterschied zwischen einem Sünder, der an seiner Sünde zugrunde geht, und einem Heiligen, der seiner Berufung gerecht wird, weil er Verzagtheit und Trübsinn in sich überwindet.

Trübsinn ist Schlummern sehr ähnlich. Man lässt alles laufen, wie es so geht. Man flüchtet sich lieber eine Traumwelt, in eine virtuelle Welt, in die Illusionen. Der Schlummer wartet nicht auf die Nacht. Man schließt die Augen und könnte denken, es ist Nacht und Zeit zum Schlafen. Und ist es nicht merkwürdig, dass gerade dann, wenn uns die Kraft nicht ausreicht, etwas zu tun, wir uns voller Stolz in eine Welt der Macht und des Erfolges träumen? Wenn wir aber beschäftigt sind mit einer Sache, die unsere gesamte Aufmerksamkeit erfordert, dann ist das erste, was wir uns erträumen, die Sache auch zu leiten, dann erwacht in uns der Hunger nach Macht, dann treibt uns der Stolz.

Neben unserer Verzagtheit steht unsere Feigheit, stehen Schlaffheit und ein Leben in Illusionen. Und in diesen Illusionen träumen wir von Macht, von Stärke und die damit verbundene Grausamkeit und Grobheit.

Geschwätzigkeit. Es geht nicht darum, dass wir viel reden. Natürlich ist auch das damit gemeint. Doch es geht vielmehr um die Nichtigkeit unserer Worte. Unsere Worte tragen keine Früchte. Diese Fruchtlosigkeit wurzelt in  Verzagtheit, Trübsinn und Träumerei, die zu Machthunger führt. Und so reden wir, wenn es eigentlich nicht sein sollte und leben in unserer Phantasie, statt in der realen Welt. Dies ist sehr wichtig, denn die Welt Gottes ist die Welt der Wirklichkeit. Die Welt des Satans ist die Welt der Illusionen, die virtuelle Welt. Die Welt Gottes ist ganz real und in ihr bestehen all die Schwierigkeiten und die Grausamkeiten der realen Welt. Der Satan schlägt uns eine Welt vor, in der nichts wirklich ist, obwohl alles möglich erscheint. Wir fühlen uns dann stark. Unser Stolz ist befriedigt. Wir können uns innerlich rühmen. Wir können uns anders denken, als wir in Wirklichkeit sind. Wir sind wichtig und mutig, obwohl wir noch nichts getan haben. Wir schlafen und die wirkliche Welt gehört denen, die wach sind.

So geht es in den ersten Worten des Gebets um das Allerwichtigste. Wenn ich Gott als meinen Herrn und Gebieter anerkenne, wenn ich mich bemühe, in der Wirklichkeit zu leben, wenn ich darum ringe, die dämonische Welt der Phantasie und Virtualität von mir zu stoßen, wenn ich mit allen Kräften versuche, wirklich zu leben, um dem Tod zu entkommen – denn Leben und Wirklichkeit gehen Hand in Hand, so wie der Tod zusammen mit der Illusion – dann sollte ich begreifen lernen, was konkret und ganz real diese Worte bedeuten: Sie beschrieben nicht nur einen Zustand in der Seele, sie sind vielmehr ein Programm zum Handeln, denn jedes dieser Worte sollte für uns eine Herausforderung darstellen, eine Losung, eine Devise, die uns dazu zwingt, auf bestimmte Weise zu agieren.

Wie? – das verraten uns kurz die nächste Zeile: Gib mir, Deinem Knecht, vielmehr einen Geist der Keuschheit, der Demut, der Geduld und der Liebe.    

Keuschheit ist nicht nur eng in ihrem Bezug auf unseren Leib zu verstehen, so wie auch Jungfäulichkeit nicht nur ein physischer Zustand ist. Keuschheit beginnt in dem Moment, in dem wir uns der erstrangigen Wertmaßstäbe bewusst werden und uns um sie bemühen: um Gott und um den Menschen, wenn wir in unserem Verhältnis zu Gott und zu dem Menschen (uns selbst eingeschlossen) ehrfürchtig auftreten, wenn wir unseren eigenen Leib so ehren, wie wir es mit dem Brot und Wein tun, die sich in den Leib und das Blut Christi verwandelt haben, wie wir den Leib des Mensch gewordenen Gottes verehren würden und daraus schlussfolgernd  jeden ehren würden, dem wir begegnen. Keuschheit beginnt damit, dass wir begreifen, dass jeder Mensch zur Ewigkeit berufen ist, dass er wertvoll ist in den Augen Gottes, dass er das Heil erlangen aber auch ins Verderben stürzen kann. Der Mensch kann ein Objekt der Verehrung sein und wir sind dazu aufgerufen, wie Christus gesagt hat, als er Seinen Jüngern die Füße wusch, dass auch wir einander die Füße waschen, dass wir einander treu sein und einander in Demut und Liebe dienen sollten. Nur wenn wir in einem solchen Geist leben, können wir ihn im gesamten Menschen zum Blühen bringen: in der Seele, im Leib und einen solchen Zustand der Seele, des Verstandes und des Herzen erreichen, der uns zu einer völligen und ständigen Reinheit des Leibes führt, was wir dann als Keuschheit bezeichnen.

