Sonntag des Blindgeborenen (Joh. 9,1-38)
„Unsere Berufung besteht darin, dass wir die Welt verwandeln ... und eben nicht darin, dass wir selbst immer wieder der Fürsorge Gottes bedürfen. Wir Christen haben dem Christentum das Salz genommen, wir haben es schwach und kraftlos werden lassen, weil wir die Geschichte nicht als den Tag des Menschen begreifen, an dem es uns zukommt schöpferisch zu wirken. ... Christus jedoch hat uns, am Abend nach Seiner Auferstehung dazu berufen, in die Welt zu gehen, so wie auch Er in die Welt gekommen war, um von der Liebe zu künden ..." - aus einer Predigt zum Sonntag des Blindgeborenen von Metropolit Antonij von Sourozh
Статья

11. Mai 1980

Ich möchte euch auf zwei Dinge der heutigen Evangeliumsperikope aufmerksam machen. Das erste ist folgendes: Der Herr vollbrachte immer wieder an einem Sabbat Seine Wunder. Das rief bei all jenen Unmut hervor, die mit peinlichster Genauigkeit und Strenge, ja sogar fanatisch das Gesetz beachteten.

Nicht jedoch um sie zu beleidigen, handelte Christus so. Gott hat die Welt in sechs Tagen erschaffen und am siebten ruhte Er von seinen Werken aus und übergab die Sorge um die Welt den Menschen. Die gesamte Geschichte, von der Erschaffung der Welt bis zum Jüngsten Gericht ist nun der Tag des Menschen, an dem dieser mit seiner Arbeit die Früchte der Schöpfung darbringen soll, an dem dieser die Schöpfung zu ihrer Vollendung bringen und zur Vereinigung mit ihrem Schöpfer führen soll. ...

Der Mensch ist trotz seiner Berufung einen anderen Weg gegangen. Wir waren berufen, die Welt zur vollendeten Schönheit und Harmonie mit Gott und mit uns selbst zu führen, statt dessen jedoch haben wir sie besudelt und sie vieler ihrer Schönheiten beraubt. Doch Christus, Der einzige wahrhafte Mensch, ist gekommen, Der einzigste in voller Harmonie mit Gott, Der einzigste, Der es vermochte vollens die Aufgabe zu erfüllen, die dem Menschen aufgetragen war. Und wenn Er die Wunder am Sabbat tut, dann ist dies ein Zeichen dafür, was auch wir aus der Geschichte, was auch wir aus unserem Tag des Menschen machen sollen,  aus diesem Tag, an dem wir leben, den Gott uns gegeben hat, damit wir uns bemühen, aus ihm einen Tag des Herrn zu machen.

Das zweite, was ich euch sagen will, steht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem ersten: Wenn wir im Evangelium über das Wirken Gottes lesen, über Seine Predigt und Seine Wundertaten, dann streben wir zu Ihm mit der Hoffnung, dass Er auch mit uns ein Wunder geschehen lassen möge. Dabei vergessen wir, dass Christus gesagt hat, dass Er uns nur Beispiele gegeben hat, welchen wir folgen sollten: Das, was Er bewirkt hat, sind auch wir berufen zu bewirken, denn in der Tat vermag der Glaube - so wie es der Herr selbst gesagt hat - in Christus noch viel größere Wunder vollbringen, als Er selbst auf der Erde getan hat.

Unsere Berufung besteht darin, dass wir die Welt verwandeln, dass wir sie verwandeln in ihrer tiefsten Wurzel und eben  nicht darin, dass wir selbst immer wieder der Fürsorge Gottes bedürfen. Wir Christen haben dem Christentum das Salz genommen, wir haben es schwach und kraftlos werden lassen, weil wir die Geschichte nicht als den Tag des Menschen begreifen, an dem es uns zukommt schöpferisch zu wirken. Für uns ist sie nur eine Zeit, in der Gott immer wieder neu Seine Gnade, Seine Hilfe und Barmherzigkeit auf uns Menschen, auf Seine kleine Herde ausgiesst. Christus jedoch hat uns, am Abend nach Seiner Auferstehung dazu berufen, in die Welt zu gehen, so wie auch Er in die Welt gekommen war, um von der Liebe zu künden, um von Gott zu künden und unsere Mission so zu erfüllen, wie auch Er selbst sie erfüllt hat, mit dem Preis unseres Lebens, indem wir unser Leben hingeben, damit andere leben mögen, und ebenso mit dem unseres Todes, wenn es sein muss, damit andere auferweckt würden zum Leben.

