Sonntag des Blindgeborenen
„Sehr oft, wenn uns Leid umgibt, wenn wir die Tragödien dieser Welt mitansehen müssen, zweifeln wir in der Seele und erkennen nicht, dass durch jegliche Umstände und Begebenheiten des Lebens das Wunder einer Begegnung mit Gott in die Erfahrungswelt eines Menschen, in die Tiefen seiner Seele treten kann. Das jedoch ist dies viel viel mehr und wichtiger, als all das, was wir fürchten." - aus einer Predigt zum Sonntag des Blindgeborenen von Metropolit Antonij von Suroz
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5. Sonntag nach Ostern ( Joh. 9,1-38) - 22. Mai 1967

Es gibt Erzählungen und Worte im Neuen Testament, die befremdlich wirken. Man kann auf sie auf zweierlei Weise reagieren: Man kann einerseits, wenn man nur von seinen Erfahrungen, seinen Gedanken und seiner Unfähigkeit tiefer und weiter schauen zu können, ausgeht,  sagen:  das kann nicht sein. Wenn es doch so ist, dann beweise es mir, Herr, damit ich es glauben kann.  Man kann aber auch anders reagieren, in dem man sich auf die Erfahrung Gottes beruft, die wir alle wenn auch in sehr geingem Maße haben. Mit ihr können wir unseren Gedanken, unserer Erfahrung, unseren Überzeugungen und Gefühlen gegenübertreten und sagen: Vor mir hat sich etwas viel viel größeres aufgetan als all das, was ich bisher gedacht habe, was ich für wahr befunden habe. Dieses etwas  hat mir Gott Selbst eröffnet und von nun an nehme ich voller Glauben diese neue Erfahrung an, die meine bisherige Sichtweise übertrifft. Früher oder später erkenne ich dann aus dem Innern der Zwiesprache mit Gott, dass Gott Recht hatte.

Einer der verwirrendsten und und schwersten Stellen im Neuen Testament ist der Anfang der heutigen Evangeliumslesung. Nicht etwa die Frage der Jünger, wer gesündigt habe, dass dieser Mensch von Dunkelheit umgeben geboren wurde, sondern eine andere Frage, die sich aus der Antwort Christi ergibt: Niemand hat gesündigt, niemand ist Schuld. Dies ist keine Rache und ebenso keine Konsequenz aus einer Sünde. Es ist so geschehen, damit die Herrlichkeit Gottes sichtbar werde.

Worin jedoch besteht die Herrlichkeit Gottes? Etwa darin, dass ein Mensch blind durchs Leben gegangen ist, wahrscheinlich viele viele Jahre, vielleicht sogar bis ins Alter und durch seine Blindheit unglücklich war, damit mit ihm dann ein Wunder geschehe und die Menschen um ihn herum die Kraft Gottes preisen? Hätten die Menschen die Kraft Gottes nicht viel stärker und mit viel mehr Freude und lebhaftem Gefühl des Verständnisses preisen können, wenn sie einen Menschen gesehen hätten, der mit dem gesamten Reichtum aller menschlicher Talente ausgestattet gewesen wäre? ...

Auch hier kann man auf zweierlei Weise antworten: Nein, die Menschen hätten dann die Kraft Gottes nicht gepriesen. Das wissen wir aus eigener Erfahrung. Die Menschen preisen Gott nicht dafür, dass alles in ihrem Leben in Ordnung ist. Die Menschen verehren Gott nicht dafür, dass das Leben selbst wunderbar ist. Alles wunderbare ist eben nur natürlich. Es ist natürlich und normal, gesund zu sein, behütet zu sein, frei zu sein. Alles, was dem Menschen Freude bringt ist, nur natürlich und normal. Nur ganz selten vermag jemand diese Gaben aufs Rechte zu schätzen, sie als Geschenk zu betrachten, als etwas, was in keiner Weise verdient werden kann. Etwas, was einfach ein immer währendes  wunderndes Staunen hervorruft: Wie kann das sein? Wie wunderbar es ist! ...

Es gibt aber auch noch eine andere Antwort, eine, wie mir scheint, viel bedeutendere und wichtigere: Die Herrlichkeit Gottes zeigte sich nicht nur darin, dass dieser Mensch physisch zu sehen begann. Er begann mit den Tiefen seiner Seele zu sehen. Seine Augen öffneten sich für die Barmherzigkeit Gottes, für die Allmächtikeit Gottes. Sein Herz öffnete sich, um auf die Gabe Gottes, das physische Sehen, mit voller Dankbarkeit und Glauben zu antworten. Hier genau triumpfierte die Herrlichkeit Gottes. Nicht in dem Sinne, das die Menschen Christus priesen. Im Evangleium heisst es, dass Christus wie ein Sünder betrachtet und verleumdet wurde, weil Er nicht so, wie die Leute es erwartet hatten, seine Barmherigkeit erwiesen hatte. Nein, nicht in diesem Sinne wurde Gott verherrlicht, sondern darin, dass in der Seele des Blindgeborenen das ewige Leben aufstrahlte.  Das, was Gottes ist und was als neuer Göttlicher Beistand in die Welt gekommen ist, hat in der Seele des Blindgeborenen Funken geschlagen und glänzte und leuchtete auf.

Sehr oft, wenn uns Leid umgibt, wenn wir die Tragödien dieser Welt mitansehen müssen, zweifeln wir in der Seele und erkennen nicht, dass durch jegliche Umstände und Begebenheiten des Lebens das Wunder einer Begegnung mit Gott in die Erfahrungswelt eines Menschen, in die Tiefen seiner Seele treten kann. Das jedoch ist viel viel mehr und wichtiger, als all das, was wir fürchten.

Lasst uns darüber nachdenken. Die Wege Gottes sind streng. Gott schenkt uns viel, doch Er lässt uns nie in unserem eigenen Wohlergehen zu Grunde gehen. Wenn wir in unserem Wohlsein keine Dankbarkeit entwickeln können und die Ewigkeit nicht zu schauen vermögen, dann lässt uns Gott in Seiner Barmherzigkeit nicht umkommen in unseren Wolstand.

Das folgende Wort ist hart. Er wurde vor vielen Jahrhunderten bereits in der ersten Generation der Christenheit von einem der Schüler, vom Hirten Hermas ausgesprochen: Gott ist barmherzig, sagt er, Er verlässt dich nicht, solange dein Herz und deine Knochen nicht zerschlagen sind. Er ist barmherzig, denn angesichts unserer Verhärtung, unserer Verrohung und unserer Verblendung  soll in unser Leben ein alles erleuchtendes Wunder gelangen: Weil wir nicht ausreichend feinfühlig sind, um das stille Wehen der Gnade zu bemerken, fällt sie oft als Sturm in unser Schicksal ein.

Amen

 http://www.metropolit-anthony.orc.ru/inname/in_105.htm

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