Demut ist etwas viel Größeres als die traurige Karikatur, die wir oft darstellen. Es scheint uns, dass Demut darin besteht, dass wir uns immer wieder einreden, keiner Beachtung durch andere würdig zu sein, obwohl wir in Wirklichkeit so nach ihr dürsten. Oder wir behaupten, dass wir etwas Unwichtiges geleistet haben, obwohl wir eigentlich wissen, dass wir etwas Gutes und Wichtiges getan haben. Es hätte aber keinen Wert, weil wir es getan haben. Das ist keine Demut. Wirkliche Demut heißt in erster Linie, sich selbst zu vergessen und sich dabei ernsthaft, tiefgreifend und kreativ um Gott und seinen Nächsten zu kümmern. So, dass wir gar kein Interesse daran haben, uns auf uns selbst zu konzentrieren. Es ist ein Zustand, in dem wir, wenn wir uns plötzlich wichtig nehmen, zu uns sagen: Geh mir aus dem Weg! Du bist kleinlich und niedrig und so uninteressant! Ich möchte mich mit sehr viel Wertvollerem beschäftigen!

Demut hängt auch mit dem Sieg über unsere Sucht nach Anerkennung und über unseren Stolz zusammen. Demut steht in Verbindung mit Ruhmsucht. Nicht nur, weil sie ganz offensichtlich ihr Gegenteil darstellt. Ehrsüchtig ist vielmehr der, der nach Anerkennung in den Augen der Menschen strebt, nicht aber von Gott. Wenn man aber bedenkt, von welchen Menschen wir uns Anerkennung erhoffen oder wofür wir gerne gelobt werden wollen, dann sehen wir, wie niedrig wir uns selber machen durch diese Sucht nach Anerkennung. Der Anlass für diese Ruhmsucht kann etwas sehr Unbedeutendes sein: ein Witz, ein Erfolg, der eigentlich in keinem Verhältnis zur eigentlichen Größe des Menschseins steht. Es kann sein, dass wir sogar denjenigen, die uns verachten, aber trotzdem beklatschen, noch dankbar sind für ihr Lob. In beiden Fällen, sei es nun wegen des  Anlasses oder wegen der Leute, macht uns die Ehrsucht zu unwahrscheinlich kleinen, leeren Wesen, die eigentlich zu nichts Nütze sind. Sie führt uns zur Nichtigkeit. Demut beginnt vielmehr da, wenn wir anfangen, unsere Urteile nicht mit denen der Menschen zu vergleichen, mit den oberflächlichen und zufälligen Bemerkungen der Leute, sondern mit der wahren Größe des Menschseins, mit der Fülle der Wahrheit Gottes. Demut besteht darin, kein anderes Maß für sich anzunehmen, als nur die Größe des Menschseins vor dem Urteil Gottes.

Das ist der Grund, warum die Heiligen demütig waren, warum sie begriffen hatte, wie groß der Mensch ist und gleichzeitig, wie weit sie selbst von ihrer Berufung entfernt waren. Denn sie wussten, dass uns die die wirkliche Größe des Menschen in Jesus Christus offenbart worden ist (Röm. 5,15). So konnten sie mit wahrer Demut sich eingestehen, wie unwürdig sie doch selbst waren. Denn sie wussten, dass Gott wollte, dass wir Seine Freunde seien, Seine engen Weggefährten. Und so konnten sie auch das ganze Ausmaß und die Tiefe unseres Falls begreifen und den Abgrund zwischen uns und Ihm ermessen und so ihrer Demut beweisen. Aus der Schau der Größe des Menschen und der Herrlichkeit Gottes wird im Menschen die Demut geboren. Nicht aber aus dem ständigen Sich Bewusstmachen der eigenen Misserfolge oder der eigenen Unwürdigkeit. Darüber habe ich schon einige Male gesprochen: Demut, im englischen humility kommt vom lateinischen Wort humus. Fruchtbarer Boden. Dies ist ein sehr passendes Bild. Die Erde, der Boden ist immer da. Auf ihm gehen wir und er lässt mit sich machen, was wir wollen. Er nimmt unseren Müll an, aber auch lebendigen Samen und Sonnenstrahlen und Regen. Er  kann alles aufnehmen und daraus Früchte hervorbringen. Man denkt nicht an ihn. Er schweigt. Er hält alles aus und bringt doch Frucht.  Darin besteht Demut.

Geduld ist ein anderes gehaltvolles Wort. Es ist nicht nur die Fähigkeit geduldig seinen Nächsten zu ertragen. Es ist die Fähigkeit, Leid auszuhalten, Schwierigkeiten, Einschränkungen, beliebige Lasten zu tragen, angefangen von sich selbst bis hin zum Tod am Kreuz. Geduld bedeutet Kraft, Glauben, Schweigen. Dies alles führt uns auch zur Liebe und beginnt in der Liebe.   

Liebe ist die Fähigkeit alles zu geben, was man hat: auch sich selbst. Es ist die Fähigkeit, den anderen voller Ehrfurcht in seinem Anderssein anzunehmen, voller Verehrung und Freude. Es ist die Fähigkeit, sein Leben für seine Freunde hinzugeben und Opfer zu bringen. Wenn hier Parallelen zu dem vorher Gesagten gezogen werden sollen – und das schlage ich euch vor, selber zu tun – kann man sehen, dass in der Liebe die Antwort auf die ersten vier Bitten enthalten ist. So lebt der, der für die Wirklichkeit erwacht ist, der vor dem Angesicht Gottes und des Menschen, vor sich selbst und vor seiner eigenen Berufung wandelt, der bereit ist, zu handeln und der all dies als Grund und als Endziel betrachtet, mit Liebe, denn sie ist die Fülle des Lebens.

Und am Ende beten wir, obwohl wir damit auch hätten beginnen können, denn für Ephrem dem Syrer war dies vielleicht die gewohnteste Erfahrung des Lebens: Herr und König, lass mich meine eigenen Sünden erkennen und nicht meinen Bruder verurteilen!

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