Wir sind sehr weit abgekommen von unserer Berufung.  Statt dessen rufen wir Gott um Hilfe immer wieder in den Momenten an, in denen Er uns aufgetragen hat, selbst nach vorn zu drängen, selbst zu gehen und Seine Stelle auf der Erde auszufüllen. Der Apostel Paulus meint genau dies, als er sagte: „Ich vollende in meinem Leib - d.h. in seinem Wesen, in seiner Seele und Leib - die Leiden des Herrn" ...

Christus ruft uns auf, uns selbst zu vergessen, von uns selbst abzusehen, weil wir selbst unser eigener Stein des Anstoßes sind, der uns im Weg liegt und uns daran hindert unsere Berufung zu erfüllen: Das sind zum einen die Angst um unseren Leib, die Angst vor ethischem und seelischem Leiden, Angst vor all den Dingen, die zu erfüllen wir berufen sind. Wir fürchten den Tod, obwohl wir ebenso laut verkünden, dass Christus den Tod besiegt hat. Wo ist also unser Glaube? Wir trauern, wenn jemand stirbt, obwohl wir wissen, dass der Tod gar nicht mehr existiert, dass er nur ein rein äusserliches Entschlafen ist, während die lebendige Seele im Angesicht ihres Lebendigen Herren jubelt und sich freut.

Wir sollten es lernen, uns selbst aus dem Weg zu räumen, wenn Angst, Geiz und was es nicht noch alles so sein kann, uns so auf uns selbst konzentrieren lässt, dass es uns nicht gelingen will, das zu erfüllen, wozu wir berufen sind: von der Liebe Gottes zu zeugen, von Seinem Mitleid und Seiner Wahrheit. In diesem Fall sollten wir zu uns selbst sagen: Geh mir aus dem Weg Du Satan, Du Gegner und Feind Gottes! Du hast nicht die Dinge Gottes im Sinn. ...

Wenn wir wirklich Christen sind, dann sollten wir die Worte des Geistes und der Kirche wiederholen, wie sie in der Offenbarung des Johannes geschrieben stehen: Ja, Herr Jesus, komm, komm schnell! Wir jedoch, viele von uns, sehnen sich gar nicht und warten überhaupt nicht auf die Wiederkehr der Herrn, weil für sie dieser Tag der Tod aller Dinge auf der Erde bedeutet und die Begegnung mit Gott von Angesicht zu Angesicht.

Wir wurden in die Welt gesandt, um das zu sein, was Christus selbst war. Der einzigste Grund, warum wir dies nicht sind, ist unsere eigene Unfähigkeit, von uns selbst zu lassen, uns von uns selbst abzuwenden, um wirklich unsere Mission zu erfüllen. Der Blinde traf den Herrn von Angesicht zu Angesicht. Christus hat ihn geheilt. Wieviel Blinde gibt es um uns herum -  nicht physisch blind - sondern durch eine noch viel schrecklichere Blindheit geschlagen: all jene, die den Sinn des Lebens nicht sehen, weder die Liebe noch Mitleid. Blind für all das, was das Leben in einen Kampfplatz und in einen Sieg verwandeln würde.

Wir sollen in die Welt gehen, so wie es Christus getan hat, sich selbst vergessen, unser Kreuz auf uns nehmen und Ihm folgen, denn Er hat uns gesagt, dass wir, wohin wir auch gehen möchten, Ihm nachfolgen sollen: Dies ist ein Aufruf an uns alle. Das, was während der Tage des irdischen Lebens Christi geschah, soll auch jetzt geschehen, denn wir sind der Mensch gewordenen Leib Christi. Wenn wir dazu nicht fähig sind, dann sollten wir uns direkt und schonungslos fragen und uns ebenso ehrlich und ohne Selbstmitleid antworten und solche Christen werden, wie wir sie sein sollen, wozu wir berufen sind: Christen in denen die Menschen Christus selbst erkennen können.

Amen       

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